Referenden zur EU-Verfassung
- Lesezeichen für Artikel anlegen
- Artikel Url in die Zwischenablage kopieren
- Artikel per Mail weiterleiten
- Artikel auf X teilen
- Artikel auf WhatsApp teilen
- Ausdrucken oder als PDF speichern
Phil Cliff, Fondsmanager des Threadneedle Pan European Accelerando Fund, erläutert seine Sichtweise bezüglich der bevorstehenden Referenden zur EU-Verfassung
Die Kommentare und Analysen hinsichtlich der bevorstehenden Referenden zur EU-Verfassung füllen Bände. Laut der jüngsten Umfrage haben sich 25% der Franzosen noch nicht entschieden. Von den übrigen würden 51% mit nein und 49% mit ja stimmen, während angeblich drei Viertel der niederländischen Wähler unschlüssig sind. Da lohnt es sich kaum, sich an den Spekulationen über den Ausgang dieser zwei Wahlgänge zu beteiligen. Interessanter sind die voraussichtlichen Auswirkungen der Wahlergebnisse auf die Märkte.
1. Szenario: Positives Votum in Frankreich und positives Votum in den Niederlanden
Dieses Ergebnis ist kurzfristig am uninteressantesten, da es die Aufmerksamkeit lediglich auf das nächste Land lenken würde, in dem das Referendum abgehalten wird. In Luxemburg stehen die Abstimmungen im Juli an, und in Dänemark finden sie voraussichtlich im September statt. Weitere Referenden sind für Irland, Portugal, die Tschechische Republik, Portugal und Großbritannien geplant. In der Zwischenzeit würde der Markt die Was-wäre-wenn-Szenarien, die wir aus den vergangenen Monaten kennen, weiter durchspielen.
Wenn alle diese Abstimmungen und die Ratifizierungen in den Parlamenten derjenigen Länder, die sich für ein solches Vorgehen entschieden haben, positiv verlaufen, befinden wir uns in einer neuen Welt mit einheitlichen Arbeitsgesetzen und einer überregionalen EU-Aufsicht über viele Bereiche der Gesetzgebung, vom Transportwesen über die Einwanderung bis hin zur Außenpolitik und der Raumfahrt.
Dieses Szenario fürchten sowohl der linke Flügel in Frankreich (der davon ausgeht, dass es zu stärker angelsächsisch geprägten Arbeitsgesetzen kommen könnte und sich die historische Macht der Gewerkschaften verringern würde) als auch der rechte Flügel in Großbritannien (wo die Angst vor der Übernahme europäischer Arbeitsgesetze Spekulationen über das Erstarken der Gewerkschaften und eine Lähmung des Arbeitsmarktes nach dem Vorbild der 70er Jahre auslöste).
Beide Argumente sind nicht vollständig von der Hand zu weisen, denn die neuen Gesetze befänden sich irgendwo zwischen der aktuellen britischen und französischen Rechtslage. Welche Konsequenzen hätte dies für die Investoren? Die reflexartige Schlussfolgerung „Großbritannien verkaufen, Europa kaufen“ könnte ein wenig voreilig sein. Da das britische Wirtschaftswachstum im Jahr 2006 das Wachstum in Kontinentaleuropa voraussichtlich immer noch übersteigen dürfte und die Unternehmen ohne weiteres Arbeit in andere Länder auslagern können, wären die Ratifizierungen für britische Unternehmen nicht komplett negativ.
Aus gesamteuropäischer Sicht würde eine vollständige Ratifizierung das derzeitige „Opting-Out-System“ durch ein einfacheres Mehrheitswahlrecht ersetzen, das theoretisch den Weg für die Aufnahme weiterer potentieller Mitglieder in die Union und den Euro erleichtern würde. Das könnte das Vertrauen in die Wirtschaft und die Risikobereitschaft der Investoren steigern, und das wären gute Nachrichten für gesamteuropäische Aktien.
2. Szenario: Positives Votum in Frankreich und negatives Votum in den Niederlanden
Was geschehen würde, wenn die Verfassung in einem Land wie den Niederlanden nicht ratifiziert würde, ist unklar. Wahrscheinlich würden die Parolen in den unentschlossenen Ländern zunehmend aggressiver und möglicherweise würde eine fortgesetzte Diskussion zu Marktvolatilitäten führen, aber das Investmentumfeld würde sich nicht über Nacht verändern.
3. Szenario: Negatives Votum in Frankreich
Kurzfristig wäre das sehr interessant. Es existieren zwar keine eindeutigen Regeln für den Fall, dass ein großes Land die Verfassung ablehnt, aber ein negatives Votum der Franzosen würde die Verfassung mit Sicherheit torpedieren und der EU-Erweiterung einen Schlag versetzen. Sehr wahrscheinlich würden andere Länder bei einem Nein aus Frankreich für eine Überarbeitung der Verfassung plädieren – und vermutlich würde sich auch London dieser Forderung anschließen, denn ein solches Ergebnis würde Tony Blair von einem möglicherweise unbequemen Referendum in Großbritannien befreien, das derzeit für 2006 auf der Agenda steht.
Wichtiger für uns ist die Frage, wie die Märkte auf ein negatives Votum reagieren würden. Kurzfristig wäre nur eines sicher: Unsicherheit. Die Marktteilnehmer wären besorgt über den Weiterbestand des Euro (obwohl dies unseres Erachtens eine grundlose Sorge ist) und über die Aussichten für die jüngsten EU-Beitrittsländer. Weite Kreise gehen davon aus, dass ein negatives Votum für diese Nationen keine gute Nachricht wäre, aber wir sind uns da nicht so sicher. Tatsächlich müssten sie wahrscheinlich längere Wartezeiten bis zur Übernahme des Euro in Kauf nehmen und ihr erst kürzlich errungener Status als „Konvergenzländer“ würde teilweise in Mitleidenschaft gezogen. Dennoch würden sie auch weiterhin von den Vorteilen des freien Handels profitieren. Und in vielen Fällen sind die Arbeitsgesetze in diesen Ländern flexibler als diejenigen, die ihnen von der EU-Verfassung vorgeschrieben würden.
Gut geführte Unternehmen, die in einer einigermaßen starken Wirtschaft in den Randstaaten Europas gute Produkte herstellen, werden sich in einem solchen Szenario gut entwickeln. Während sich der Markt noch mit den politischen Feinheiten der nächsten Ereignisse befasst, sind wir bereits heute der Meinung, dass ein negatives Votum hervorragende Chancen schaffen würde, diese Unternehmen zu günstigen Bewertungen zu erwerben. Und wenn sich Verwirrung und Unsicherheit am Markt breit machen, wie wir es infolge eines französischen „non“ erwarten, werden wir genau das tun.
Philip Cliff wird am 1. Juli 2005 die Verantwortung für den Threadneedle European Select Growth Fund übernehmen.
Quelle: Threadneedle
Die britische Fondsgesellschaft Threadneedle Investments wurde 1994 gegründet und zählt mit einem verwalteten Anlagevolumen von 86 Milliarden Euro - davon 18,8 Milliarden Euro in Publikumsfonds - zu den namhaftesten Investmentgesellschaften in Europa (Stand: 30.06.2004). Das gesamte Investmentteam, aber auch die Fonds verdienen sich Jahr für Jahr Höchstnoten von renommierten Rating-Agenturen.
Keine Kommentare
Die Kommentarfunktion auf stock3 ist Nutzerinnen und Nutzern mit einem unserer Abonnements vorbehalten.