Richtungswahl ja - Reform-Big Bang nein<br />
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1. Im Vorfeld zur - nun mit sehr großer Wahrscheinlichkeit stattfindenden - vorgezogenen Bundestagswahl im Herbst war schon gelegentlich von einer "Richtungswahl" gesprochen worden. Richtungswahl deswegen, weil es sich abzeichnet, dass die sonst von einem hohen Maß an Grundkonsens geprägten Programme der Volksparteien bei dieser Wahl größere Unterschiede aufweisen könnten, um auf die drängenden ökonomischen Probleme des Landes Antwort zu geben. Mit der heutigen Vorlage des Wirtschaftsprogramms der CDU/CSU sind nun die Wahlplattformen komplett und lassen ein Urteil zu, ob dem Volk überhaupt grundsätzliche wirtschaftspolitische Alternativen zur Wahl angeboten werden.
2. Der Vergleich der Programme beider großer Volksparteien zeigt: Ja, es sind unterschiedliche Richtungen, in die die Wirtschaftsprogramme der Parteien zeigen. Der Winkel zwischen diesen Richtungen ist groß genug, um das Land vom gegebenen Standort aus in einigen Jahren zu unterschiedlichen Punkten zu führen. Das SPD-Programm lässt sich eher als behutsames "Nachbesserungs"-Konzept auf Basis der bereits eingeleiteten Reformen beschreiben. Dies spiegelt sich auch in der Rhetorik wider: "Soziale Gerechtigkeit", das "Primat der Politik" vor dem Markt und "Solidarität" sind die beherrschenden Stichworte. Das Gegenkonzept der heutigen Oppositionsparteien gibt sich veränderungsbetonter: Lohnnebenkosten und Steuersätze sollen grundsätzlich haushaltsneutral weiter gesenkt, der Arbeitsmarkt weiter dereguliert werden.
Keines der Programme der großen Parteien kann aber radikal genannt werden. Tabus werden nicht gebrochen. Insofern sind Vergleiche mit anderen großen Reformgeschichten wie sie etwa Großbritannien oder Neuseeland geschrieben haben, nicht angemessen. Chancen hierzu hätten etwa im Konzept eines bundesweiten Kombilohns ( statt eines "Kombi-Lohn-Modells") und damit eines Niedriglohnsektors gelegen; dieser Punkt wurde jedoch angesichts der damit verbundenen massiven Einschnitte in staatliche Unterstützungsleistungen und der zu befürchtenden Debatte um eine "working poor"-Problematik in den Hintergrund gedrängt.
Auch vermissen wir in all den Programmen etwas mehr Originalität: Mit einigen cleveren, gut aufeinander abgestimmten, medienwirksamen Maßnahmen könnte die Reformpsychologie stark beeinflusst werden. So hätte man etwa entlastende Maßnahmen wie eine Senkung von Lohnnebenkosten oder weitere Steuererleichterungen zeitlich ein bis zwei Quartale vor die zugehörigen Belastungen durch Gegenfinanzierungsmaßnahmen legen können. Dagegen kommen die meisten der geplanten Maßnahmen eher bieder und etwas durchgekaut daher. Viel wird - wie bisher - davon abhängen, in welchem Tempo und mit welcher medialen Begleitmusik die Reformen gemacht werden, also: wie sie handwerklich durchgeführt und vermarktet werden.
Angesichts der Breite des wirtschaftspolitischen Reformbedarfs in Deutschland - der sich unter anderem in einer Verschlechterung des BIP pro Kopf im europäischen Vergleich zeigt - , ist fraglich, ob auf Basis dieser Programme einer der Parteien der vielfach geforderte Befreiungsschlag ("Reform-Big Bang") aus der ökonomischen Misere des Landes gelingt.
3. Häufig hat man bislang die These gehört, es gäbe in Deutschland kein Diagnosedefizit, sondern ein Umsetzungsdefizit. Dieser These widersprechen wir: Nur ein Teil der Bürger, der Eliten, der öffentlichen Meinung und der Politik folgt der Diagnose, dass die wirtschaftlichen Rahmenregeln in Deutschland dringend zugunsten von mehr Eigenverantwortung und Leistungsbereitschaft verändert werden müssen. Viele Menschen haben den Eindruck, dass es gerade auch Veränderungen in die andere Richtungen sein müssen. In diesem Sinn ist die Wahl tatsächlich eine Richtungswahl.
