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10:00 Uhr, 07.10.2008

Russland könnte mittel- bis langfristig der Hauptverlierer des Konflikts in Georgien werden

„Russland könnte mittel- bis langfristig der Hauptverlierer des Konflikts in Georgien werden“
Von Peter Havlik und Vasily Astrov vom Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche (wiiw)

Der Konflikt in Georgien bezüglich der zwei abtrünnigen Provinzen Abchasien und Südossetien, ihre Unabhängigkeitserklärungen und die offizielle Anerkennung von Russland mündete in einer deutlichen Verschlechterung der Beziehungen zwischen Russland und dem Westen. Die wirtschaftlichen Folgen werden schwerwiegend sein – nicht nur für die Kaukasus-Region selbst sondern weit darüber hinaus. Das Wirtschaftswachstum in Georgien wird, zumindest kurzfristig, darunter leiden. Die wirtschaftlichen Kosten, inklusive zerstörter Infrastruktur, Produktions- und Investitionsrückgangs, und die niedrigeren Überweisungen der georgischen Diaspora aus dem Ausland könnten insgesamt schätzungsweise etwa 2 Mrd. Euro betragen. Die Erholung der Wirtschaft wird von der künftigen politischen Stabilität abhängen, die ist allerdings bei weitem nicht garantiert.

Abchasien, mit seinen 340.000 Einwohnern, war nicht direkt von dem jüngsten Militärkonflikt betroffen. Das Land wird von russischen Investitionen und dem Boom am Bausektor rund um die Olympischen Winterspiele in Sochi profitieren. Das lokale Potential für den Fremdenverkehr und die Landwirtschaft könnte die wirtschaftliche Selbständigkeit Abchasiens gewährleisten. Ein formaler Anschluss an Russland zu einem späteren Zeitpunkt kann nicht ausgeschlossen werden. Der neue winzige Staat Südossetien (Bevölkerung nur rund 70.000 Personen) hat hingegen keine eigenen Wirtschaftsressourcen, seine Überlebenschancen als unabhängiger Staat sind dementsprechend gering – trotz umfangreicher Hilfe aus Russland. Ein Anschluss an Russland und/oder eine de-facto-Vereinigung mit Nordossetien ist wahrscheinlich. Es könnte jedoch zu den neuen Konflikten im russischen Teil des Kaukasus – vor allem in Inguschetien, Chechnya und Dagestan – kommen.

Russland könnte mittel- bis langfristig der Hauptverlierer des Konflikts in Georgien werden, obwohl seine direkten Kosten des Krieges relativ gering waren. Die Erfolgschancen für eine beabsichtigte Diversifizierung der russischen Wirtschaft und eine wirtschaftliche Entwicklung auf der Basis von Innovationen sind deutlich gesunken. Eine der Hauptsorgen ist es, dass die Verschlechterung der Beziehungen mit dem Westen schwerwiegenden Folgen für die russischen Wirtschaftsreformen haben wird. Der Aufschub des WTO-Beitritts sowie das Einfrieren der Verhandlungen über das neue Partnerschaftsabkommen mit der EU werden die liberalen Reformkräfte in Russland weiter untergraben.

Energiefragen dominieren die EU-Russland Wirtschaftsbeziehungen: die EU ist von den russischen Energielieferungen abhängig; Russland ist dagegen vom europäischen Markt abhängig. Südossetien und Abchasien an sich sind für die globalen Energiemärkte nicht von Bedeutung; Georgien repräsentiert jedoch einen wichtigen Korridor für den Energietransit vom Kaspischen Meer vorbei an Russland. Aufgrund der gestiegenen Risiken könnte der Konflikt negative Implikationen für die georgischen Bemühungen haben, sich als alternativer Transitkorridor für das Kaspische Öl und Gas nach Europa zu etablieren. Dies könnte vor allem die geplante Nabucco Gasleitung treffen. Potenziell noch wichtiger ist die Verschiebung der Kräfte in der Region zugunsten Russlands, das bekanntlich zu dem Nabucco-Projekt feindselig gegenüber steht. Die Teilnahme Turkmenistans an diesem Projekt wird fraglicher, auch Kasachstans Bereitschaft, mehr Öl durch Südkaukasus zu exportieren, wird nachlassen.

Quelle: Ostbörsen-Report

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Über den Experten

Jochen Stanzl
Jochen Stanzl
Chefmarktanalyst CMC Markets

Jochen Stanzl begann seine Karriere in der Finanzdienstleistungsbranche als Mitbegründer der BörseGo AG (jetzt stock3 AG), wo er 18 Jahre lang mit den Marken GodmodeTrader sowie Guidants arbeitete und Marktkommentare und Finanzanalysen erstellte.

Er kam im Jahr 2015 nach Frankfurt zu CMC Markets Deutschland, um seine langjährige Erfahrung einzubringen, mit deren Hilfe er die Finanzmärkte analysiert und aufschlussreiche Stellungnahmen für Medien wie auch für Kunden verfasst. Er ist zu Gast bei TV-Sendern wie Welt, Tagesschau oder n-tv, wird zitiert von Reuters, Handelsblatt oder DPA und sendet seine Einschätzungen über Livestreams auf CMC TV.

Jochen Stanzl verfolgt einen kombinierten Ansatz, der technische und fundamentale Analysen einbezieht. Dabei steht das 123-Muster, Kerzencharts und das Preisverhalten an wichtigen, neuralgischen Punkten im Vordergrund. Jochen Stanzl ist Certified Financial Technician” (CFTe) beim Internationalen Verband der technischen Analysten IFTA.

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