Kommentar
09:30 Uhr, 25.07.2007

Oberhauswahlen in Japan: Abe ade?<br />

1. Am 29. Juli finden in Japan Oberhauswahlen statt. Zwar sind sie politisch nicht so bedeutend wie die Unterhauswahlen, doch ist diese Wahl der erste große Vertrauenstest für den seit September 2006 amtierenden Premierminister Shinzo Abe von der Liberaldemokratischen Partei (LDP). Ein herber Verlust seiner Regierungskoalition bei den Oberhauswahlen könnte ihn sogar zum Rücktritt zwingen.

2. Das japanische Parlament besteht, ähnlich dem Britischen, aus zwei gewählten Häusern, dem Unterhaus und dem Oberhaus. Die beiden Kammern sind für das Parteiensystem insofern interessant, als es durch unterschiedliche Wahlsysteme und Legislaturperioden zu verschiedenen Mehrheitsverteilungen kommen kann.

• Das politisch entscheidende Organ ist das Unterhaus, auch Repräsentantenhaus, welches aus 480 Abgeordneten besteht. Der Premierminister muss ein Mitglied des Unterhauses sein und ist normalerweise der Führer der größten Partei im Unterhaus. Die Legislaturperiode des Unterhauses beträgt vier Jahre, allerdings wurde sie in der japanischen Nachkriegsgeschichte bis auf eine Ausnahme stets vorzeitig beendet. Der Premierminister kann von dem Recht Gebrauch machen, das Parlament vorzeitig aufzulösen, um Neuwahlen zu erwirken. Die letzten Unterhauswahlen fanden im September 2005 statt. Dabei konnte die LDP, dem der frühere Premierminister Koizumi und der jetzige Premierminister Abe angehören, mit 292 Sitzen die Mehrheit gewinnen.

• Dem Oberhaus kommt eher eine beratende Funktion zu. Es ist dem Unterhaus untergeordnet und politisch weniger bedeutsam. Das Oberhaus wird alle drei Jahre zur Hälfte neu gewählt. Es besteht aus 242 Sitzen und kann zustimmungspflichtige Gesetze verzögern bzw. ablehnen, was jedoch selten passiert. In der Regel werden bereits vor der Einbringung von Gesetzesentwürfen in das Parlament die zur Sicherstellung einer Mehrheit notwendigen Aushandlungsprozesse geführt. Sollte ein Beschluss dennoch vom Oberhaus abgelehnt werden, kann im Unterhaus erneut darüber abgestimmt werden. Ein Beharrungsbeschluss des Unterhauses erfordert die Bekräftigung durch eine Zweidrittelmehrheit des Unterhauses.

3. Der Ausgang der Oberhauswahl am 29. Juli ist deshalb so bedeutend, weil die Regierungskoalition von LDP und der New Komeito Partei (Clean Governance Party) unter der Führung von Premierminister Shinzo Abe die Mehrheit im Oberhaus verlieren kann. Zwar besitzt sie im Unterhaus mit 323 von 480 Sitzen eine bequeme Zweidrittelmehrheit. Im Oberhaus jedoch hat die Regierungskoalition derzeit 135 Sitze inne, die einfache Mehrheit beinhaltet 122 Sitze. Wenn die Regierungskoalition also mehr als 13 Sitze im Oberhaus verliert, wäre die Mehrheit dort verloren. Damit wäre es für Premierminister Abe schwerer, seine Agenda durchzusetzen. Die bedeutendste Oppositionspartei ist die Demokratische Partei Japans (DPJ) unter der Führung von Ichiro Ozawa. Möglicher Koalitionspartner der DPJ wäre im Falle eines Wahlsieges die Kommunistische Partei.

4. Diese Oberhauswahl ist der erste große Stimmungstest für Premierminister Shinzo Abe. Die Wahl kann als Vertrauensumfrage gewertet werden. Dabei sieht es nicht gut für Abe und seine LDP aus. Umfragen zufolge hat sich seine Popularität und die Zufriedenheit der japanischen Bevölkerung mit seiner Führung seit seinem Amtsantritt im September 2006 fast kontinuierlich verschlechtert. Zuletzt erreichte das Abe Kabinett in keiner Umfrage eine unterstützende Mehrheit. Im Gegenteil, das Abe Kabinett wurde mehrheitlich von den befragten Japanern abgelehnt.

