Kommentar
14:23 Uhr, 20.02.2009

Schwere globale Rezession

Die Wirtschaftsleistung wird 2009 in den reifen Volkswirtschaften (USA, Großbritannien, Eurozone und Japan) deutlich schrumpfen. Schätzungen zufolge wird das weltwirtschaftliche Wachstum auf etwa 0,5 Prozent zurückgehen. Aber auch die Schwellenländervolkswirtschaften sind betroffen. Hier wird das Wachstum die 2- Prozent-Marke voraussichtlich nicht übersteigen. Sowohl in den reifen Volkswirtschaften als auch in den Schwellenländern liegt ein Großteil der Produktionskapazitäten brach.

Kurzum, die Welt befindet sich in der schwersten Rezession seit dem Zweiten Weltkrieg. Zugleich ist dies die erste Rezession, die alle Regionen gleichzeitig betrifft.

Probleme der Finanzwelt weiten sich auf die Realwirtschaft aus

Auch im Hinblick auf ihre Ursachen unterscheidet sich diese Rezession von anderen. Die Krise begann auf dem US-amerikanischen Immobilienmarkt und betraf zunächst – ob direkt oder indirekt – Hypothekengeber und andere Finanzinstitute. Alsbald waren alle Regionen und Wirtschaftsbereiche betroffen. Die Folgen für die globale Realwirtschaft machten sich ab September 2008 mit aller Vehemenz bemerkbar. Die Konsequenzen für Unternehmen und Verbraucher werden sich bis zur Jahresmitte 2009 noch verschärfen: enttäuschende Geschäftszahlen, Gewinnwarnungen und Wirtschaftsnachrichten, die hinter den Erwartungen zurückbleiben.

Diese Rezession hat alle Weltwirtschaftsregionen zur gleichen Zeit erfasst, daher kann keine Region die Rolle des Wachstumsmotors für die globale Konjunktur übernehmen. Jetzt sind nur noch die Regierungen und die Zentralbanken imstande, den beispiellosen Nachfragerückgang in der Privatwirtschaft – ob bei Unternehmen oder Verbrauchern – durch Staatskonsum auszugleichen. Die Regierungen haben bereits umfangreiche Konjunkturprogramme angekündigt. Die Zentralbanken haben aggressiv die Zinsen gesenkt. Dem liegt die Einsicht zugrunde, dass unorthodoxe Maßnahmen gefordert sind, um das Abrutschen in eine anhaltende Depression zu verhindern. Eine Depression – verbunden mit struktureller Deflation – könnte eine Weltwirtschaftskrise wie in den 1930er Jahren bedeuten. Wir gehen davon aus, dass die Zentralbanken die Zinsen noch weiter senken und zudem weitere Maßnahmen zur strukturellen Verbesserung der Finanzsituation ergreifen werden. Dank stark rückläufiger Inflationsraten haben die Notenbanken jetzt den nötigen Handlungsspielraum. Die von den politischen Entscheidungsträgern demonstrierte Entschlossenheit lässt darauf hoffen, dass sich bereits in der zweiten Hälfte dieses Jahres eine leichte Erholung abzeichnen wird.

Aktuelle Wirtschaftslage

Die jüngsten Wirtschaftszahlen verdeutlichen den dringenden Bedarf an unorthodoxen Maßnahmen.

In den USA fiel das Bruttosozialprodukt gegenüber dem vorangegangenen Quartal um 3,8 Prozent (annualisiert). Auf den ersten Blick schien diese Zahl die Erwartungen zu übertreffen. Tatsächlich beruhte dieser positive Wert zum Teil auf dem Aufbau von Beständen. Im weiteren Verlauf des Quartals ging die Nachfrage allerdings rapide zurück. Insofern ist davon auszugehen, dass die Vorratsbestände im produzierenden Gewerbe im ersten Quartal weitgehend aufgebraucht werden. Ein noch deutlicheres Schrumpfen der Wirtschaftsleistung im ersten Quartal ist somit wahrscheinlich. Niedrigere Ölpreise, ein günstigerer finanzieller Rahmen sowie die von den Regierungen verabschiedeten Konjunkturprogramme dürften im zweiten Quartal allmählich die zunehmende Konsumzurückhaltung ausgleichen.

Eurozone

In der Eurozone muss die Europäische Zentralbank EZB mit den Folgen des negativen Kreditgeschäfts fertig werden, das seit Anfang 2008 von 11,2 Prozent auf 5,8 Prozent zum Jahresende gesunken ist (gegenüber dem Vorjahr). Das Kreditgeschäft mit Firmen (außer dem Finanzsektor) ging im Dezember um eine Milliarde Euro zurück. Auch der starke Rückgang der Kapazitätsauslastung (um 6,4 Punkte auf 75,2 Punkte, der schärfste Einbruch seit Kriegsende) und steigende Arbeitslosenzahlen deuten auf einen massiven Abschwung hin.

Schwellenländer und China

Nun bekommen auch die Emerging Markets die Wirkungen der Kreditkrise zu spüren, da Investoren aus den Industrieländern (darunter auch Banken) ihr Kapital massenhaft abziehen. Vor allem Lateinamerika sowie Mittel- und Osteuropa sind gefährdet. Der Preissturz beim Erdöl ist ein herber Schlag für die russische Wirtschaft. Hinzu kommen Probleme politischer Art. Asien (außer Japan und China) bietet ein uneinheitliches Bild. In Anbetracht seines staatlich gelenkten Bankensystems wird China wohl kaum in Schwierigkeiten geraten. Im Gegenteil: Die expansive Geldpolitik des Landes scheint bereits ein beschleunigtes Kreditwachstum angestoßen zu haben.

