Reaktionen auf die Pandemie
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Die Ereignisse der letzten vier Wochen waren beispiellos, und zwar nicht nur an den Finanzmärkten. Die Ausbreitung des neuartigen Coronavirus (Covid-19) sorgt in immer mehr Ländern weiterhin für eine immense Unsicherheit. Wir wollen Sie nicht mit der aktuellen Zahl der Infektionen in Deutschland oder anderswo belästigen, denn zum Veröffentlichungszeitpunkt dieser Publikation, werden diese wahrscheinlich schon veraltet sein. Noch Anfang Februar haben die Finanzmärkte kaum reagiert, da sie die Pandemie anfänglich nur als Problem im fernen China sahen. Was sie aber in der Zwischenzeit nachgeholt haben. In Deutschland hat der Dax seit Beginn der Börsenkorrektur im Februar über 5.200 Indexpunkte (oder fast 40 Prozent seit dem Höchststand) verloren und handelt nahe seinem Buchwert. In den USA verlor der S&P 500 um die 30 Prozent.
Eine wachsende Zahl europäischer Länder hat Ausgangssperren verhängt und damit ganze Nationen unter Quarantäne gestellt. So auch Kalifornien, das 40 Millionen Menschen aufforderte, zu Hause zu bleiben. Zusammen mit den Bundesstaaten New York und Washington verzeichnen sie etwa zwei Drittel der bisherigen Coronavirus-Todesfälle in den USA. Das Vereinigte Königreich meldet geringere Wachstumsraten als die meisten seiner kontinentalen Nachbarn. Allerdings besteht die Befürchtung, dass dies eher die zeitliche Verzögerung widerspiegelt, wie schnell neue Fälle in den Statistiken erscheinen.
Historischer Kontext
Im Vergleich zu früheren Markteinbrüchen kann der aktuelle bereits als historisch bezeichnet werden. Die Geschwindigkeit, mit der sich diese Korrektur entfaltet, ist beispiellos. Für viele der weltweiten Aktienmärkte waren nur das Platzen der so genannten "Dotcom-Blase" kurz nach der Jahrtausendwende und die Finanzkrise, die mit dem Konkurs von Lehman Brothers im Jahr 2008 ihren Höhepunkt erreichte, schlimmer. Und was die Geschwindigkeit betrifft, müsste man sich auf die Kursstürze von 1929 berufen, die der Großen Depression den Weg ebneten, um Beispiele für ähnlich rasante Einbrüche zu finden.
Monetäre und fiskalische Reaktionen
Wir bleiben vorsichtig optimistisch, dass ein katastrophaler Ausgang vermieden werden kann, auch wegen der schnellen Reaktionen der Fiskal- und Geldpolitik in der ganzen Welt. Die Märkte zeigten sich jedoch enttäuscht und interpretierten die jüngsten Aktionen der US Federal Reserve (Fed) (Anleihekäufe im Wert von 700 Milliarden Dollar) und der Europäischen Zentralbank (EZB) (Pandemie-Notkaufprogramm in Höhe von 750 Milliarden Euro) als Signale der Hilflosigkeit. Der eigentliche Test solcher Maßnahmen besteht natürlich nicht darin, ob die amerikanischen oder europäischen Aktienmärkte am nächsten Tag im Plus oder Minus handeln. Es geht darum, wie sie sich in den kommenden Wochen und Monaten auf die Realwirtschaft auswirken werden, insbesondere nachdem die Krise zu verblassen beginnt. In dieser Hinsicht sehen wir nicht nur negative Risiken. Das liegt zum Teil an den fiskalischen Begleitpaketen zur Geldpolitik, die der Herausforderung von Covid-19 angemessen erscheinen. Erste Pakete wurden bereits in den Vereinigten Staaten, dem Vereinigten Königreich, Deutschland, Italien, China und Japan beschlossen. Zuletzt haben noch dazu mehrere führende Politiker in verschiedenen Ländern immer wieder die berühmten Worte von Mario Draghi wiederholt: man werde "alles tun, was nötig ist" (wie der ehemalige EZB-Chef es während der Eurokrise formuliert hatte). Die EZB hat auch deutlich gemacht, dass sie die Maßnahmen zur Erfüllung ihres Mandats revidieren würde, wenn es um selbst auferlegte Grenzen geht, die die Erfüllung beeinträchtigen. Mit anderen Worten: Die EZB wird also überall dort kaufen, wo es brennt, sogar wenn es um griechische Anleihen geht.
