Politische Ungewissheit trübt nicht die Aussichten für Lateinamerika
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2006 ist ein bedeutendes Jahr für Lateinamerika. Die Region bereitet sich auf ein Superwahljahr vor: Unter anderem werden die Wahlberechtigten in Brasilien, Mexiko und Peru an die Urnen gerufen. Nachdem der Linkspopulist Evo Morales kürzlich aus der Präsidentschaftswahl in Bolivien als Sieger hervorging und Venezuelas umstrittener Präsident Hugo Chavez zunehmend in die Schlagzeilen gerät, vermuten einige Kommentatoren einen Linksruck in Lateinamerika. Unserer Auffassung nach wird die Ungewissheit über den Ausgang der zahlreichen Wahlen in diesem Jahr zwar zu Volatilität an den Finanzmärkten der Region führen, wir rechnen jedoch nicht mit einer generellen Verschiebung der politischen Landschaft nach links. Nach unserer Einschätzung ist die Wahrscheinlichkeit einer scharfen politischen Kehrtwende in den wichtigsten Ländern der Region gering. Dagegen besteht durchaus die Möglichkeit, dass neue Administrationen sich stärker für Wirtschaftsreformen einsetzen und somit ein positives Signal für Investoren setzen. Vor allem aber bieten das anhaltende Potenzial beim Gewinnwachstum und die günstigen weltwirtschaftlichen Bedingungen einen positiven Rahmen für die Aktienmärkte der Region.
Betrachten wir die einzelnen Länder einmal näher:
In Brasilien stehen Wahlen im Oktober an Sollte der amtierende brasilianische Präsident Lula wiedergewählt werden, besteht unserer Ansicht nach ein gewisses Risiko für die finanzpolitische Stabilität. Insgesamt erwarten wir jedoch, dass sowohl der Staatshaushalt als auch die Handelsbilanz mittelfristig stabil bleiben werden. Immerhin besteht die Möglichkeit, dass José Serra oder Geraldo Alckmin, Kandidaten der wirtschaftlich eher konservativ ausgerichteten PSDB, die Präsidentschaftswahlen gewinnt. Aus Anlegersicht wäre dies sicherlich eine erfreuliche Meldung.
Ungewisses politisches Umfeld in Mexiko, aber ein „Populistensieg“ nicht zwangsläufig Die Situation in Mexiko ist weitaus schwieriger zu beurteilen. Hier besteht einerseits die Möglichkeit, dass Manuel López Obrador, der ehemalige Bürgermeister von Mexiko City, aus den Präsidentschaftswahlen als Sieger hervorgeht. Der als Populist geltende Kandidat würde dann wahrscheinlich eine von hohen Staatsausgaben gekennzeichnete Politik verfolgen. Wir sind jedoch der Überzeugung, dass López Obrador auch bei einem Wahlsieg weder im Kongress noch im Senat über die Mehrheit verfügen würde. In beiden Kammern werden voraussichtlich weiter die konservativeren Parteien PRI und PAN dominieren. Damit wäre López Obradors Fähigkeit, kontroverse Gesetzesvorhaben durchzusetzen, begrenzt. Zudem könnte sich López Obrador bei seinem Regierungsantritt als weitaus pragmatischer erweisen, als seine populistische Rhetorik vermuten lässt. Der Wahlausgang ist jedoch alles andere als sicher. Auch der PANKandidat, Felipe Calderón, hat gute Chancen. Die PAN ist die zweitgrößte Partei im Kongress; Calderón ist ein Befürworter von Reformen und seine Wahl wäre daher außerordentlich positiv für den Markt. Für die PRI, die in der Vergangenheit wiederholt die Regierung gestellt hat, kandidiert Roberto Madrazo für das Präsidentschaftsamt. Ein Sieg Madrazos kann zwar nicht ausgeschlossen werden, da die PRI über eine außerordentlich leistungsfähige Wahlkampfmaschine verfügt. Innerparteiliche Machtkämpfe und ein schlechtes Image haben die Erfolgschancen der PRI jedoch etwas getrübt.
