Perspektiven für Lateinamerika weiterhin günstig
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Im aktuellen Superwahljahr in Lateinamerika steht der „Linksrutsch“ in der Region im Mittelpunkt der Diskussionen. Die Angst vor einem weiteren Linksruck gründet sich auf die so genannte bolivarische Achse, eine Allianz linksgerichteter Regierungen unter der Führung von Venezuelas umstrittenem Präsidenten Hugo Chavez, und ihrem zunehmenden Einfluss in der Region. Der Begriff „bolivarische Achse“ bezieht sich auf Simon Bolivar, den venezolanischen General, der im 19. Jahrhundert entscheidend zur Befreiung der Andenstaaten von der Kolonialherrschaft beitrug.
Dank Venezuelas Ölreichtum ist Chavez zweifelsohne in einer Position, seinen Einfluss auf die Staaten Lateinamerikas, insbesondere Bolivien, auszudehnen. Wir sind jedoch der Auffassung, dass dies keine echte Bedrohung für die in den größten Volkswirtschaften der Region (Brasilien, Mexiko und Chile) verfolgte Politik des freien Marktes darstellt. Zudem widersprechen die Ergebnisse der jüngsten Wahlen in Mexiko, Peru und Kolumbien eindeutig dem vermeintlichen Linkstrend. Insgesamt schätzen wir die politische Lage in Lateinamerika im ungünstigsten Falle als „neutral“ ein. Angesichts der positiven Makroökonomie und der günstigen Unternehmensrahmendaten bleiben die Anlageperspektiven weiterhin günstig.
Verstaatlichung von Boliviens Erdgasindustrie als zentrale Maßnahme
Zur bolivarischen Achse zählen Venezuela, Bolivien und Kuba unter der Führung von Chavez, Evo Morales, der aus den bolivianischen Präsidentschaftswahlen im vergangenen Dezember als Sieger hervorging, und Fidel Castro.
Seit Morales’ Amtsantritt hat Venezuelas Einfluss auf Bolivien erheblich zugenommen. Die wohl gravierendste Folge ist Boliviens Ankündigung, die Erdgasindustrie des Landes verstaatlichen zu wollen. Das bedeutet auch die Enteignung der Produktionsanlagen der brasilianischen Gesellschaft Petrobras, dem größten Energieunternehmen in Bolivien. Bolivien verfügt über die zweitgrößten Erdgasvorkommen in Lateinamerika und hat bereits den Preis für seine Erdgasexporte an Argentinien heraufgesetzt. Für Argentinien könnte sich dies dämpfend auf das momentan noch kräftige Wirtschaftswachstum auswirken. Die brasilianische Petrobras hat ihrerseits bereits die Absicht signalisiert, die Erdgasförderung noch zu erhöhen und Bolivien zu verpflichten, an den mit Petrobras bestehenden Förderverträgen festzuhalten. Da Brasilien der wichtigste Abnehmer bolivianischen Erdgases ist, könnte dies langfristig zu einem Rückgang der Preise führen.
Spekulationen über Linksruck von jüngsten Wahlergebnissen widerlegt
Nach Auffassung einiger Beobachter ist Boliviens Vorgehensweise der beste Beweis für den Erfolg von Chavez’ Bemühungen, den Schulterschluss zwischen den linksgerichteten Regierungen Lateinamerikas zu vollziehen. Die Verstaatlichung der Erdgasindustrie ist zwar bislang diejenige Maßnahme der „Achse“ gewesen, die die tiefgreifendsten wirtschaftlichen Folgen nach sich zieht. Unserer Einschätzung nach wurde damit aber keineswegs eine Radikalisierung der Politik in Lateinamerika eingeläutet. Man muss sich vor Augen halten, dass Chavez seine Bemühungen um eine Ausweitung seines Einflussbereiches vor allem mit Venezuelas Ölexporten finanziert. Sollten die Energiepreise wieder fallen, würde wohl auch sein Einfluss nachlassen.
Auch die jüngsten Wahlergebnisse in Lateinamerika stehen im Widerspruch zu einem generellen Linkstrend. So ging der Mittelinkskandidat Felipe Calderón kürzlich als (knapper) Sieger aus den Präsidentschaftswahlen in Mexiko hervor und setzte sich damit gegen den Populisten Andres Manuel Lopez Obrador durch. In Peru musste der von Chavez unterstützte populistische Kandidat Ollanta Humala eine klare Niederlage gegen den ehemaligen Präsidenten Alan Garcia hinnehmen, während der konservative kolumbianische Präsident Alvaro Uribe in seinem Amt bestätigt wurde.
Calderóns Sieg Zeichen für zunehmenden Konservatismus in Mexiko
Schaut man sich die mexikanischen Wahlergebnisse einmal genauer an, so bestehen zahlreiche Anzeichen für einen wachsenden Konservatismus. Vielen Mexikanern (insbesondere den Bevölkerungsteilen im Norden von Mexiko-City) geht es seit einigen Jahren materiell besser. Immer mehr Menschen können sich Hypotheken und Wohneigentum leisten und neigen daher dazu, ihren Besitzstand erhalten zu wollen. Eine populistische Regierung und ihre möglichen Folgen für die Zinsentwicklung liegt nicht im Interesse dieser Wähler, die sich daher für eine Fortsetzung des Status quo unter Calderón aussprachen.
