Schwellenländeraktien: Eine unterschätzte Assetklasse?
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Schwellenländeraktien hätten zuletzt in puncto Rendite weniger gut abgeschnitten: Über einen Zeitraum von 15 Jahren habe der MSCI EM Index eine durchschnittliche Rendite von 3,8 Prozent p.a. erzielt. Dies sei, verglichen mit 10,6 Prozent p.a. beim MSCI USA Index, ein deutlicher Rückstand. Jedoch dürfe diese Momentaufnahme auch nicht überbewertet werden, so Rohit Chopra. Vor 10 Jahren habe der MSCI EM Index mit Renditen von über 15 Prozent p.a. noch zu den absoluten Spitzenreitern gehört und weit vor dem MSCI USA Index oder dem MSCI World Index gelegen. „Bei der Analyse dieses Renditerückgangs dürfen wir nicht verallgemeinernd auf ‚die‘ Schwellenländer schauen, sondern müssen sie jeweils einzeln betrachten. Dann stellen wir plötzlich fest, dass einige Länder, wie beispielsweise Taiwan, vom Markt belohnt, während andere Länder, wie beispielsweise die Türkei, vom Markt sanktioniert werden. Wenn man sich vor Augen führt, dass die Emerging Markets über 80 Prozent der Weltbevölkerung repräsentieren, liegt es angesichts dieser Größe auf der Hand, dass ein differenzierter Blick nötig ist“, sagt Chopra.
Gründe für den Renditerückgang
So vielfältig wie die einzelnen Schwellenländer, so vielfältig seien auch die Gründe für den Renditerückgang von Schwellenländeraktien, so Chopra. Betrachte man seiner Ansicht nach die Wachstumsdifferenz zwischen Schwellen- und Industrieländern, zeichne sich langfristig für die Schwellenländer ein sehr positives Bild. Im Durchschnitt habe das BIP-Wachstum der Schwellenländer seit 1980 zwei Prozent über dem BIP-Wachstum der Industrienationen gelegen, Anfang der 2000er Jahre sogar weit darüber. Die Weltfinanzkrise stelle allerdings eine Zäsur dar. In der Folge habe sich die Wachstumsdifferenz zwischen den Schwellenländern und den Industrienationen verengt, was zu einer signifikanten relativen Underperformance der Schwellenländer geführt habe. „Nach der Finanzkrise ist in den Emerging Markets zu viel Kapital investiert worden, was zu Überkapazitäten geführt und sich in der Konsequenz negativ auf die Wachstumsraten ausgewirkt hat“, so Chopra. Hinzu komme die Entwicklung der Währungskurse: Der starke US-Dollar habe das Wachstum der Schwellenländeraktien schon mehrfach gehemmt.
Günstige Aktienbewertungen bieten Einstiegsgelegenheiten
Aktuell seien Schwellenländeraktien deutlich unterbewertet: Im Vergleich zu den Aktien der Industrieländer würden Schwellenländeraktien mit einen Bewertungsrabatt von 30 Prozent gehandelt, und dies bei steigenden Return-on-Equity-Raten. Dabei seien seiner Meinung nach die Wachstumsprognosen für die Schwellenländer für den nächsten Jahren gut, insbesondere für Indien und China. Bei der Aktienrendite könnten Korea und Taiwan große Potentiale bieten. Laut der jüngsten Marktanalyse des Lazard EM-Aktien-Teams sei im Jahr 2024 beispielsweise in Südkorea ein Gewinnwachstum je Aktie (Earnings per Share) von bis zu 70 Prozent möglich. Die Länderprognose bestätige die Sektor-Prognose, welcher zufolge vor allem der IT-Sektor in naher Zukunft die größten Aktienrenditen generieren dürfte.
Als Anleger müsse man auch die geopolitischen Risiken einkalkulieren. „Mittelfristig sind aus unserer Sicht drei Konfliktherde am wichtigsten: Russland – Ukraine, USA – China sowie der Mittlere Osten“, erklärt Chopra. „Sollten die dort ausgetragenen Konflikte weiter eskalieren, könnte dies erhebliche Auswirkungen auf die Weltwirtschaft haben.“ So dürfte eine Ausweitung des Konflikts zwischen Israel und der Hamas unter Einbeziehung der Nachbarstaaten Auswirkungen auf den Ölpreis haben. Ein offener Konflikt zwischen China und Taiwan könne wiederum den Mikrochip-Mangel weiter verschärfen. „Wie so oft, liegt die Antwort in der Diversifizierung des Portfolios. Ein Investor sollte auf geopolitische Schocks vorbereitet sein und mit Volatilität rechnen. Dazu gehört ein Gespür dafür, in welchen Regionen und Sektoren sich langfristige Wachstumspotentiale abzeichnen, aber auch, wo Risiken bestehen“, so der Schwellenländerexperte.
China: Investiert bleiben?
Viele Anleger würden derzeit ihr Investment in chinesische Aktien überdenken. Tatsächlich habe China in den letzten zehn Jahren das Wachstum des MSCI EM Index gebremst und stehe sowohl intern als auch extern vor großen Herausforderungen. „Intern ist China primär mit dem rasanten demographischen Wandel konfrontiert, der für Überalterung und Bevölkerungsrückgang sorgt. Daneben tragen die Einkommensungleichheit, die hohe Verschuldung, der Kollaps des Immobilienmarkts, die Abhängigkeit von ausländischen Ressourcen und Technologien sowie die Korruption zu einem instabilen ökonomischen Terrain bei“, erklärt Chopra. „Extern ist es vor allem die sinkende Nachfrage nach chinesischen Gütern, die der Wirtschaft des Landes zu schaffen macht. Rechnet man die hohen Energiepreise und geopolitischen Fehlschläge hinzu, so ist Chinas Vorreiterstellung auf der Weltbühne kompromittiert.“ China könne nicht mehr darauf vertrauen, seine Produkte in die ganze Welt exportieren zu können. Entsprechend sinke der Exportanteil am chinesischen BIP.
Für Anleger sei es deshalb klug, eine „EM ex China“-Strategie zu entwerfen. In China und den restlichen Schwellenländern stecken aus Sicht des Experten unterschiedliche Potentiale, was separate Strategien für China und andere Emerging Markets rechtfertige. Eine separate Marktallokation erlaube es, die spezifischen Chancen und Risiken der jeweiligen Anlagen angemessen zu bewerten und eine optimale Diversifizierung zu erreichen. Dazu passe, dass die Korrelation zwischen der chinesischen Wirtschaft und dem MSCI EM Index abgenommen habe.
„Ganz allgemein gesprochen sollte man die Schwellenländer in ihrer Vielfalt begreifen und die individuellen Potentiale der Märkte nutzen. Grundsätzlich gilt: Je komplexer und vielseitiger ein Markt, desto größer seine Chancen, sich in der kompetitiven Weltwirtschaft durchzusetzen“, resümiert Rohit Chopra. Zuletzt sollten Anleger aus seiner Sicht die „Industrialisierung 4.0“ ernst nehmen und den enormen Stellenwert der IT- und Kommunikationstechnologiebranche anerkennen. Auch in dieser Hinsicht zeigten sich große Unterschiede zwischen den Schwellenländern.
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