Wird irgendetwas davon funktionieren? Wir glauben, dass es bestenfalls etwas mehr Zeit zur Krisenbewältigung bringt. In einem optimistischen Szenario könnte die Quarantäne ab Mai allmählich gelockert werden, und die Weltwirtschaft hätte gute Chancen auf eine spürbare Erholung. Das alternative Szenario, dass die Krise länger andauert und eine Welle von Konkursen oder eine Staatsschuldenkrise hinterlässt, wird die politischen Entscheidungsträger sicherlich weiterhin zum Handeln anspornen.
Marktreaktionen
Ob auch der Kongress bei den Plänen der Trump-Administration mitspielt, bleibt vorerst abzuwarten. Selbst nach der jüngsten Ankündigung des US-Finanzministers Steven Mnuchin, dass die Regierung insgesamt 850 Milliarden Dollar zur Unterstützung von Bürgern und Unternehmen ausgeben wird, konnte sich der Russell 2000 Index von einem Verlust von fast 45 Prozent nicht erholen. Dies mag zum Teil darauf zurückzuführen sein, dass er kleinere Unternehmen enthält, die in der Vergangenheit ein deutlich höheres Ausfallrisiko hatten.
Aus dem gleichen Grund sind die Spreads hochverzinslicher Unternehmensanleihen in Euro und Dollar gestiegen. Die Risikoaufschläge von Euro-Hochzinsanleihen (ICE BofA Merrill Lynch Euro Non-Financial High Yield Constrained Index) stiegen innerhalb eines Monats von etwa 300 auf über 850 Basispunkte. Im gleichen Zeitraum stiegen die Renditen für 10-jährige griechische Staatsanleihen von einem auf über drei Prozent. Die Spreads von US-Anleihen des Energiesektors haben sich unter dem Druck des anhaltenden Ölpreiskriegs zwischen Saudi-Arabien und Russland stark ausgeweitet; dies gilt insbesondere für die Hochzinsanleihen, wo sie von 700 Basispunkten (im letzten Monat) auf über 2000 Basispunkte gestiegen sind. Eine schnelle Lösung dieses politischen Konflikts innerhalb der OPEC+ ist nicht in Sicht.
Im Zuge des Preiskriegs, der Sorgen um die Exporteinnahmen der erdölabhängigen Nationen auslöste, verloren sowohl die norwegische Krone als auch der russische Rubel gegenüber dem US-Dollar. Der Euro verlor seine jüngsten Kursgewinne gegenüber dem Greenback und handelt aktuell bei 1,07.
Entwicklung des Coronavirus
Die Ungewissheit sorgt wie immer für Überraschungspotenzial in beide Richtungen. Was die Neuinfektionen betrifft, so wäre ein positives Szenario, dass die Zahl der Infektionen in Europa im April und einige Wochen später in den Vereinigten Staaten ihren Höhepunkt erreicht. Die Wirtschaftspolitik würde bis dahin eine Konkurswelle verhindern.
Als Beobachter würden wir davor warnen einzelne Szenarien zu favorisieren und daran erinnern, dass die Realität wahrscheinlich irgendwo zwischen dem liegt, was Optimisten hoffen und dem, was Pessimisten befürchten. In gewisser Weise könnte sich die Realität auch als unordentlicher erweisen, als beide Gruppen erwarten. Zum Beispiel haben wir in den Ländern der südlichen Hemisphäre, die derzeit sehr frühe Phasen des Coronavirus-Ausbruchs erleben, noch kaum ein Bild der möglichen indirekten Auswirkungen der Krise. Zusammen mit dem Ölpreiseinbruch könnte dies zu politischer Instabilität, Flüchtlingskrisen oder beidem führen.
Positiv anzumerken ist, dass der medizinische Fortschritt rasch voranschreiten könnte. Insbesondere halten wir es für ziemlich wahrscheinlich, dass sich die breite Verfügbarkeit schneller, billiger und zuverlässiger Tests für die Ribonukleinsäure (RNA) von Covid-19 in den kommenden Wochen verbessern wird. Im Gegensatz zu Tests auf Antikörper würde ein solcher RNA-Test Träger korrekt identifizieren, bevor sich die Patienten krank fühlen oder irgendwelche Symptome zeigen. Ein solcher Test wäre ein entscheidender Schritt in Bezug auf die wirtschaftlichen Kosten von Eindämmungsmaßnahmen. Er würde bedeuten, dass die meisten Menschen - d.h. diejenigen, die das Virus derzeit nicht tragen - ihr tägliches Leben und ihre wirtschaftlichen Aktivitäten mit weitaus weniger Einschränkungen als derzeit weiterführen könnten. Fortschritte bei den Behandlungen und Impfstoffen werden wahrscheinlich länger dauern, aber auch das sollte sich irgendwann einstellen.