Handlungsprogramm: Benchmark
4. Für unsere Konjunktur-, und Wachstumsprognosen und damit für fast alle marktbewegenden Makrodaten der kommenden Quartale wird die Beantwortung der folgenden Fragen wesentlich sein. Auch an Aktienund Rentenmärkten werden sie eine entscheidende Rolle spielen:
• Können die anvisierten Maßnahmen den Aufbau von Arbeitsplätzen in Deutschland und damit die Arbeitslosigkeit entscheidend beeinflussen? Hier sehen wir den dringendsten unmittelbaren Handlungsbedarf.
• Welche kurz- und mittelfristigen Auswirkungen ergeben sich für die Finanzhaushalte der Gebietskörperschaften?
• Werden die Sozialversicherungssysteme dauerhaft finanziell sicher gemacht?
• Wird das Steuersystem vereinfacht und dabei die Gesamtsteuerbelastung nicht erhöht?
• Welche Auswirkungen ergeben sich aus dem Gesamtpaket der Maßnahmen kurzfristig für die gesamtwirtschaftliche Nachfrage?
Handlungsprogramme vor der Wahl 1
SPD: Absicherung des Status quo und Nachbesserungen
5. Die SPD will bei einer erneuten Regierungsverantwortung im Wesentlichen an den bislang vollbrachten Reformwerken festhalten. Die Agenda 2010 ist weitgehend implementiert, man setzt jetzt auf die Langzeitwirkungen. Gesundheits- und Pflegekassen sollen grundsätzlich so wie bisher fortgeführt werden, bei einer Verbreiterung der Finanzierungsbasis (Bürgerversicherung). Von den weiteren Initiativen des Wahlmanifests sind einige bereits vor der Neuwahldiskussion beschlossen gewesen.
6. Bei der Einkommensteuer sollen besonders hohe Einkommen (für Einzelpersonen ab 250 Tsd Euro pro Jahr) einem Einkommensteuerzuschlag von 3 % unterworfen werden (so genannte "Reichensteuer"). Sofern diese Maßnahme nicht weitere Steuergestaltungs- und -vermeidungsaktivitäten (Abschreibungen, Wohnsitzverlagerungen) auslöst, ist mit Mehreinnahmen von gut 1 Mrd Euro zu rechnen. Ansonsten sollen auch aus Sicht der SPD Ausnahmetatbestände im Steuersystem abgeschafft werden. Welche und in welchem Umfang wird nicht gesagt, allerdings soll die Steuerfreiheit von Sonn- und Feiertagszuschlägen erhalten bleiben.
Private Haushalte sollen häusliche Modernisierungs- und Renovierungsarbeiten bis zu 3000 Euro jährlich zu 20 % steuerlich absetzen können. Ein neuer Ausnahmetatbestand im Steuerrecht würde geschaffen. Mitnahmeeffekte würden erheblich sein. Zusätzliche Aktivitäten oder die Herauslösung von Arbeit aus der Schattenwirtschaft wären gering. Reguläre Arbeitsplätze im Handwerk würden hierdurch kaum entstehen. Wir ordnen diese Maßnahme als eine generelle Steuererleichterung für Mittelklassehaushalte in einer gesamten Höhe von etwa 3 Mrd Euro ein. Zur Gegenfinanzierung wird nichts gesagt.
Die Körperschaftsteuer soll von 25 auf 19 Prozent gesenkt werden. Dieser Punkt wurde bereits nach dem Jobgipfel beschlossen und ins Wahlprogramm übernommen und findet sich auch bei der CDU/CSU. Dies kostet etwa 4 Mrd Euro, soll aber aufkommensneutral geschehen, also vollständig aus dem Unternehmensbereich gegenfinanziert werden, ohne dass diese Gegenfinanzierung genannt wird. Die nominalen Steuersätze sinken, was die Attraktivität des Produktionsstandorts Deutschland insbesondere im internationalen Steuervergleich stärkt, der für die Standortwahl internationaler Konzerne wichtig ist. Die tatsächliche Steuerlast dürfte sich nicht verändern.
Ein Investitionsprogramm über vier Jahre von jährlich 500 Mio Euro in Straßen und Schienennetze ist ebenfalls bereits in die Haushalte eingeplant. Dies verbessert die Infrastruktur in Deutschland. Arbeitsplatzeffekte sind angesichts der geringen Höhe des Programms relativ gering.
