Kommentar
10:17 Uhr, 17.01.2006

Osteuropa: Trägt die Konvergenzstory noch?

Der Baring Eastern Europe Fund, ausgestattet mit einem A – Rating von S&P und ebenfalls einem A-Rating von Feri erzielte in 2005 über 68% (in Euro). Grund genug, die Aussichten für 2006 für Osteuropa in folgendem Marktkommentar von der Fondsmanagerin Ghadir Abi Leil Cooper darzulegen.

Vier Investmentthemen machen diese Anlageregion so interessant:

1. EU-Konvergenz

In den Augen der meisten Menschen wurde mit dem Beitritt der mitteleuropäischen Länder zur Europäischen Union im Mai 2004 Konvergenz erreicht. Unseres Erachtens besteht hier jedoch noch enormes Potenzial, das dadurch genährt wird, dass in erheblichem Umfang Investitionen, insbesondere in Form von EU-Subventionen, in diese Region fließen. Für den Erfolg einer Staatengemeinschaft ist eine Angleichung des Wohlstandsniveaus unabdingbare Voraussetzung. Die bestehenden Unterschiede müssen abgebaut werden. Hierbei wird die EU eine wichtige Rolle spielen. Hilfreich wird zudem der anhaltende Zufluss ausländischer Direktinvestitionen aus dem Privatsektor in diese Region sein. Ende der Neunzigerjahre und zu Beginn des neuen Jahrhunderts kamen diese Investitionen Branchen zugute, die teure Konsumgüter wie Automobile, Haushaltsgeräte und Elektronikprodukte herstellen. Nun ist ein zweiter Strom von Auslandsinvestitionen zu konstatieren, der von kleinen und mittleren Unternehmen aus Deutschland ausgeht, die sich durch Margendruck zu einer Steigerung ihrer Effizienz gezwungen sehen.

Kostensenkungen lassen sich am besten durch Outsourcing nach Mitteleuropa oder die Verlagerung der Produktion in diese Länder realisieren. Verglichen mit Westeuropa sind die dortigen Währungen insgesamt nach wie vor unterbewertet, die Löhne liegen weiter bei lediglich rund einem Sechstel und äußerst attraktive steuerliche Rahmenbedingungen locken mit durchschnittlichen Körperschaftssteuersätzen von zwischen 16 und 20%.

Unseres Erachtens werden die mitteleuropäischen Länder langfristig ein 1-1,5% höheres BIPWachstum vorweisen können als die alten EU-Mitgliedsstaaten, was sich in höheren Verbraucherausgaben und schließlich auch in gesteigerten Unternehmensgewinnen niederschlagen wird. Die langfristigen Fundamentaldaten sind weiterhin ausgesprochen attraktiv.

2. Öl

Unser starkes Engagement in russischen Ölgesellschaften wie Lukoil diente dem Zweck, von den 2005 vorherrschenden guten Fundamentaldaten in Bezug auf den Ölpreis zu profitieren. Zukünftig dürften indes mitteleuropäische Raffinerien am besten aufgestellt sein, um Vorteile aus der weltweiten Knappheit an Raffineriekapazitäten zu ziehen.

Bei den Raffinerien besteht auf Grund der neuen EU-Kraftstoffrichtlinie, die eine starke Beschränkung des Schwefelanteils im Kraftstoff vorsieht, hoher Investitionsbedarf. Die westeuropäischen Raffinerien befinden sich in der Regel im Besitz internationaler Ölriesen. In den vergangenen Jahren wurden hier kaum Investitionen getätigt, da eine Aufstockung der abnehmenden Ölreserven für die Steigerung des Shareholder Value wichtiger erschien. Mitteleuropäische Raffinerien sind hingegen schon jetzt in der Lage, selbst aus sehr schwerem, stark schwefelhaltigem russischem Rohöl, Kraftstoffe mit äußerst geringem Schwefelanteil herzustellen. Ferner bietet die Mitgliedschaft in der EU den osteuropäischen Beitrittsstaaten einen Schutz davor, dass das Überangebot aus der Ukraine, Bulgarien und Rumänien zu Dumpingpreisen auf ihre Märkte gelangt. Auch dies sichert ihnen unverändert hohe Margen.

