Fundamentale Nachricht
16:38 Uhr, 27.09.2022

Pfund: Dem Untergang geweiht?

Das britische Pfund könnte nach Einschätzung von Steven Bell, Chefvolkswirt bei Columbia Threadneedle Investments für die EMEA-Region, bereits in wenigen Wochen die Parität zum US-Doller durchbrechen.

Der "Haushaltsplan" des britischen Schatzkanzlers Kwasi Kwartengs wurde von den Finanzmärkten nicht gerade freundlich aufgenommen. „Die Energiepreisobergrenze hat Großbritannien wahrscheinlich eine kurzfristige Rezession erspart, aber durch die Verdopplung der Steuersenkungen wurde die Verschuldung noch weiter erhöht“, schreibt Steven Bell, Chefvolkswirt EMEA bei Columbia Threadneedle Investments, in seinem wöchentlichen Marktkommentar. Wie hoch die Verschuldung ausfallen werde, darüber ließen sich nur Vermutungen anstellen, da Kwarteng das Office for Budget Responsibility (OBR) daran gehindert habe, die Zahlen korrekt zu ermitteln.

Das Pfund Sterling hat einen historischen Tiefstand erreicht, und es wird erwartet, dass die Leitzinsen über 6 % steigen werden. Die Renditen von Staatsanleihen sind sprunghaft angestiegen. Steven Bell beobachtet weltweit ein ähnliches Muster: „Die Zentralbanken erhöhen die Zinssätze schneller als die Märkte erwarten und die Anleiherenditen steigen. Die Zinserwartungen im Vereinigten Königreich sind jedoch aufgrund der Maßnahmen der neuen britischen Regierung im Vergleich sprunghaft angestiegen.“

Das britische Pfund sei aufgrund des riesigen Leistungsbilanzdefizits und der hohen Auslandsverschuldung besonders anfällig. Das sei nicht der einzige Grund, warum das Defizit in den ersten drei Monaten des Jahres einen Rekordwert erreicht habe. Zwar erwartet der Konsens von den neuen Zahlen am Freitag eine Verbesserung. „Aber das Gesamtbild scheint sehr schwierig zu sein“, so Bell. Die Bereitschaft von ausländischen Investoren, Großbritannien aus der Patsche zu helfen, hänge stark von der globalen Risikobereitschaft ab. Bei steigenden Aktienkursen tendiere das Pfund Sterling zu einer Aufwertung. „In der vergangenen Woche waren die Aktien sehr schwach, schlechtes Timing für Kwartengs Steuerankündigung.“

In dieser Woche werden mehrere Mitglieder des geldpolitischen Ausschusses (MPC) sprechen, und dabei sicherlich eine hawkishe Haltung einnehmen. In Regierungserklärungen wurde versucht, den Rückgang des Pfund auf die Entscheidung des MPC zurückzuführen, die Leitzinsen um "nur 0,5 %" zu erhöhen. Das erscheint etwas merkwürdig findet Bell, denn die Bank of England ist unabhängig, aber die Regierung ernennt die Mitglieder, und obwohl sie den Gouverneur Andrew Bailey rechtlich gesehen nicht entlassen kann, würde er mit ziemlicher Sicherheit zurücktreten, wenn der Schatzkanzler dies wünschte. Viele gingen davon aus, dass Bailey Anfang nächsten Jahres sein Amt niederlegen werde. Bell hofft, dass er das nicht tut. Er hält es für nicht ausgeschlossen, dass die Rating-Agenturen skeptisch reagierten. „Der Gouverneur ist jedoch nur ein Mitglied des MPC, und viele andere Mitglieder des Ausschusses würden der Regierung gern die Stirn bieten und die Zinsen aggressiv anheben“, schreibt Bell. Von einer Dringlichkeitssitzung zur Anhebung der Leitzinsen vor der nächsten planmäßigen Sitzung am 3. November rät Bell ab. „Das könnte wie ein Zeichen von Panik aussehen.“ Stattdessen empfiehlt Bell, die Leitzinsen über die kommenden Monate auf 5 % zu erhöhen, um Gelder aus dem Ausland anzuziehen. Dennoch benötige die britische etwas Glück, um eine Finanzkrise zu vermeiden.

Das Pfund hat sich kurzfristig etwas erholt, könnte aber dem Experten von Columbia Threadneedle zufolge in den nächsten Wochen die Parität gegenüber dem US-Dollar durchbrechen. Bell: „Höhere Zinssätze sind erforderlich, um das erhöhte Risiko durch die Maßnahmen des neuen Schatzkanzlers auszugleichen. Obwohl die Energiepreisobergrenze in diesem Winter eine Rezession abgewendet haben mag, ist die britische Wirtschaft immer noch anfällig.“

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