Bis dahin gibt es ein paar Dinge, die die Teilnehmer vielleicht selbst tun können, um die Situation zu mildern, außer natürlich den offiziellen Ratschlägen des Gesundheitswesens zu folgen. Was ihre Portfolios betrifft, so könnten technische Faktoren ebenso wie Covid-19 selbst, mitverantwortlich für die Geschwindigkeit des Abverkaufs von Risikoanlagen sein. Es scheint auch nur allzu plausibel, dass der vermehrte Einsatz des algorithmischen Handels, Stop-Loss-Orders (selbst in privaten Portfolios) und andere relativ neue Finanzinnovationen die Situation noch verschärft haben. Falls und wenn sich die Märkte, wenn auch nur vorübergehend, erholen, sollten solche Praktiken auf den Prüfstand kommen, nicht zuletzt, weil Anleger zum Schluss kommen könnten, dass sie in Krisenzeiten ein Risiko für ihre eigenen Portfolios darstellen, und die Situation für alle anderen verschlimmern.
Eine weitere wichtige Triebkraft sollte nicht übersehen werden. Vielleicht erleben wir das Ende einer Ära sowohl in der Politik als auch in der Finanzwelt, die zukünftige Historiker durchaus als irrationale Selbstzufriedenheit bezeichnen könnten. Medizinische Experten warnen seit Jahren davor, dass etwas wie Covid-19 mit großer Wahrscheinlichkeit passieren könnte. Einige der Warnungen sehen in der Tat seltsam vorausschauend aus.
Dass die Marktteilnehmer an der Wall Street solche Risiken bis Mitte Februar, als bereits Tausende von Fällen in China gemeldet wurden, ignoriert haben, lässt auf eine gewisse Selbstzufriedenheit schließen, die in der Spätphase des Bullenmarktes nicht ungewöhnlich ist. Anleger hatten sich an eine geringe Volatilität und einfache Faustregeln wie "Buying the Dip" gewöhnt, die in den 2010er Jahren vielen gut gedient haben. Dabei vergaßen sie die Lehren aus der Geschichte und auch, dass manche Unsicherheiten viel schwieriger abzusichern und zu quantifizieren sind als ein einfacher Anstieg der Marktvolatilität.
Fazit
Die Volatilität, wie sie der CBOE-Volatilitätsindex (VIX) widerspiegelt, ist in den letzten Wochen stark gestiegen. Sie bleibt nahe ihres Allzeithochs, da institutionelle Anleger Aktien verkaufen müssen, um die Risikostandards einzuhalten und ihre Portfolios umzustrukturieren. Anstatt als sicherer Hafen zu dienen, ist Gold um etwa 14 Prozent gefallen, da Anleger ihre Liquidität erhöhen mussten und somit Gold verkauft haben. Damit sind wir bei der ersten von drei Regeln angelangt, die wir für beachtenswert halten, weit über die aktuelle Krise hinaus:
- Bei manchen Stürmen gibt es keinen sicheren Hafen. Statt sich auf vergangene Korrelationen zu verlassen, sollten Sie sich überlegen, was in Zeiten von Stress geschehen könnte, und dabei besonders auf die jüngsten Innovationen und Veränderungen in der Marktarchitektur achten.
- Wenn es hart auf hart kommt, sollte man die Höhe des Bargeldbestands prüfen. Kein Finanzinstrument, egal wie liquide es in normalen Zeiten ist, ist wirklich ein Bargeldäquivalent.
- Bargeld ist auch auf der Unternehmensseite wichtig. Die Insolvenz ist nicht nur ein theoretisches Risiko
Das Coronavirus hat bereits die Welt verändert. Einige Veränderungen können durchaus von Dauer sein. Es gibt wenig, was ein Investor gegen die potenzielle Aussicht tun könnte, dass sich der internationale Luftverkehr nie wieder erholt oder dass Kreuzfahrtschiffe lange Zeit und unter neuen Eigentümern untätig bleiben, bis das Geschäft wieder anzieht. Wir alle können jedoch ein besseres Gespür dafür bekommen, was schief gehen kann, wenn die Märkte das nächste Mal wieder wackeln. Zumindest das wäre sicherlich eine positive Entwicklung.
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