7. Bei den Sozialversicherungen setzt das SPD-Programm auf die bisherigen Reformen. Sie sieht die Unternehmen in der Pflicht, auf die bisherigen reformbedingten Beitragssatzsenkungen mit einem erhöhten Arbeitsplatzangebot zu reagieren. Allerdings sind die Beitragssätze von 1998 bis heute um lediglich 0,4 Prozentpunkte gesunken. Weitere demografisch bedingte Herausforderungen der Sozialsysteme soll das Konzept der "Bürgerversicherung" meistern: Alle bislang nicht erfassten Bürger (insbesondere Selbständige, Freiberufler, Privatversicherte) sollen nach ihrer Leistungsfähigkeit in Krankenkassen und Pflegekassen einzahlen. Damit bleibt das Prinzip erhalten, dass bei Geldknappheit der Sozialkassen über die Arbeitgeberbeiträge die Lohnkosten steigen. Wir rechnen nach der moderaten Kostendämpfung durch die letzte Gesundheitsreform spätestens in zwei Jahren mit erneutem Finanzbedarf der Krankenkassen, da die Ausgabendynamik in der jüngsten Reform nicht nachhaltig angegangen wurde. Einzig bei der Rentenversicherung sehen wir nur noch gemäßigten Reformbedarf: Nach der umfassenden Anpassung der Rentenformel durch die jetzige Regierung fehlt nur noch die Verlängerung der Lebensarbeitszeit um etwa 2 Jahre, um die Rentenkassen dauerhaft zukunftssicher zu machen. Diese Anpassung findet sich allerdings im SPD-Programm nicht.
Die Arbeitsmarktordnung soll nicht verändert werden. Weiterhin sollen alle Fragen von Arbeitszeit und Lohnhöhe in Flächentarifverträgen durch die Tarifvertragsparteien gelöst werden, der Kündigungsschutz bleibt in der gegenwärtigen Form bestehen. Hartz IV bleibt mit einigen Nachbesserungen in Kraft (Verlängerung der Bezugsdauer: Kosten 6 Mrd Euro, Anhebung Regelsätze in Ostdeutschland: Kosten 0,6 Mrd Euro). Die mit Hartz IV einhergehenen ungeplanten Mehraufwendungen in Höhe von ca 10 Mrd Euro jährlich sind - je nach Erfolg der Arbeitsmarktreformen - auch in den kommenden Jahren von den öffentlichen Haushalten zu tragen. Das Arbeitnehmer-Entsendegesetz soll wie geplant auf alle Branchen erweitert werden. Ein gesetzlicher Mindestlohn wird überall dort eingeführt, wo die Tarifvertragspartner dies nicht freiwillig tun.
8. Die Familienpolitik wird gestärkt durch die Umwandlung des Erziehungsgeldes in ein höheres Elterngeld in Höhe von 67 % des letzten Nettolohnes für ein Jahr. Die Zusatzkosten dieses Programms schätzen wir auf 2 Mrd jährlich. Auch hierzu gibt es keine Finanzierungsaussagen.
Bei vielen weiteren Ideen bleibt das Programm zu unkonkret, um Effekte abschätzen zu können, so etwa bei der Entwicklung des Betätigungssektors Haushaltsdienstleistungen oder bei weiteren Programmen zur Innovationsförderung.
9. Fazit: Die SPD ist der Auffassung, dass mit der Agenda 2010, mit Gesundheits- und Rentenreform sowie mit der Steuerreform und den beim Jobgipfel beschlossenen Steuervorschlägen im Wesentlichen genug und erfolgreich reformiert wurde in Deutschland und dass man nun die ökonomischen Wirkungen abwarten muss. Darüber hinaus zeigen sich an vielen Stellen des Programms Aussagen, die bisherige Auslegung der Agenda 2010 in der Öffentlichkeit - als veränderungsbereite Anpassung der Sozialsysteme an die Realitäten - in eine andere Richtung lenken: hin auf eine Betonung der Bewahrung und Verteidigung des erreichten Standards.
In dem hier anvisierten wirtschaftspolitischen Regierungsprogramm sehen wir keine wesentlichen Veränderungen zum Status quo. Bei einer Umsetzung dieses Programms bliebe für Konjunktur und Wachstums perspektiven alles beim Alten: Am Arbeitsmarkt erwarten wir eine leichte Verringerung der Arbeitslosigkeit, im laufenden Jahr, teilweise aufgrund der Bereinigung der Statistik um nicht arbeitsfähige ehemalige Sozialhilfeempfänger, im kommenden Jahr zusätzlich aufgrund leichter Konjunkturimpulse.
