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14:09 Uhr, 05.12.2023

Rechtsexperten halten Budget 2023 überwiegend für verfassungskonform

Von Andreas Kißler

BERLIN (Dow Jones) - Rechtsexperten haben bei einer Anhörung im Bundestagshaushaltsausschuss ein überwiegend zustimmendes Urteil zur Verfassungsmäßigkeit des von der Regierung eingebrachten Nachtragshaushalts für 2023 gefällt. Einige Sachverständige sahen bei der Anhörung allerdings auch verfassungsrechtliche Probleme vor allem mit Blick auf die Behandlung von Sondervermögen.

"Die in den vorliegenden Gesetzentwürfen vorgesehenen Maßnahmen stellen sich im Ganzen als nachvollziehbare Anpassungen des Haushalts dar", erklärte der Heidelberger Finanz- und Steuerrechtsprofessor Hanno Kube. "Ich sehe gewisse Probleme in Begründungselementen des Notlagenbeschlusses, aber insgesamt halte ich den Beschluss und das Nachtragshaushaltsgesetz für nachvollziehbar und vertretbar", sagte er in der Anhörung. In der Ausnahmesituation, in der man sich jetzt letztlich infolge des Urteils zum Ende des Jahres befinde, sei es "bei einem verbleibenden verfassungsrechtlichen Risiko" auch vertretbar, dass der Notlagenbeschluss rückwirkend gefasst werde.

Mit dem Nachtragshaushalt will die Regierung nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts die Finanzierung des Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF) sowie des Sondervermögens "Aufbauhilfe 2021" sichern. Vorgesehen ist eine Einnahme aus Krediten in Höhe von 43,2 Milliarden Euro für aus dem WSF gezahlte Mittel und eine Zuweisung von 1,6 Milliarden Euro aus dem Bundeshaushalt an das Sondervermögen für die Flut-Aufbauhilfe. Damit liegt die für die Schuldenregel relevante Kreditaufnahme bei 70,61 Milliarden Euro - also 44,8 Milliarden Euro über der zulässigen Kreditaufnahme. Diese erhöhte Schuldenaufnahme soll mit einem Notlagenbeschluss des Bundestags zur Ausnahme von der Schuldenbremse ermöglicht werden.

Nachtragshaushalt als verfassungsnotwendig bezeichnet 

Der Berliner Staatsrechtler Alexander Thiele betonte, sowohl der Nachtragshaushalt 2023 als auch der Beschluss zur Aussetzung der Schuldenbremse erwiesen sich "als verfassungsgemäß". Es sei nicht ersichtlich, dass hier zentrale Aspekte vonseiten des Haushaltsgesetzgebers nicht berücksichtigt worden wären. "Die Annahme einer Notlage für das Jahr 2023 hält damit einer verfassungsrechtlichen Prüfung unter Berücksichtigung der Vorhaben des Bundesverfassungsgerichts stand", befand er. Der Beschluss eines Nachtragshaushalts und die Erklärung einer Notlage seien vermutlich sogar "der einzig gangbare Weg", um einen verfassungsmäßigen Gesamthaushalt aufzustellen. Insofern sei "dieser Nachtragshaushalt nicht nur verfassungsgemäß, sondern nachgerade verfassungsnotwendig".

Auch der Rechts- und Wirtschaftswissenschaftler Armin Steinbach hielt das Vorgehen für verfassungsmäßig. Die Gesetzentwürfe begegneten im Lichte des Karlsruher Urteils "keinen durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken", erklärte der in Paris lehrende Professor. Im Hinblick auf eine mögliche Inanspruchnahme der Notlage für das 2024 ergäben sich im Lichte des Urteils "zwar enge Grenzen, die das Vorliegen einer anhaltenden Notsituation bei entsprechender Begründung aber nicht ausschließen". Der Trierer Rechtsprofessor Henning Tappe erklärte seinerseits, es sei zwar grundsätzlich nicht unproblematisch, Kreditermächtigungen noch nachträglich zu erteilen. Mit Blick auf die besondere rechtliche Situation, die durch das Urteil entstanden sei, "erscheint es jedoch angebracht, hier ausnahmsweise eine rückwirkende Korrektur zuzulassen", betonte er.

Rechnungshof sieht verfassungsrechtliches Problem 

Kritik kam allerdings vom Bundesrechnungshof. Aus Sicht der Behörde bleibe der Bundeshaushalt 2023 auch unter Berücksichtigung der Entwürfe eines Nachtragshaushaltsgesetzes 2023 und eines Notlagenbeschlusses "verfassungsrechtlich äußerst problematisch", heißt es in ihrer Stellungnahme. "Dies ergibt sich bereits daraus, dass - anders als es das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vorgibt - nicht die Kreditaufnahme für sämtliche der Schuldenregel unterfallende Sondervermögen in die Berechnung des nach der Schuldenregel Zulässigen einbezogen wird." Auch könne eine rückwirkende Legitimation bereits getroffener Entscheidungen "mit dem parlamentarischen Budgetrecht in verfassungsrechtlich bedenklicher Weise in Konflikt stehen".

Auch der Vorsitzende des Unabhängigen Beirats des Stabilitätsrats, der Finanzwissenschaftler Thiess Büttner, äußerte sich kritisch zum Vorgehen der Regierung. "Ich bin sehr erstaunt, dass die Bundesregierung bei der Ermittlung der Nettokreditaufnahme unverändert die im Zuge des zweiten Nachtragshaushalts eingeführte geänderte Buchungsregel anwendet", sagte er. Karlsruhe habe klargestellt, dass im Hinblick auf die Schuldenbremse und die Obergrenze eine Einheit von Kernhaushalten und unselbstständigen Sondervermögen gelte. Deshalb müssten die Defizite in den Sondervermögen auf die Nettokreditaufnahme des Bundes angerechnet werden. Zusätzliche 18 Milliarden Euro würden hier nicht veranschlagt. "Ich halte das für problematisch", betonte Büttner.

Der Rechtswissenschaftler Joachim Wieland ließ eine solche Argumentation jedoch nicht gelten. "Das Urteil bezieht sich nur auf Sondervermögen, die Notlagenkredite in Anspruch nehmen" stellte er klar. "Etwas anderes hatte das Bundesverfassungsgericht nicht zu entscheiden." Das Gericht habe zwar weisende Hinweise gegeben, aber kein Lehrbuch des Haushaltsverfassungsrechts geschrieben. Das Urteil beziehe sich nicht auf andere Sondervermögen. Der Notlagenbeschluss entspreche den vom Gericht gestellten Anforderungen. Auch Tappe erklärte, das Gericht habe sich "nur mit Notlagenkrediten befasst, nicht mit Rücklagen, nicht mit Sondervermögen allgemein und auch nicht mit der Buchungssystematik allgemein".

Mit Blick auf die Wirtschaftslage bestünden verschärfende Gründe wegen des Ukraine-Kriegs mit seinen humanitären, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Auswirkungen "auch 2023 weiterhin fort", erklärte die Vorsitzende der fünf Wirtschaftsweisen, Monika Schnitzer. "Sie beeinträchtigen auch im Jahr 2023 erheblich die staatliche Finanzlage". Ein abruptes Ende dieser Auswirkungen zum Jahresende zeichne sich nicht ab. Allerdings wäre es aus Transparenzgründen "besser gewesen, damals schon konkret die Notlage, die wir als gegeben gesehen haben, über das Jahresende 2022 hinaus auch für 2023 zu formulieren", hob sie hervor. Dies habe der Sachverständigenrat bereits damals in einem Gutachten angemahnt.

Kontakt zum Autor: andreas.kissler@wsj.com

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