Kommentar
12:02 Uhr, 08.07.2025

Sind die Zinsen in den USA in Wahrheit zu niedrig?

Vergleicht man die USA mit anderen entwickelten Ländern, ist der Leitzins hoch. Der Leitzins allein ist aber nicht die ganze Wahrheit. Anstatt einen zu hohen Zins zu vermuten, kann man sogar vom Gegenteil ausgehen.

Persönlich gehe ich zwar davon aus, dass die USA Zinssenkungen vertragen könnten, doch signifikant zu hoch ist der Leitzins nicht. Diese Einschätzung kann sich schnell ändern. Immerhin weiß niemand, was am 9. Juli und danach geschieht. Kommt ein Großteil der "reziproken" Zölle zurück und bleibt, ist ein deutlich tieferer Leitzins schnell angebracht.

Derzeit vergleicht Trump den Leitzins der Fed mit den Zinssätzen anderer Notenbanken. Unter entwickelten Ländern haben die USA nach Hong Kong den höchsten Leitzins. Man kann beliebig viele Länder mit den USA vergleichen, man kommt immer zur gleichen Schlussfolgerung. Im Vergleich ist der Zins hoch. Grafik 1 zeigt einen Vergleich. Hervorgehoben sind nur die USA und Hong Kong (Grafik 1).

Ein solcher Vergleich ist natürlich unsinnig. Notenbanken machen Geldpolitik für das eigene Land und reagieren auf die Umstände im Inland. Die Eurozone hat ihr Inflationsziel erreicht, die USA haben dies nicht. Die EZB hat wider Erwarten den Zins spät gesenkt und verlängerte dadurch die wirtschaftliche Stagnation.

Jedes Land hat gute Argumente für tiefere Zinsen. In Kanada liegt der Leitzins deutlich tiefer als in den USA. Dafür liegt die Arbeitslosenrate auch fast drei Prozentpunkte höher. In der Schweiz ist die Arbeitslosenrate nach wie vor tief, dafür droht dem Land Deflation.

Wenn ein Vergleich sinnvoll ist, dann der zur eigenen Historie. Im Vergleich zu den Jahren 2023 und 2024 stehen diverse Maßstäbe für den realen Leitzins bereits deutlich tiefer. Die Fed hat früher mit Zinssenkungen begonnen als in früheren Zyklen. Noch zu Jahresbeginn war die Lage in den USA so solide, dass der Zins wie zu anderen zyklischen Hochs hätte höher stehen können (Grafik 2).

Aktuell ist die Fed zwischen ihren zwei Mandaten hin- und hergerissen. Die Arbeitslosenrate ist niedrig, die Inflation noch zu hoch. In der Summe von Arbeitslosen- und Inflationsrate ergibt sich der Misery Index. Je höher dieser ist, desto schlechter ist die Lage. Der Misery Index kombiniert die beiden Mandate der Fed.

Dieser Index ist in den USA trotz erhöhter Inflation im Vergleich zur eigenen Historie und auch im Vergleich zu anderen Regionen tief. Es fehlt nicht viel und die USA haben sogar einen niedrigeren Index als Japan (Grafik 3).

Wollen die USA eine noch bessere Lage und einen tieferen Misery Index, ist der große Hebel derzeit die Inflationsrate. Dafür braucht es stabile oder sogar höhere Zinsen. Eine rasche Zinssenkung, wie sie Trump gerne hätte, würde den Misery Index aller Voraussicht nach ansteigen lassen. Werden Zinssenkungen notwendig, weil die Wirtschaft in eine Rezession abrutscht, steigt der Misery Index ebenfalls. Eine solche Rezession hat wenig mit dem Leitzins zu tun, sondern mit fragwürdiger Politik aus dem Weißen Haus.

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1 Kommentar

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  • masi123
    masi123

    Aufgrund der exzessiven Verschuldungspolitik der USA (~2 Billionen jährliches Staatsdefizit + Defizit aus dem BBB) und der damit verbundenen Geldmengenausweitung wird es meiner Meinung nach in den nächsten Jahren unweigerlich zu hoher Inflation kommen, egal welche Zinspolitik verfolgt wird. Die Frage wird eher sein, wie lange es dauert bis neue QE-Maßnahmen beschlossen werden.

    15:19 Uhr, 08.07.