Bei den Sozialversicherungen sehen wir größere Finanzierungsprobleme, als sie durch eine Bürgerversicherung behoben werden können, dies gilt insbesondere für die Kranken- und Pflegekassen. Die geringe Beitragssatzentlastung trotz umfangreicher Leistungskürzungen in der jüngsten Vergangenheit deuten auf die Dimension der Finanzprobleme hin. Die nächste Gesundheitsreform wäre vorprogrammiert, denn wie die Union bleibt die SPD eine Reform der Ausgabenseite schuldig.
Mangels Finanzierungsaussagen in den meisten Fällen bleiben die Nachfragewirkungen des SPDProgramms unsicher. Die angekündigten Maßnahmen sehen Ausgaben oder Mindereinnahmen von etwa 20 Mrd EUR vor. Aussagen zur Höhe von Gegenfinanzierungen, etwa durch die Streichung von Ausnahmetatbeständen im Einkommensteuerrecht gibt es nicht, außer dass die Mehrwertsteuer nicht erhöht werden und die Sonn- und Feiertagszuschläge weiterhin steuerfrei bleiben sollen. Bei einer vollständigen Streichung der Eigenheimzulage sowie anderer Steuervergünstigungen (Pendlerpauschale, Absetzungstatbestände) wäre eine Gegenfinanzierung in etwa dieser Höhe möglich, so dass die Staatsverschuldung gleich bliebe und die gesamtwirtschaftliche Nachfrage sich rein saldenmechanisch nicht verändern würde.
Unserer Meinung nach stehen jedoch beide (Angebots- und Nachfrage-) Wirkungen des Wahlmanifests in keiner Relation zu den Dimensionen der gesamtwirtschaftlichen Problemlage Deutschlands.
CDU/CSU: Wirtschaftspolitisches Neuland?
10. Von der CDU wird ein ganzes Bündel an Maßnahmen zur Deregulierung des Arbeitsmarktes in Erwägung gezogen. Dazu zählt beispielsweise für Neueinstellungen die Heraufsetzung der Betriebsgröße, ab der der Kündigungsschutz gilt, auf 20 Arbeitnehmer. Ein zu restriktiver Kündigungsschutz verringert die Bereitschaft der Unternehmen, bei einer wirtschaftlichen Belebung schnell Arbeitnehmer einzustellen. Zudem soll die Neuregelung nur für neu eingestellte Arbeitnehmer gelten.
Die Verbesserung der Möglichkeit betrieblicher Bündnisse für Arbeit auch gegen den Willen der Tarifpartner ist ebenfalls positiv zu bewerten. Konkret geht es um den § 77 Absatz 3 des Betriebsverfassungsgesetzes, gemäß dem selbst in nicht tarifgebundenen Unternehmen keine Betriebsvereinbarungen über das Arbeitsentgelt und sonstige Arbeitsbedingungen abgeschlossen werden dürfen, wenn diese in einem Tarifvertrag geregelt sind oder üblicherweise geregelt werden. Ergänzende Betriebsvereinbarungen sind nur möglich, wenn der Tarifvertrag dies ausdrücklich zulässt. Es ist zu begrüßen, wenn zumindest nicht tarifgebundene Unternehmen von den Zwängen des § 77 Absatz 3 freigestellt werden. Das deutsche Arbeitsrecht bietet aber weitere Ansatzpunkte für Reformen, wie zum Beispiel das durch das Richterrecht viel zu restriktiv ausgelegte Günstigkeitsprinzip des § 4 Absatz 3 des Tarifvertragsgesetzes, das eine Abwägung zwischen Arbeitsplatzsicherheit und Zugeständnissen bei der Entlohnung oder den Arbeitszeiten nicht zulässt. Solche Abwägungen sollen in Zukunft möglich werden, wenn die Zustimmung von zwei Dritteln der Belegschaft vorliegt.