Im Süden von Mexiko-City ist Armut jedoch weit verbreitet; hier befindet sich Obradors Wähler, die hinter ihm stehen. Insgesamt haben die Wahlen die tief greifende Spaltung der mexikanischen Gesellschaft verdeutlicht. Eingedenk seiner nur knappen Mehrheit wird sich Calderón um tragfähige Allianzen bemühen müssen, wenn er erfolgreich regieren möchte. Kompromisse werden unvermeidlich sein. So wird Calderón bereits im Frühstadium seiner Amtszeit einer erheblichen Zunahme der Sozialausgaben zustimmen müssen, um der weiter um sich greifenden Armut Einhalt zu gebieten.
Lulas Wiederwahl wahrscheinlich: Gefahr eines politischen Kurswechsels in der zweiten Amtszeit
In Brasilien, der größten Volkswirtschaft der Region, stehen im Oktober Wahlen an. Der amtierende brasilianische Präsident Lula, ein linksgerichteter Sozialdemokrat, liegt bei den Meinungsumfragen derzeit in Führung. Lulas Popularität bei der Wählerschaft beruht jedoch in erster Linie auf seiner persönlichen Beliebtheit und weniger auf einer bewussten Entscheidung für die Politik seiner sozialistischen Arbeiterpartei PT. Im Gegenteil: Lulas Partei hat im Zuge von Bestechungsskandalen landesweit erheblich an Glaubwürdigkeit eingebüßt und wird daher wohl auch im Kongress an Boden verlieren. Lulas Wiederwahl würde dann zwar keinen Linksruck in Brasilien bedeuten, aber aller Wahrscheinlichkeit in der zweiten Amtszeit zum so genannten "Policy Drift", d.h. zu vom Wählerwillen abweichenden Entscheidungen, führen. Dies gilt umso mehr, als Lula wahrscheinlich die Sozialausgaben erhöhen muss, damit seine Koalition nicht auseinander bricht.
Immerhin besteht die vage Chance, dass Geraldo Alckmin, Kandidat der Mitterechtspartei PSDB, die Präsidentschaftswahlen gewinnt. Den jüngsten Umfragen zufolge haben sich seine Popularitätswerte gegenüber Lula leicht verbessert. Ein Sieg Alckmins würde von Investoren sicherlich begrüßt. Alckmin verspricht Wirtschaftsreformen, um so das Wirtschaftswachstum Brasiliens anzukurbeln. Auch wenn die PSDB die diesjährigen Wahlen nicht gewinnen sollte, besteht dennoch eine reelle Chance bei den nächsten Präsidentschaftswahlen. Dann wäre die Kandidatur Lulas, der „Trumpfkarte“ seiner Partei, nämlich nicht mehr zulässig.
Bolivarische Achse kein Signal für Radikalisierung der Region
In Anbetracht der jüngsten Wahlausgänge kann man nicht von einem generellen Linksrutsch in Lateinamerika sprechen. Die Aufmerksamkeit, die Chavez und der bolivarischen Achse in den Medien zuteil wird, steht in keinem Verhältnis zu ihrem tatsächlichen Einfluss auf die politische Landschaft Lateinamerikas. Die Politik des freien Marktes ist zudem tief in wichtigen Volkswirtschaften der Region (Brasilien, Mexiko und Chile) verankert. Hinzu kommt, dass die Abstimmungen der Wahlsaison 2005/06 – wie auch in den letzten Jahren – frei und gerecht stattgefunden haben. In der Folge konnte sich eine demokratische Kultur und Infrastruktur in Lateinamerika etablieren.
Wirtschaftsrahmendaten stützen günstige Anlageperspektiven
Grundsätzlich besteht ein tragfähiger Rahmen für die wirtschaftliche und soziale Stabilität in Lateinamerika. Obwohl das globale Umfeld für die lateinamerikanischen Märkte etwas problematischer geworden ist, sind die Anlageperspektiven im Großen und Ganzen immer noch günstig. Die wichtigsten kritischen Faktoren sind das Wirtschaftswachstum in den USA und der Umfang der Zinserhöhungen, denen sich Investoren gegenübersehen: Die Zinsen steigen sowohl in Japan und Europa als auch in den USA. Die allgemeinen Wirtschaftsdaten für Lateinamerika sehen gut aus; wir schätzen die weiteren Aussichten für die Region daher positiv ein. Die Staatshaushalte der meisten lateinamerikanischen Länder weisen einen Überschuss auf oder sind ausgeglichen. Mehreren Regierungen ist es sogar gelungen, die Auslandsverschuldung zu senken. Die Mehrheit der lateinamerikanischen Länder weist zudem Handelsbilanzüberschüsse auf, während das Wirtschaftswachstum im Allgemeinen zufrieden stellend, wenn nicht sogar gut, ist. Auch auf Unternehmensebene ist die Lage positiv. Einem wesentlich disziplinierteren Management ist es gelungen, die Eigenkapitalrendite (RoE) lateinamerikanischer Unternehmen auf ein Niveau zu steigern, das über dem Durchschnittswert für entwickelte Märkte liegt. Gleichzeitig werden die Aktien mit einem hohem Abschlag gehandelt – attraktiv für Anleger!
Quelle: Schroders
Die Schroders-Gruppe ist eine führende internationale Vermögensverwaltungsgesellschaft, die 1804 gegründet wurde. Schroders verwaltet Anlagen für Pensionsfonds, Regierungsbehörden, Wohltätigkeitsorganisationen, Körperschaften, Familienunternehmen und vermögende Privatpersonen weltweit und ist ein führender Verwalter von Investmentfonds. Schroders bietet Anlagen in allen wichtigen Vermögenskategorien in entwickelten Ländern und Schwellenländern an: Aktien, Schuldtitel, Geldmarktinstrumente, Beteiligungen und Immobilien. Das weltweit verwaltete Vermögen betrug zum 31. März 2006 rund 184,2 Mrd. Euro.
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