Kommentar
20:10 Uhr, 08.03.2016

Ölpreis: Haben wir DAS Tief gesehen?

Der Ölpreis steht heute ein Drittel höher als noch Anfang Februar. Ist das bereits das große Tief oder handelt es sich um eine Bullenfalle?

Die OPEC konnte sich bisher nicht auf Förderkürzungen einigen und wird es vermutlich auch nicht mehr. Das höchste der Gefühle war eine mittelmäßig überzeugende Vereinbarung zu Obergrenzen. Russland, Saudi-Arabien, Kuwait, Venezuela und Ecuador wollen ihre Fördermengen nicht weiter erhöhen. Der Irak findet die Idee sympathisch, allerdings nicht, wenn es um die eigene Produktion geht. Der Iran wiederum bezeichnete die Forderung einer Einfrierung der Obergrenze für sich selbst als lächerlich.

Geht im Iran und Irak alles nach Plan, dann wird die Ölproduktion in den kommenden 12 Monaten um ca. 1 Mio. Barrel pro Tag gesteigert. Sofern sich Saudi-Arabien und Russland an ihre Vereinbarung halten, bedeutet das nichts anderes, als dass das Überangebot auf Jahressicht weiter ausgebaut wird.

In anderen Ländern wird im Gegensatz zur OPEC nun gekürzt. Was die OPEC nicht erreichen konnte, setzen nun andere um. Das geschieht nicht immer freiwillig, sondern auch aus wirtschaftlicher Notwendigkeit. Entsprechend ist die Bohraktivität vor allem in den USA und in Kanada stark zurückgegangen (Grafik 1).

In den USA sind derzeit so wenige Bohrköpfe aktiv wie zuletzt vor 17 Jahren. Sinkt die Zahl weiter, dann ist in ein oder zwei Wochen der tiefste Stand seit 1949 erreicht. In Kanada ist die Lage ähnlich aufmunternd. Die Lage ist aufmunternd, da jede Bohrung, die ausbleibt, das Angebot in der Zukunft nicht weiter steigert. Einige Firmen haben inzwischen sogar angekündigt, nicht nur weniger neue Quellen zu erschließen, sondern die Förderung aktiv zu senken.

Bereits in den vergangenen 8 Monaten ist die Produktion in den USA rückläufig. Grafik 2 zeigt die tägliche Ölproduktion sowie den Ölpreis. Täglich werden aktuell noch knapp 9,1 Mio. Barrel gefördert. Das sind über 500.000 weniger als noch vor 8 Monaten. Der Trend wird sich weiter fortsetzen. Mit den angekündigten Förderkürzungen sollten in diesem Jahr weitere 500.000 Barrel Produktion pro Tag wegfallen.

Der Markt reagiert auf die Daten positiv. Der Rückgang der Produktion in den USA und Kanada fängt einen Teil der Produktionssteigerungen in anderen Ländern auf. Unterm Strich dürfte das Überangebot in diesem Jahr leicht sinken. Bleiben die Fördermengen 2017 konstant, dann wird das Überangebot im kommenden Jahr durch Nachfragesteigerungen größtenteils abgebaut. 2018 wären Angebot und Nachfrage wieder im Gleichgewicht.

Wenn Angebot und Nachfrage 2018 wieder ins Gleichgewicht finden, ist dann jetzt schon Zeit, um auf einen nachhaltigen Rebound zu setzen? – Über diese Frage grübeln aktuell viele Analysten und Anleger. Bereits vor einem Jahr haben sie sich mit dieser Erwartung die Finger verbrannt. Es wagt sich kaum jemand aus der Deckung.

Die Reaktion des Marktes auf den Förderrückgang in den USA ist ein Signal, dass die Chance auf einen nachhaltigen Boden besteht. Die Fördermenge in den USA hat historisch wenig mit dem Preis von Öl zu tun gehabt. Das zeigt Grafik 2 sehr schön. Viel wichtiger als die US-Produktion ist der US-Lagerbestand. Grafik 3 zeigt die Entwicklung des Lagerbestandes und des Ölpreises. Man erkennt sofort einen negativen Zusammenhang: steigt die Lagermenge, dann fällt der Ölpreis.

Der Zusammenhang des US-Lagerbestands und des Ölpreises gilt seit Jahrzehnten. Er ist das beste Instrument, welches Anleger weltweit haben, um den Zustand des Ölmarktes zu beurteilen. Steigt der US-Lagerbestand, dann ist das ein Warnsignal für die Weltwirtschaft. Da die Daten der US Energiebehörde die besten und am schnellsten verfügbaren weltweit sind, blickt die Welt auf diese Daten.

Füllen sich die Lager überproportional und entgegen der Saisonalität, dann läuft etwas schief. Es ist die Folge von zwei möglichen Ursachen: entweder sinkt die globale Nachfrage oder es besteht ein großes Überangebot. Ersteres ist ein Indikator für den Zustand der Weltwirtschaft, letzteres für die Angebotsseite.