Sehr vage wird über die Einführung eines Kombilohns nachgedacht. Die damit verbundene Einführung eines Niedriglohnsektors für Geringqualifizierte trägt der geringeren Produktivität von Langzeitarbeitslosen Rechnung und erlaubt ihnen, sich wieder in den Arbeitsprozess einzugliedern. Um soziale Härten zu vermeiden, sollen Lohnzuschüsse bis über Sozialhilfeniveau gewährt werden.
11. Die Lohnnebenkosten sollen abgesenkt werden. In der Planung ist zunächst die Reduzierung des Beitragssatzes für die Arbeitslosenversicherung zum 1. Januar 2006 von derzeit 6,5 % auf 4,5 % (Kosten: ca. 15 Mrd Euro). Dies reduziert die Kosten für den Faktor Arbeit und macht diesen für Unternehmen attraktiver. Gleichzeitig nehmen die verfügbaren Einkommen der Hauhalte zu, was deren Konsummöglichkeiten verbessert. Finanziert werden soll dies durch die Erhöhung des Umsatzsteuersatzes von 16% auf 18% (Mehreinnahmen: ca. 16 Mrd für Bund und Länder). Alle arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen sollen auf den Prüfstand und, wenn sie sich als unwirksam oder ineffizient erweisen, abgeschafft werden.
Die von der Union geplante Einführung einer Gesundheitsprämie friert zwar den Unternehmensbeitragssatz bei 6,5 % ein, doch eine Entkopplung von der Lohnentwicklung wird nicht erreicht. Der Arbeitnehmeranteil soll 109 Euro betragen. Übersteigt dieser die Grenze von 7% des Einkommens, so sollen - genauso wie für die Krankenversicherungsbeiträge für Kinder - steuerfinanzierte Zuschüsse gewährt werden. Letztendlich ist die Gesundheitsprämie der Union ein Kompromiss der unterschiedlichen Sichtweisen von CDU und CSU, der gegenüber der bisherigen Situation kaum Vorteile, dafür aber eine höchst komplizierte Neuregelung und in der Umsetzung Schwierigkeiten mit sich bringt. Die grundsätzliche Problematik steigender Ausgaben im Gesundheitssystem wird durch diese Reform der Einnahmenseite aber nicht gelöst. Ohne eine Reform der Ausgabenseite wird - wie das Beispiel der Schweiz zeigt - die steuerliche Bezuschussung kontinuierlich zunehmen. In letzter Konsequenz wird damit das Finanzierungsproblem von den Unternehmen auf den Staat verlagert. Wir schätzen die zusätzlich benötigten Steuermittel auf 20 Mrd Euro.
Die Einnahmeprobleme der Pflegeversicherung sollen durch die Einführung kapitalgedeckter Elemente entschärft werden. Stärker noch als bei der Krankenversicherung werden sich die demographischen Probleme bei der Pflegeversicherung zeigen. Soll diese zukunftssicher gemacht werden, ist eine zügige Abkehr vom Umlageverfahren unerlässlich. Wenngleich diese Erkenntnis in der CDU spät reift, so ist es dennoch nicht zu spät, diesen sinnvollen Weg zu beschreiten. Die ursprünglich diskutierte Erhöhung des Renteneintrittsalter ab 2011 auf 67 Jahre ist vom Tisch. Diese zur mittelfristigen Stabilisierung der Einnahmen der Rentenversicherung sinnvolle - und auch von der Rürup-Kommission empfohlene - Maßnahme vermissen wir.
12. Die Union will die Unternehmen weiter steuerlich entlasten. Dazu plant sie, die auf dem Jobgipfel beschlossene Senkung der Körperschaftsteuer umzusetzen, allerdings in geringerem Umfang: Der Steuersatzes soll zum 1. Januar 2007 von 25 % lediglich auf 22 % und nicht wie ursprünglich geplant auf 19 % verringert werden (Mindereinnahmen: ca. 2 Mrd Euro). Diese Maßnahme kommt allerdings nur Kapitalgesellschaften zugute, der Mittelstand profitiert davon nicht. Um auch die Personengesellschaften zu entlasten, soll der Spitzensteuersatz ebenfalls zum 1. Januar 2007 von 42 % auf 39 % abgesenkt und eine höhere Anrechnung der Gewerbesteuer ermöglicht werden. Zur sozialen Flankierung soll zudem der Eingangssteuersatz von 15 % auf 12 % verringert werden und ein Freibetrag von 8.000 Euro für jede Person (Erwachsene und Kinder) eingeführt werden. Zur Finanzierung dieser Maßnahmen sowie des geplanten Kinderbonus sollen Steuervergünstigungen gekürzt oder gestrichen werden. So sollen die Pendlerpauschale (Gesamtvolumen bislang: 5 Mrd Euro) gekürzt werden und die Eigenheimzulage (Gesamtvolumen bislang: 11 Mrd Euro), die Steuerfreiheit von Sonn-, Feiertags- und Nachtzuschlägen innerhalb von sechs Jahren (Gesamtvolumen bislang: 1,9 Mrd Euro) sowie Verlustverrechnungen bei Fondsmodellen abgeschafft werden (Volumen: 3 Mrd Euro) abgeschafft werden. Auf der Unternehmensebene soll die Steuerfreiheit der Veräußerungsgewinne von Unternehmensbeteiligungen abgeschafft werden. Nachdem die Deutschland-AG entflochten wurde, spricht nur wenig dafür, diese Steuerfreiheit beizubehalten. Ferner wird die degressive Abschreibung durch eine lineare Abschreibung ersetzt.