Es besteht also deutlicher Handlungsbedarf bei Regierungen und Zentralbanken.

Höhere Staatsausgaben

Das US-Repräsentantenhaus hat kürzlich das Konjunkturprogramm von Präsident Obama verabschiedet. Das Programm sieht Steuersenkungen in Höhe von 815 Milliarden US-Dollar sowie Investitionen in großvolumige Infrastrukturprojekte vor. Der Senat, in dem die Republikaner eine Mehrheit halten, plädiert dagegen für deutlichere Steuersenkungen und Zurückhaltung bei den Staatsausgaben. Staatlichen Investitionen kommt zweifelsohne ein zentraler Platz in Wirtschaftsförderungsprogrammen zu. Inwieweit Steuersenkungen ähnlicher Erfolg beschieden ist, ist dagegen zweifelhaft – vor allem in den USA, wo das gegenwärtige Wirtschaftsklima auch die Verbraucher zum Schuldenabbau zwingt. Demnach werden sie etwaige Steuergeschenke aller Wahrscheinlichkeit nicht ausgeben, sondern zur Schuldentilgung verwenden. Aus Sicht eines von Schulden geplagten Verbrauchers sicherlich verständlich, aber von geringem Nutzen für die USKonjunktur, die jetzt auf so viel Konsum wie möglich angewiesen ist.

Regierungen rund um den Globus demonstrieren Entschlossenheit, von Japan und China über Frankreich bis hin zu Deutschland und den Niederlanden. Auch die Europäische Union ist nicht untätig geblieben. Nach unseren Schätzungen summieren sich die zusätzlichen wirtschaftspolitischen Maßnahmen der Europäischen Union (einschließlich der ihrer Mitgliedsstaaten) auf ca. 1,5 Prozent des gesamten Bruttosozialprodukts der EU.

Leichte Erholung in 2009

Die stützenden Maßnahmen von Regierungen und Zentralbanken könnten ab Mitte 2009 eine ebenso allmähliche wie zaghafte Erholung einleiten. Allerdings wird der Schuldenabbau den Erholungsprozess in den kommenden Jahren eher bremsen. Dies gilt insbesondere für die USA, Großbritannien und einige EU-Länder wie Spanien und Irland. Langfristig dürften auch die zunehmenden staatlichen Eingriffe in die Wirtschaft das globale Wachstum zügeln.

Unsere Prognosen zum …

Erdölpreis

Angesichts der auf eine Rezession zusteuernden Weltwirtschaft brach der Preis für Erdöl in der zweiten Hälfte 2008 ein und hat sich mittlerweile bei 39 US-Dollar pro Barrel (Stand 20.02. 2009) eingependelt. Allerdings könnte es auch hier wieder zu einem rapiden Anstieg kommen, sobald sich ein erneuter Aufschwung abzeichnet. Derzeit übt man jedenfalls Zurückhaltung, was die Investition in Produktionsanlagen und die Exploration durch Erdölunternehmen betrifft. Langfristig dürften die Ölpreise wieder deutlich steigen.

Von Inflation zu Deflation

Nachdem der Ölpreis im Sommer 2008 seinen Höchststand erreichte, wird die Kerninflationsrate (annualisiert und ohne Berücksichtigung der Lebensmittel- und Energiepreise) im Sommer 2009 wohl kurzzeitig unter 0 Prozent fallen. Die Grundtendenz ist günstig: Kerninflation (außer Lebensmittel und Energie) soll positiv bleiben. Deflation wird erst dann zum Problem, wenn die Preise über einen längeren Zeitraum fallen und Verbraucher und Wirtschaft ihr Verhalten entsprechend anpassen. Soll heißen: Wenn sie Anschaffungen bzw. Investitionen in Erwartung weiterer Preisrückgänge aufschieben. Ein solches Szenario ist allerdings unwahrscheinlich.

Euro

2008 ließ der Euro um ca. 5 Prozent gegenüber dem US-Dollar nach und sogar um fast 30 Prozent gegenüber dem Yen. Hauptgrund war der massive Anstieg der Risikoscheu in der Anlegerschaft, vor allem in der zweiten Jahreshälfte. In der Folge flossen die Kapitalströme wieder in die USA und nach Japan zurück. Auch in den kommenden Monaten könnten Kapitalabflüsse den Euro weiter gegenüber US-Dollar und Yen schwächen. Im weiteren Verlauf des Jahres mag der Euro jedoch wieder an Boden gewinnen. Wir rechnen zum Jahresende mit einem Euro/Dollar-Wechselkurs von 1,25 und einem Wechselkursverhältnis von 120 Yen/Euro. Aufgrund des lahmenden Wirtschaftswachstums und der überalterten Bevölkerungsstruktur in Japan ist der Yen strukturell eine schwache Währung.

Quelle: ING Investment Management

ING Investment Management ist der globale Asset Manager der ING Gruppe. Mit annähernd 375 Milliarden Euro Assets under Management, vertreten in 37 Ländern mit mehr als 3.700 Mitarbeitern, ist ING Investment Management (ING IM) weltweit auf Platz 27 im Asset Management.

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