Aufstieg Humalas in Peru beunruhigt Investoren
In Peru versetzte das gute Abschneiden des populistischen Präsidentschaftskandidaten Ollanta Humala Ende letzten Jahres die Anlegerschaft in Aufregung. In jüngster Zeit hat sich der Markt jedoch erholt, da Lourdes Flores, die Favoritin der Wirtschaft, in den Umfragen wieder vorne liegt. In Anbetracht der positiven Impulse, die eine geringere Inflationsrate und eine allgemein verbesserte Konjunktur zur peruanischen Volkswirtschaft beigesteuert haben, erscheint ein Wahlsieg der Kandidatin Flores wahrscheinlich. Dennoch ist der Wahlausgang ungewiss, auch wenn die Medien Informationen zutage gefördert haben, die an der Integrität des Kandidaten Humala zweifeln lassen. Auch in Kolumbien stehen in diesem Jahr Wahlen an. Der amtierende Präsident Uribe erfreut sich hoher Popularität und seine Wiederwahl ist so gut wie sicher. Fraglich ist dagegen, ob Uribe über genügend Spielraum verfügt, um seine steuerpolitischen und volkswirtschaftlichen Reformen umzusetzen.
In Argentinien stehen erst wieder im ersten Quartal 2007 allgemeine Wahlen an. Dabei sollte jedoch nicht übersehen werden, dass die Administration von Präsident Kirchner erst in den letzten Monaten den Versuch unternommen hat, ihre von hoher Staatsverschuldung geprägte Finanzpolitik unter Kontrolle zu bringen. In Venezuela werden gegen Ende des Jahres Wahlen stattfinden. Dieser Markt bereitet uns die größten Sorgen, auch wenn er nur einen kleinen Teil des regionalen Benchmark-Index darstellt. Die Wiederwahl von Präsident Chavez ist wahrscheinlich und damit bliebe es bei einem wirtschaftspolitischen Umfeld, das für Investoren weitgehend ungünstig ist.
Bachelets Sieg in Chile kein Grund zur Beunruhigung
In Chile hat die Kandidatin der Regierungskoalition, Michelle Bachelet, im Januar in einer zweiten Runde die Präsidentschaftswahlen gewonnen. Bachelet gilt als „Linksaußen“ und könnte in punkto Umweltschutz und Sozialpolitik eine Richtung verfolgen, die sich ungünstig auf den Wirtschaftssektor auswirkt. Unserer Ansicht nach wird sich die allgemeine Richtung der Wirtschaftspolitik jedoch nicht wesentlich ändern. Es ist sogar äußert wahrscheinlich, dass Bachelet einen Überschuss von einem Prozent im Staatsbudget als Ziel gesetzlich festschreiben wird, eine Maßnahme, die normalerweise eher zum Instrumentarium rechts gerichteter Politik gehört. In jedem Fall soll dadurch die Staatsverschuldung wirksam eingedämmt werden.
Wahlergebnisse könnten angenehme Überraschungen für die Märkte bieten
Auch wenn einige Berichterstatter einen allgemeinen „Linksruck“ in Lateinamerika befürchten, sind die politischen Aussichten aus Investment-Perspektive weiterhin recht positiv. Unserer Einschätzung nach wird sich die Situation in Brasilien, Mexiko, Argentinien und Chile bis auf weiteres nicht grundlegend ändern. Es besteht durchaus die Möglichkeit, dass lateinamerikanische Regierungen wirtschaftspolitische Verbesserungen erzielen, und zwar insbesondere im Rahmen mikroökonomischer Reformen. Brasilien muss beispielsweise seine Wettbewerbsfähigkeit erhöhen, indem Rechtsunsicherheit sowie verkrustete Arbeitsmarktstrukturen beseitigt werden. In Mexiko wären dagegen Arbeitsmarktreformen sowie eine Novellierung des gesetzlichen Rahmens wünschenswert.