Ferner soll der Umsatzsteuersatz von 16 % auf 18 % erhöht werden, was ungefähr 16 Mrd Euro in die Staatskassen spült, die allerdings nur zu rund der Hälfte dem Bund zur Verfügung stünden. Eine Erhöhung des Umsatzsteuersatzes kann in der Übergangsphase zu Wirren führen. So ziehen die Haushalte vor der Erhöhung Käufe vor, um noch in den Genuss der geringeren Steuersätze zu kommen. Danach fehlt aber dieser Konsum erst einmal. Diese Reaktion könnte angesichts des starken, aufgestauten Nachholbedarfs in der gegenwärtigen Situation besonders stark ausfallen. Ferner wird über zwölf Monate die Inflationsrate um rund einen Prozentpunkt ansteigen. Das könnte die Verbraucherstimmung negativ beeinflussen.
Was soll dieser Steuerverschiebebahnhof? Aus Wachstumsaspekten ist eine Umschichtung von direkten Steuern wie der Einkommensteuer hin zu indirekten Steuern wie der Umsatzsteuer zwar zu begrüßen: Auch wenn es bei der Steuerreform zu keiner Nettoentlastung kommen sollte, ist eine Absenkung der Steuersätze bei Streichung steuerlicher Ausnahmetatbestände sinnvoll. Das deutsche Steuersystem ist über die Jahrzehnte hinweg zu einem kaum mehr durchschaubaren Dschungel herangewachsen, den zu lichten für alle mehr Transparenz schafft. Die Effekte werden jedoch nur langfristig wirken. Für schnelle Erfolge, gar noch am Arbeitsmarkt, eignet sich die Maßnahmen nicht, kurzfristig mag sogar die Gesamtnachfrage gedämpft werden.
13. Fazit: Am Arbeitsmarkt werden mit der Verminderung von Steuern und Abgaben mittelfristig Erfolge zu verzeichnen sein. Die Chance auf schnelle Wirkungen wurde mit der faktischen Aufgabe des Kombilohnmodells vertan. Immerhin kommt die Deregulierung ein gutes Stück voran. Das Ziel, die sozialen Sicherungssysteme zukunftssicher zu machen, wird mit Blick auf die Krankenversicherung verfehlt. Um die Altersicherung eines jeden einzelnen zukunftssicher zu machen, hätte nicht nur das Renteneintrittsalter angehoben werden müssen, sondern auch über andere Anreize oder gar Verpflichtungen die kapitalgedeckte Eigenvorsorge werden müssen. Das Steuersystem wird in die richtige Richtung weiterentwickelt. Kritisch ist allerdings anzumerken, dass die Reform der Einkommen- und Körperschaftsteuer erst zum 1.01.2007 terminiert ist. Man könnte darüber hinaus mit mehr Mut an die Streichung steuerlicher Vergünstigungen herangehen und sollte die Überprüfung der Ausgabenseite nicht aus den Augen verlieren. Sollte es zu der geplanten Gleichbehandlung von Personen- und Kapitalgesellschaften kommen, wäre dies ein weiterer richtiger und wichtiger Schritt.
