Sind Anleiheinvestoren schlauer als Aktienanleger?
- Lesezeichen für Artikel anlegen
- Artikel Url in die Zwischenablage kopieren
- Artikel per Mail weiterleiten
- Artikel auf X teilen
- Artikel auf WhatsApp teilen
- Ausdrucken oder als PDF speichern
Das ist natürlich eine etwas sonderbare Frage, engagieren sich doch die meisten Investoren gleichzeitig in beiden Asset-Klassen. Warum also diese Frage? Zum Hintergrund: Im Februar signalisierten die Kurse von Unternehmensanleihen eine völlig andere konjunkturelle Zukunft als die Aktienkurse derselben Unternehmen, ein höchst ungewöhnliches Phänomen.
Im Laufe des Monats setzten die Preise von Unternehmensanleihen ihren in den Vormonaten begonnenen Sturzflug fort. Der Unterschied bei den Durchschnittsrenditen von Unternehmensanleihen einerseits und Staatsanleihen andererseits stieg auf ein Niveau, das in der Vergangenheit stets den Einstieg in eine schwere Rezession angekündigt hatte. Im Gegensatz dazu erfolgten bei Aktien – zumindest auf US-Dollar-Basis – keine weiteren Korrekturen im Februar.
Umso erstaunlicher war die Tatsache, dass die Kurse der am empfindlichsten auf Konjunktureinbrüche reagierenden – und daher risikoreichsten – Aktien, wie Industriewerte und Small Caps, eindeutig zulegten, während die Anleihekurse derselben Unternehmen gleichzeitig massive Einbrüche erlebten. Einfach ausgedrückt: Auf dem Unternehmensanleihemarkt deutet alles darauf hin, dass die Bilanzen sich in solch einem Maße verschlechtern, dass das Insolvenzrisiko nahezu dem in früheren Rezessionen beobachteten Niveau entspricht.
Dem widerspricht der Aktienmarkt. Hier sieht es so aus, als sei die Gefahr fallender Unternehmensgewinne begrenzt und viel geringer als bei vorangegangenen Rezessionen. Die Gewinnspannen konjunkturabhängiger Unternehmen sind jetzt auf ihrem höchsten Stand seit dem Zweiten Weltkrieg – das ist, gelinde gesagt, äußerst bemerkenswert.
In der Vergangenheit ließen sich drohende Rezessionen ebenso zuverlässig – wenn nicht besser – von der Wertentwicklung von Unternehmensanleihen wie von der Aktien-Performance ablesen. Das galt sowohl für die Investment-Grade-Kategorie als auch für die risikoreicheren High Yields.
Liegen Anleiheinvestoren also richtig und die Zukunftsaussichten sind tatsächlich schwärzer, als Aktienanleger wahrhaben wollen? Oder spielen hier andere Faktoren eine Rolle? Wohl beides.
Unternehmensanleihen sind weitaus stärker als Aktien von Zwangsverkäufen betroffen. Auf der Suche nach höheren Renditen sind in der Vergangenheit viele Investoren bei diesen Bonds eingestiegen und haben dieses Engagement mit billigen Darlehen vom Geldmarkt finanziert. Angesichts der Abflüsse vom Subprime-Markt bzw. der Abschreibungen auf Ramsch-Hypotheken sehen sich diese Investoren jetzt gezwungen, ihr Risikoprofil zu reduzieren und diese Anleihen um jeden Preis abzustoßen.
Am anderen Ende des Spektrums konnte man im Februar Zwangsrückkäufe bei Aktien beobachten, nachdem Investoren diese Aktien im Dezember und Januar in der Hoffnung auf einen weiteren Kursrutsch „leer“ verkauft hatten. Diese Spekulanten wurden indessen von den unerwartet guten Ergebnissen zyklischer Unternehmen im vierten Quartal überrumpelt. In der Folge mussten sie die Aktien zurückkaufen; im Ergebnis zogen die Aktienkurse wieder an.
Diese Faktoren sind natürlich markttechnischer Art und zeitlich begrenzt. Sie können die unterschiedlichen Signale von den Unternehmensanleihe- und Aktienmärkten im Hinblick auf die weitere konjunkturelle Entwicklung daher nur teilweise erklären.
Es mutet jedoch seltsam an, dass Investoren sich offensichtlich mehr Sorgen um die Qualität der Unternehmensbilanzen machen (die momentan noch gut aussehen) als um die zukünftige Profitabilität derselben Unternehmen, wenn doch die Gewinnspannen bereits historische Höchststände erreicht haben.
Unter sonst gleichen Umständen würden wir unser Geld momentan lieber im risikoreicheren Segment des Unternehmensanleihemarktes investieren, wo sich Renditen von fast 10 Prozent erzielen lassen, als auf den stärker zyklisch ausgerichteten Aktienmärkten. Anleiheinvestoren sind vielleicht nicht schlauer, aber die Investition in Unternehmensanleihen scheint zurzeit eine klügere Entscheidung zu sein als die Investition in Aktien.
Autor: Ad van Tiggelen, Senior Strategist bei ING Investment Management
ING Investment Management ist der globale Asset Manager der ING Gruppe. Mit Euro annähernd 400 Milliarden Assets under Management (Q2 2007), vertreten in 30 Ländern mit 2.500 Experten (Europa: 713, Americas: 866, APAC: 921), ist ING Investment Management (ING IM) weltweit unter den Top 25 im Asset Management. ING IM Europe hat Niederlassungen in 14 europäischen Ländern mit annähernd Euro 160 Milliarden Assets (Q2 2007) under Management.
Keine Kommentare
Die Kommentarfunktion auf stock3 ist Nutzerinnen und Nutzern mit einem unserer Abonnements vorbehalten.