Der Ölpreis reagiert aus diesem Grund sehr viel sensitiver auf den US-Lagerbestand als auf die Produktion. Die Produktion ist inzwischen so hoch, dass sie für den Weltmarkt Relevanz hat, doch sie ist nicht allein für das Gleichgewicht oder Ungleichgewicht verantwortlich. Der Lagerbestand bleibt daher ein viel wichtigerer Indikator.
Nun steigt der Lagerbestand in den USA so schnell wie selten zuvor. Grafik 4 zeigt die Entwicklung in einem kleineren Zeitfenster als Grafik 3. Der Ölpreis ist in der Grafik invertiert, sodass Lagerbestand und Preis parallel laufen. Dieser Zusammenhang gilt nach wie vor, doch vergangene Woche erhöhte sich der Lagerbestand um rekordnahe 10 Mio. Barrel. Der Ölpreis reagierte darauf nicht. Was bedeutet das?

Das bedeutet letztlich, dass sich Anleger viel mehr auf die Entwicklung der Produktion konzentrieren als auf den Lagerbestand. Jeder weiß inzwischen, dass es ein Überangebot gibt. Würde der Lagerbestand nicht steigen, wäre das eine große Überraschung. Anleger fokussieren sich also nicht mehr auf das, was jetzt gerade ist, sondern auf das, was in den kommenden Monaten zu erwarten ist. Der Zeithorizont hat sich gerade deutlich verschoben.
Wenn neue Zeichen des Überangebots nicht mehr auf den Ölpreis wirken, dann ist das Überangebot inzwischen eingepreist. Anleger beschäftigen sich nun viel mehr mit der Frage, wann wieder ein Gleichgewicht erreicht wird. Wie oben beschrieben kann das noch Jahre dauern. Das spricht jedoch nicht gegen einen nachhaltigen Boden.

Persönlich bin ich der Meinung, dass wir die Tiefs nun gesehen haben. Der Ölpreis wird deshalb trotzdem nicht gleich wieder auf 60 oder 80 Dollar steigen. Der aktuelle Aufwärtstrend kann sich noch eine Weile fortsetzen, doch es werden auch wieder Zeiten kommen, in denen der Ölpreis auf 30 Dollar zurückfällt.

Meine ganz persönliche Meinung lässt sich so zusammenfassen: kurzfristig kann der Ölpreis weiter steigen, fällt dann wieder merklich zurück, bildet aber keine neuen Tiefs. Der Ölpreis wird noch jahrelang auf niedrigem Niveau seitwärts laufen. Den massiven Kursanstiegen der Aktien des Ölsektors würde ich nicht hinterherlaufen. Es wird größere Rücksetzer geben. Einer hat möglicherweise gerade erst begonnen.

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2 Kommentare

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  • BB Utz
    BB Utz

    Sehr guter Artikel mit Fakten die erklären was den Ölpreis bewegt..

    18:26 Uhr, 09.03.2016
  • Harald Weygand
    Harald Weygand Head of Trading

    Ähnlich wie in den US Indizes sehen wir seit ein paar Wochen einen Shortsqueeze im Öl. Das sind keine echten Käufe, es ist der erzwungene Rückkauf leerverkaufter Positionen.

    Das kann durchausnoch in den 40 $ Bereich hochgehen WTI Öl.

    07:00 Uhr, 09.03.2016

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Über den Experten

Clemens Schmale
Clemens Schmale
Finanzmarktanalyst

Clemens Schmale hat seinen persönlichen Handelsstil seit den 1990er Jahren an der Börse entwickelt.

Dieser gründet auf zwei Säulen: ein anderer Analyseansatz und andere Basiswerte. Mit anders ist vor allem die Kombination aus Global Makro, fundamentaler Analyse und Chartanalyse sowie Zukunftstrends gemeint. Während Fundamentaldaten und Makrotrends bestimmen, was konkret gehandelt wird, verlässt sich Schmale beim Timing auf die Chartanalyse. Er handelt alle Anlageklassen, wobei er sich größtenteils auf Werte konzentriert, die nicht „Mainstream“ sind. Diese Märkte sind weniger effizient als andere und ermöglichen so hohes Renditepotenzial. Sie sind damit allerdings auch spekulativer als hochliquide Märkte. Die Haltedauer einzelner Positionen variiert nach Anlageklasse, beträgt jedoch meist mehrere Tage, oft auch Wochen oder Monate.

Rohstoffe, Währungen und Volatilität handelt er aktiv, in Aktien und Anleihen investiert er eher langfristig. Die Basiswerte werden direkt – auch über Futures – oder über CFDs gehandelt, in Ausnahmefällen über Optionen und Zertifikate.

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