3. Russland

Wer in Russland investiert, setzt auf Veränderung. Noch zählt das Land zu den Emerging Markets, doch sind die zu konstatierenden Veränderungen eindeutig positiv zu bewerten und versprechen hohes Renditepotenzial für Investoren. Russland wird nach wie vor vorwiegend als Volkswirtschaft betrachtet, die in erster Linie von der Öl und Rohstoffindustrie dominiert wird, und in gewissem Umfang entspricht dies auch der Realität. Der Anstieg der weltweiten Rohstoffnachfrage sowie der Rohstoffpreise half Russland dabei, nach der Krise von 1998 wieder auf die Beine zu kommen.

Die Rohstoffexporte haben dem Land einen riesigen Leistungsbilanzüberschuss beschert. Ein großes Problem war, dass unter dem von Korruption geprägten Jeltsin-Regime das gesamte Kapital aus dem Verkauf von Rohstoffen außer Landes geschafft wurde. Daraufhin stellten sich ausländische Investoren die Frage, was für eine Anlage in Russland spricht, wenn nicht einmal die Russen in das Land investieren.

Die Kapitalflucht konnte inzwischen jedoch fast vollständig eingedämmt werden, so dass nun die enormen Exporterlöse - ganz gleich, ob sie aus dem Verkauf von Öl, Gas oder anderen Rohstoffen stammen - wieder in die russische Wirtschaft fließen. Dieser Umstand schlug sich im Staatshaushalt positiv nieder, und inzwischen hat Russland einen deutlichen Haushaltsüberschuss zu verzeichnen. Es zählt zu den wenigen Ländern, die ihre Inlandsschulden zurückzahlen, und wurde dafür von allen drei führenden Ratingagenturen - Fitch, Moody’s und Standard & Poor’s - mit einem Upgrade bedacht.

Die Devisenreserven haben sich seit dem Jahr 2000 versiebenfacht, und die hohe Liquidität stellte eine enorm starke Triebfeder für das Wirtschaftswachstum dar. Dies erklärt auch die ausgesprochen gute Entwicklung zahlreicher konsumorientierter Titel, wie z.B. Banken, die vor dem Hintergrund der Veränderungen in Bezug auf den Landbesitz einen Anstieg im Hypothekengeschäft zu vermelden haben, sowie Mobilfunkanbieter, die mit extrem hohen Wachstumsraten glänzen.

2005 gab es eine ganze Reihe erfolgreicher Börsengänge, und für 2006 erhoffen wir uns, dass Unternehmen aus der Softwarebranche für eine Fortsetzung dieser Entwicklung sorgen. Auch dem Restrukturierungsprozess in den renditestarken Branchen Strom und Gas stehen wir positiv gegenüber. Vor diesem Hintergrund ist unser Engagement in UES und Gazprom zu sehen.

Corporate Governance

Seit Putin an die Macht kam, war es sein Ziel, Russland wieder zu alter Stärke zu verhelfen und das Bruttoinlandsprodukt zu verdoppeln. Er weiß, dass dies nur mit ausländischen Investitionen zu bewerkstelligen ist und dass ein gefestigter und konsequenter Reformprozess die Voraussetzung für Investitionen aus dem Ausland darstellt. Mittlerweile wurde ein umfassendes Steuerreformpaket verabschiedet, und glücklicherweise blieb Yukos ein Ausrutscher. Vimpelcom war ein Fehler, jedoch wurde der Verantwortliche in der Steuerbehörde nach dem Skandal entlassen.

Anfang 2004 hatten 160 000 russische Unternehmen Steuerrückstände für die Jahre 2001 bis 2003 zu verzeichnen. In den meisten Fällen handelte es sich jedoch um kleinere Summen, die inzwischen beglichen wurden. In Bezug auf Gazprom geht das Gerücht um, die Regierung wolle den so genannten “Ring-fence” abschaffen, was höhere ausländische Beteiligungen ermöglichen würde. Gleichzeitig dürften die Reformen hinsichtlich natürlicher Monopole wie z.B. im Gas- und Stromsektor zur Schaffung von Shareholder Value führen. Die makroökonomischen Fundamentaldaten Russlands sind äußerst positiv. Trotz des hohen Wirtschaftswachstums und der Reformfortschritte sind russische Titel indes nach wie vor günstig bewertet.