Die beschlossenen Maßnahmen werden den Haushalt weder belasten, noch eine deutliche Verringerung der Haushaltsdefizite erreichen. Allerdings mag es kurzfristig auch sinnvoll sein, die oftmals für die Konjunktur belastende Anfangsphase eines kompakten Reformpakets durch die temporäre Hinnahme einer Unterfinanzierung zu entschärfen. Dies darf aber nur in einer Übergangsfrist gelten, langfristig kommt man nicht um eine konsequente Konsolidierungspolitik herum.
Insgesamt ist das Reformpaket der Union ein Fortschritt, doch in einzelnen Bereichen bleibt die Union hinter den Erwartungen zurück: Die Gesundheitsprämie wird nur wenig zur Verringerung der Beitragssätze leisten können und entkoppelt zudem die Beiträge nicht von der Lohnentwicklung. Auch bei der Einführung von Kombilohnmodellen hätten wir uns konkretere Aussagen gewünscht. Schließlich hätte die Union gut daran getan, die Umsatzsteuererhöhung um ein Quartal zu verschieben. Die daraus resultierenden statistischen Effekte hätten sich positiv auf das Jahreswachstum 2006 ausgewirkt und damit die Wahrnehmung der Reformen in der Öffentlichkeit gestärkt. Zu berücksichtigen ist außerdem, dass kurzfristige Erfolge nur von positiven Erwartungseffekten der Haushalte und Unternehmen kommen können. Reformen brauchen Zeit bis sie wirken und haben oftmals in der Anfangsphase sogar negative Auswirkungen. Umso wichtiger wäre ein beherzterer Zeitplan auch unter Hinnahme einer temporären Nettoentlastung gewesen. So werden die Auswirkung auf die Gesamtwirtschaft zwar unterm Strich positiv sein, aber hinter den Hoffnungen und Erwartungen zurückbleiben.
Märkte und Konjunktur?
14. Nach dem vorletzten Regierungswechsel, genauer nach dem Misstrauensvotum gegen die Regierung Schmidt im September 1982, stieg der Ifo-Geschäftsklimaindex sprunghaft an. Sind bei einem eventuellen Regierungswechsel ähnliche Stimmungswandel zu erhoffen?
Bei den Wirkungen weiterer Reformschritte muss man realistisch bleiben. Es wird auch bei der Umsetzung neuer Reformschritte bis ins Jahr 2007 oder sogar noch länger dauern, bis sich Trends anfangen zu verändern. Dies ist die Lehre aus den Reformgeschichten anderer Länder. Bezieht man ein, dass die Reformdynamik generell enttäuschend ausfällt, ist mit wesentlichen Reaktionen an Märkten und in der Gesamtwirtschaft in 2006 kaum zu rechnen. Die Konjunkturprognose für Deutschland für 2006 wird daher mit 1,5 Prozent unabhängig vom Wahlausgang ausfallen. Im Jahr 2007 wird sich Deutschland vermutlich gegen weltwirtschaftliche Schwächetendenzen stemmen müssen. Ob bis dahin die Binnennachfrage fit ist, bezweifeln wir.
An den Aktienmärkten wurden für einen Regierungswechsel anscheinend schon Vorschussloorbeeren verteilt, was in gewissem Ausmaß gerechtfertigt erscheint, aber auch nicht zu Übertreibungen führen darf. Die Zinsentwicklung sehen wir auch mit neuen Reformmaßnahmen eher in den jetzigen Dimensionen verharren: Angebotsseitige Reformen wirken sich zunächst vermutlich eher zinsdämpfend aus. Da wir nicht mit einem sofort einsetzenden Investitionsboom rechnen, sind Zinsstiegerungen auch von hier nicht zu erwarten. Eine Mehrwertsteuererhöhung von 2%-Punkten wird zu einer vorübergehenden Erhöhung der Inflationsrate um etwa einen Prozentpunkt in Deutschland führen. Dies dürfte jedoch die EZB nicht zu einer frühzeitigen Zinserhöhung animieren.
Quelle: DekaBank
Die DekaBank ist im Jahr 1999 aus der Fusion von Deutsche Girozentrale - Deutsche Kommunalbank- und DekaBank GmbH hervorgegangen. Die Gesellschaft ist als Zentralinstitut der deutschen Sparkassenorganisation im Investmentfondsgeschäft aktiv. Mit einem Fondsvolumen von rund 130 Mrd. Euro gehört die DekaBank zu den größten Finanzdienstleistern Deutschlands. Im Publikumsfondsgeschäft hält der DekaBank-Konzern einen Marktanteil von etwa 20 Prozent.
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