Chile ist ein gutes Beispiel dafür, was im Hinblick auf mikroökonomische Reformen machbar ist. Chile profitiert bereits von den durchgeführten Reformen, indem das Land in den letzten Jahren stets höhere Wachstumsraten als der Rest Lateinamerikas erzielte (wozu allerdings auch der hohe Kupferpreis beitrug). Es ist daher kein Zufall, dass der chilenische Aktienmarkt höher bewertet wird als die meisten anderen lateinamerikanischen Märkte.
Insgesamt besteht bei den diesjährigen Wahlen durchaus die Möglichkeit einer angenehmen Überraschung für die Aktienmärkte. Dabei wurde noch gar nicht die Möglichkeit berücksichtigt, dass Kandidaten ins Amt gewählt werden könnten, die sich der Umsetzung jener notwendigen Reformen verschrieben haben, die den Wachstumsraten in Lateinamerika den nötigen Auftrieb verleihen. Für die Ertragssituation der Unternehmen würde dies ganz neue Impulse bieten.
Günstige Weltwirtschaftsbedingungen und deutliches Ertragswachstumspotenzial
Von politischen Aspekten abgesehen, ist das augenscheinlich positive Weltwirtschaftsklima einer der wichtigsten Faktoren bei der Betrachtung der lateinamerikanischen Aktienmärkte aus Anlegersicht. In den USA scheint die zinspolitische Straffung nun ihrem Ende zuzugehen, während sich sowohl in Japan als auch Europa eine stärkere Wachstumsdynamik abzeichnet. Eine Fortsetzung der globalen Wachstumsentwicklung würde aller Wahrscheinlichkeit nach mit stabilen Rohstoffpreisen einhergehen. Der Goldpreis befindet sich derzeit auf dem höchsten Stand seit 25 Jahren. Die Preise für Kupfer und andere Metalle haben sich auf relativ hohem Niveau eingependelt und auch der Höhenflug der Preise für nicht metallische Rohstoffe setzt sich fort. All diese Faktoren sind positiv für die Märkte Lateinamerikas. Wir erwarten für 2006 ein Ertragswachstum von 17 bis 20 Prozent in der Region. Bislang kommt auf den lateinamerikanischen Märkten gegenüber entwickelten Märkten noch ein Bewertungsabschlag zur Anwendung; unseren Erwartungen zufolge wird sich dieses Gefälle aber zunehmend verringern.
Zusammenfassend sind wir der Ansicht, dass das Superwahljahr 2006 Investoren keine Kopfschmerzen bereiten sollte. Auf den größten Märkten, wie Brasilien und Mexiko, werden voraussichtlich Regierungen gebildet werden, die die marktfreundliche Politik im Wesentlichen fortsetzen. Es besteht sogar die Chance, dass die notwendigen mikroökonomischen Reformen beschleunigt vorangetrieben werden. Zusammen mit dem günstigen weltwirtschaftlichen Umfeld und dem Potenzial solider Unternehmensgewinne bietet dieses Szenario insgesamt interessante Möglichkeiten für die Aktienmärkte der Region.
Quelle: Schroders
Die Schroders-Gruppe ist eine führende internationale Vermögensverwaltungsgesellschaft, die 1804 gegründet wurde. Schroders verwaltet Anlagen für Pensionsfonds, Regierungsbehörden, Wohltätigkeitsorganisationen, Körperschaften, Familienunternehmen und vermögende Privatpersonen weltweit und ist ein führender Verwalter von Investmentfonds. Schroders bietet Anlagen in allen wichtigen Vermögenskategorien in entwickelten Ländern und Schwellenländern an: Aktien, Schuldtitel, Geldmarktinstrumente, Beteiligungen und Immobilien. Das weltweit verwaltete Vermögen betrug zum 31. März 2005 rund 158,2 Mrd. Euro.
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