4. Türkei

In Bezug auf den türkischen Markt sind wir auf lange Sicht positiv gestimmt. Grund hierfür ist die politische Stabilität im Land. Vor dem Regierungswechsel und dem Sieg der AKP bei den Wahlen 2002 waren sieben Parteien im türkischen Parlament vertreten und die Regierung bestand aus einer 3-Parteien-Koalition, in der die rechte und die linke Mitte sowie die äußere Rechte vertreten waren. Diese Konstellation war symptomatisch für die türkische Politik der vergangenen 20 Jahre. Strukturierte und konsistente Haushaltsreformen waren nahezu unmöglich, und die türkische Wirtschaft befand sich mal im Auf- und mal im Abwind. Erstmals seit über 20 Jahren wird das Land nun von einer Partei regiert, die sehr enge Beziehungen zum Internationalen Währungsfonds unterhalten und die fiskalpolitischen Schwachstellen sowie die chronische Inflation bekämpfen will.

Zum Zeitpunkt der Regierungsübernahme durch die AKP bewegte sich die Inflation zwischen 70 und 75%, bei Zinssätzen von annähernd 100%. Die Bedienung der hohen Staatsschulden kostete den Staat 20% des Bruttoinlandsproduktes. Inzwischen konnte die Inflation auf leichter zu kontrollierende 8 bis 9% gedrosselt werden, die Zinsen liegen nun bei 14% und im Jahr 2005 waren höhere ausländische Investitionen zu verzeichnen als in den letzten 20 Jahren zusammen.

Ob die Türkei also der EU beitritt oder nicht, spielt zum jetzigen Zeitpunkt keine Rolle. Viel wichtiger ist, dass dieser Prozess als Katalysator für eine Weiterführung der Wirtschafts- und Sozialreformen dient, was sich positiv auf die Wirtschaftsentwicklung und die Investitionsmöglichkeiten auswirkt. Nutznießer der rückläufigen Inflation und der sinkenden Zinsen sind eindeutig der Bankensektor sowie die Hersteller langlebiger Konsumgüter, da sich die Türken nun Ratenkäufe leisten können. Wir sind sehr zuversichtlich, dass die Türkei den 20 Jahre währenden Zyklus eines ständigen Auf- und Abschwungs in der Konjunkturentwicklung nun endlich durchbrochen hat.

Quelle: Baring Asset Management

Baring Asset Management ist ein internationales Investmenthaus das mehr als 29,1 Mrd. Euro (Stand: 30.09.2005) für Kunden aus aller Welt verwaltet. das Leistungsspektrum umfasst eine große Palette von international anlegenden Aktien- und Rentenfonds sowie Publikumsfonds und das Management von Spezialfonds. Baring Asset Management gehört seit 1995 zur ING Gruppe.

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Über den Experten

Thomas Gansneder
Thomas Gansneder
Redakteur

Thomas Gansneder ist langjähriger Redakteur der BörseGo AG. Der gelernte Bankkaufmann hat sich während seiner Tätigkeit als Anlageberater umfangreiche Kenntnisse über die Finanzmärkte angeeignet. Thomas Gansneder ist seit 1994 an der Börse aktiv und seit 2002 als Finanz-Journalist tätig. In seiner Berichterstattung konzentriert er sich insbesondere auf die europäischen Aktienmärkte. Besonderes Augenmerk legt er seit der Lehman-Pleite im Jahr 2008 auf die Entwicklungen in der Euro-, Finanz- und Schuldenkrise. Thomas Gansneder ist ein Verfechter antizyklischer und langfristiger Anlagestrategien. Er empfiehlt insbesondere Einsteigern, sich strikt an eine festgelegte Anlagestrategie zu halten und nur nach klar definierten Mustern zu investieren. Typische Fehler in der Aktienanlage, die oft mit Entscheidungen aus dem Bauch heraus einhergehen, sollen damit vermieden werden.

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