Kommentar
07:10 Uhr, 24.10.2016

Politik: Für Aktienkurse relevant?

Die politische Unsicherheit ist hoch und viele Institutionen wie der Internationale Wirtschaftsfonds, aber auch Politiker selbst, warnen, dass die Unsicherheit das Wachstum noch weiter abwürgen wird. Ist da etwas dran?

Von politischen Börsen sagt man, dass sie kurze Beine haben, sprich, Kurse, die auf politische Umstände reagieren, sind nicht nachhaltig. Oftmals kommt es bei Unsicherheit wie etwa Neuwahlen zu einer kurzen und heftigen Reaktion an der Börse, doch der Spuk ist schnell wieder vorbei. So war es auch nach dem Brexit-Votum. Die Börsen verloren an zwei aufeinanderfolgenden Tagen kräftig. Danach war der Spuk schon wieder vorbei. Die meisten Indizes erreichten kurz darauf sogar neue Hochs. Man darf sich also mit Recht fragen, wie relevant politische Unsicherheit überhaupt ist.

Die Frage ist nicht ganz leicht zu beantworten. Es gibt viele Beispiele, die für die Relevanz sprechen, aber genauso viele, die dagegensprechen. Belgien kam in den Jahren 2010/11 auch ganz gut ohne Regierung aus – und zwar ganze 353 Tage. Spanien ist inzwischen seit knapp 10 Monaten ohne Regierung und das Land funktioniert trotzdem. In beiden Fällen gab es weder für die Börse noch für die Realwirtschaft einen markanten Nachteil.

Das muss nicht immer so sein. In den USA ist politische Unsicherheit sehr relevant. Die erste Grafik zeigt dazu das US-Wirtschaftswachstum und den Policy Uncertainty Index (PUI), wie er von Baker, Bloom und Davis entwickelt wurde. Der Index beruht auf der Berichterstattung in den Medien. Verbreiten die Medien ein negatives Bild und berichten vermehrt über Unsicherheit oder wahrgenommene Unsicherheit, dann steigt der Index.

In den USA besteht ein enger Zusammenhang zwischen dem PUI und dem Wirtschaftswachstum. Die Korrelation ist relativ hoch. Steigt der Index, dann tendiert auch das Wachstum schwächer auszufallen. Ist die Unsicherheit hingegen gering bzw. fällt sie, scheint auch das Wirtschaftswachstum anzuziehen.

Korrelation darf man nicht mit Kausalität verwechseln. Es kann gut sein, dass die Unsicherheit steigt, weil das Wachstum nachlässt und nicht umgekehrt. Dagegen sprechen allerdings einige Episoden, in denen der PUI eine Vorlaufindikatorfunktion hatte. Der PUI als Vorlaufindikator funktioniert nicht überall. Grafik 2 zeigt das Wachstum und den PUI für Großbritannien. Eine hohe Korrelation zeigte sich 1974, 1981 und 1990. In den anderen Phasen war die Korrelation gering oder teils sogar negativ.

Politische Unsicherheit bedeutet nicht automatisch auch geringeres Wachstum. Es ist jedoch bedenklich, dass die Unsicherheit auf der ganzen Welt ansteigt. Grafik 3 zeigt eine Auswahl der Indizes für entwickelte Länder. Sie alle steigen in der Tendenz an. Nur Italien ist eine Ausnahme. Seitdem Berlusconi weg ist, sinkt die Unsicherheit. Mit dem nahenden Referendum kann sich das wieder ändern.

Die Zeichen stehen weltweit nach wie vor auf Sturm, denn auch in den Entwicklungsländern ist die Lage von hoher Unsicherheit geprägt. Die letzte Grafik zeigt die Indizes ausgewählter Entwicklungsländer sowie den Weltindex. Die Unsicherheit ist derzeit höher als zur Zeit der Finanzkrise und erreicht wieder die Hochs aus dem Jahr 2012, als die Eurozone kurz vor dem Zusammenbruch stand.

Die Indizes, egal aus welchem Land, sind miteinander hochkorreliert. Es gibt nur wenige, zeitlich begrenzte Ausnahmen. Dazu gehört neben Italien derzeit auch Russland. Die Unsicherheit sinkt hier, nachdem der Konflikt mit dem Westen und die Sanktionen für Unruhe gesorgt hatten.

Man kann nicht pauschal sagen, dass auf politische Unsicherheit niedriges Wachstum folgt. In vielen Fällen scheint es eher der umgekehrte Fall zu sein. Ist das Wachstum niedrig, steigt die Unzufriedenheit der Bevölkerung. Das wiederum sorgt für politische Instabilität, weil Wähler den politischen Wandel ermöglichen. Selten hält sich eine Regierung an der Macht, wenn die Wirtschaft nicht läuft.

Man kann die Sachlage in etwa so zusammenfassen: Läuft die Wirtschaft nicht rund, steigt die Unsicherheit. Steigende Unsicherheit bedeutet jedoch nicht, dass die Wirtschaft vor einem Abschwung steht. Unsicherheit kann sich auch aus anderen Gründen etablieren. In der EU ist der Brexit einer der Treiber der Unsicherheit. In einzelnen Ländern kommen noch andere Faktoren hinzu. Die Flüchtlingswelle nach Europa, die zwar nun schon seit einem Dreivierteljahr abebbt, beschäftigt jeden einzelnen Wähler. Es handelt sich um ein hochemotionales Thema und die etablierten Parteien haben keine Ahnung wie sie damit umgehen sollen. Entsprechend wird weder erklärt, noch werden Antworten auf die Sorgen der Bürger gefunden.

Die Unsicherheit steigt, obwohl es in vielen Ländern wirtschaftlich rund läuft. Dazu gehört auch Deutschland. Sofern die etablierten Parteien keine Antworten finden, bleibt es vermutlich mindestens bis zur Bundestagswahl im nächsten Jahr so. Danach wird man sehen, ob aus der Unsicherheit mehr wird. Zudem kann eine zu langanhaltende Unsicherheit irgendwann auch auf die Laune der Konsumenten und Unternehmen durchschlagen. Sie würden weniger konsumieren und investieren. In der Folge kommt es dann irgendwann doch zu einem Abschwung. Kurzfristig ist politische Unsicherheit aus wirtschaftlicher Sicht irrelevant. Langfristig kann sie großen Schaden anrichten.

Clemens Schmale

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Über den Experten

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Clemens Schmale
Finanzmarktanalyst

Clemens Schmale hat seinen persönlichen Handelsstil seit den 1990er Jahren an der Börse entwickelt.

Dieser gründet auf zwei Säulen: ein anderer Analyseansatz und andere Basiswerte. Mit anders ist vor allem die Kombination aus Global Makro, fundamentaler Analyse und Chartanalyse sowie Zukunftstrends gemeint. Während Fundamentaldaten und Makrotrends bestimmen, was konkret gehandelt wird, verlässt sich Schmale beim Timing auf die Chartanalyse. Er handelt alle Anlageklassen, wobei er sich größtenteils auf Werte konzentriert, die nicht „Mainstream“ sind. Diese Märkte sind weniger effizient als andere und ermöglichen so hohes Renditepotenzial. Sie sind damit allerdings auch spekulativer als hochliquide Märkte. Die Haltedauer einzelner Positionen variiert nach Anlageklasse, beträgt jedoch meist mehrere Tage, oft auch Wochen oder Monate.

Rohstoffe, Währungen und Volatilität handelt er aktiv, in Aktien und Anleihen investiert er eher langfristig. Die Basiswerte werden direkt – auch über Futures – oder über CFDs gehandelt, in Ausnahmefällen über Optionen und Zertifikate.

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