Nachricht
14:08 Uhr, 19.02.2024

Ökonomen kritisieren Industriepolitik der Regierung

Von Andreas Kißler

BERLIN (Dow Jones) - Führende Ökonomen haben die Bundesregierung dazu gedrängt, zur Stärkung der Konjunkturaussichten der hohen Unsicherheit bei Bevölkerung und Unternehmen entgegenzutreten. Beim "Leibniz-Wirtschaftsgipfel" forderten die Spitzen deutscher Wirtschaftsforschungsinstitute dafür vor allem eine schlüssige Industriepolitik. Er habe "Zweifel am jetzigen Kurs der Bundesregierung, eine sehr selektive Industriepolitik zu machen", sagte der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher. "Ich würde mir wünschen, dass diese Rahmenbedingungen für alle Unternehmen verbessert werden."

Auch die Innovationsökonomin Hanna Hottenrott vom ZEW - Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung drang auf "eine breitere Industriepolitik", die etwa die Digitalisierung über Branchen hinweg fördere. Der Präsident des IWH - Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung Halle, Reint Gropp, kritisierte ebenfalls, der von der Regierung verfolgte "mikrodirigistische Ansatz" funktioniere nicht gut. "Es wird sich viel zu wenig auf Preissignale, Marktmechanismen verlassen und viel zu sehr auf Mikrosteuerung durch den Staat." Das führe zu Unsicherheit und Fehlanreizen.

Die derzeit vorherrschende Konsumunlust und Investitionsschwäche sei "ein Stück weit durchaus hausgemacht". Die Regierung sei "außerordentlich schlecht darin", eine konsistente Strategie kohärent umzusetzen, und die mangelnde Kommunikation einer Strategie führe zu Unsicherheit. "Das ist der wichtigste Punkt, um kurzfristig anzusetzen." Eine Heruntersubventionierung von Energiepreisen lehnte Gropp ab. Die Energiekosten sollten angesichts der nötigen Energiewende hoch bleiben.

   Fuest sieht viele überflüssige Gesetze 

Der Präsident des Ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung, Clemens Fuest, nannte es mit Blick auf die kurzfristige Konjunktur "ein bisschen überraschend", dass der Konsum nicht anziehe. "Das hat vielleicht auch mit Verunsicherung oder Sorgen zu tun", meinte auch er. Dass sich die Investitionen schlecht entwickelten, sei sehr bedenklich. Fuest forderte bessere Rahmenbedingungen, und dafür angesichts einer massiv gestiegenen Bürokratiebelastung die Abschaffung "vieler überflüssiger Gesetze" wie etwa der EU-Taxonomie für nachhaltige Finanzen. Zur Verbesserung der Fachkräftesituation geschehe aber relativ wenig.

Eine "vertrauensbildende Maßnahme" wäre es, sich in der Koalition und mit der Union auf eine Verstetigung öffentlicher Investitionen zu einigen, betonte Fuest. Auch müsse es kurzfristig "veränderte Investitionsanreize am Wohnungsmarkt" geben, denn der Einbruch dort sei sehr beunruhigend. Langfristig brauche man "ein Wachstumsprogramm der Politik", das unter anderem die Fachkräfteverknappung und die Steuerbelastung adressiere.

Der Wissenschaftliche Direktor des Leibniz-Instituts für Finanzmarktforschung Safe, Florian Heider, forderte mit Blick auf eine europäische Kapitalmarktunion, "einfach einmal anzufangen", zum Beispiel mit einer einheitlichen Marktaufsicht. "Man müsste einfach, genauso wie es bei der Bankenaufsicht geklappt hat, eine Marktaufsicht hinbekommen, und dann würde man hoffen, dass sich nach und nach eine europäische Denkweise in den Finanzmärkten entwickelt", erklärte er.

Kontakt zum Autor: andreas.kissler@wsj.com

DJG/ank/sha

Copyright (c) 2024 Dow Jones & Company, Inc.