Damit stehen die Chancen für den Erhalt der Oberhausmehrheit für die Regierung Abe alles andere als gut. Hierzu haben auch zahlreiche Skandale seit seiner Amtseinführung beigetragen. So waren mehrere seiner Minister in Finanzskandale verwickelt, sein Verteidigungsminister musste wegen zweifelhaften Äußerungen zu den Atombombeneinsätzen vom Zweiten Weltkrieg zurücktreten, und der umfangreiche Verlust von Datensätzen der japanischen Pensionskassen verunsicherte viele Japaner.

5. Bei dieser Wahl stehen die Wahlprogramme der Parteien weniger im Mittelpunkt. Vielmehr liegt der Fokus auf den zur Wahl stehenden Personen. Vor allem geht es um die Bestätigung oder die Missbilligung von Premierminister Abe in seinem Amt. Freilich sollten die wichtigsten Wahlkampfthemen nicht unerwähnt bleiben.

• Die LDP setzt zwei Themenschwerpunkte. Erstens geht es um die Fortführung der Konsolidierung des Staatshaushaltes. Die Verringerung der Nettoneuverschuldung, also die Reduzierung der Neuemission von Staatsanleihen, bleibt im Fokus der LDP und sollte zu einem langsameren Anstieg des Bruttoschuldenstandes führen. Das Regierungsziel eines ausgeglichenen Staatshaushalts (Primärbilanz) soll bis 2011 verwirklicht werden. Zugleich soll der Staatsapparat verschlankt werden, was durch den Verkauf von staatlichen Immobilien ansatzweise bereits auf den Weg gebracht wurde. Zweitens ist die Herzensangelegenheit von Premierminister Abe, der nicht wirklich als ein großer Wirtschaftpolitiker gepriesen werden kann, eine Verfassungsreform, insbesondere die Änderung des Artikel 9 der japanischen Verfassung, des so genannten „Anti-Krieg-Artikels“. Dieser stammt aus dem Jahr 1947 und beinhaltet im Nachklang des Zweiten Weltkriegs den Verzicht des japanischen Staates auf die Androhung militärischer Gewalt und auf die Kriegsführung. Das Recht auf Selbstverteidigung bleibt jedoch hiervon unberührt. Dem rechten Flügel japanischer Politiker ist dieser Artikel ein Dorn im Auge. Auch Shinzo Abe hat sich die Aufweichung dieses Artikels und eine aktivere Rolle des japanischen Militärs als Ziel gesetzt. Hierfür benötigt er jedoch einen Beschluss mit Zweidrittelmehrheit sowohl im Unterals auch im Oberhaus. Zudem muss eine einfache Mehrheit der abgegebenen Stimmen bei einer Volksabstimmung der Verfassungsänderung zustimmen. Mit der Verfassungsänderung hat sich Abe etwas Großes vorgenommen, denn die geltende japanische Verfassung wurde noch nie geändert. Im Falle des Verlustes der Mehrheit im Oberhaus wird es für Abe schwer, die Verfassungsreform durchzusetzen. An der Erreichung dieses Ziels könnte er aber gemessen werden.

• Die DPJ, als links von der LDP positionierte Partei, macht mit sozialen und politisch eher links gerichteten Themen Wahlkampf. So propagiert sie das Ende des „selbstgerechten Staates“ und setzt sich für eine stärkere sozialpolitische Rolle des Staates und für mehr Umverteilung seitens des Staates ein. Im Allgemeinen setzt sich die DPJ für die Rechte der Arbeiter und der Steuerzahler ein. Zudem wird eine Reform der Rentenversicherung und des Gesundheitswesens im Wahlkampf thematisiert. Der Anführer der DPJ Ichiro Ozawa zeigt sich mit diesen Themen so siegessicher, dass er seinen Rückzug aus der Politik angekündigt hat, sollte die Opposition die Mehrheit der Sitze im Oberhaus nicht für sich gewinnen können.

6. Es ist zu erwarten, dass der Wahlausgang irgendwo im Bereich zwischen einem knappen Sieg und einem herben Verlust für die Regierungskoalition liegen dürfte.

• Im Falle, dass die Regierungskoalition die Mehrheit im Oberhaus behalten kann, wird Shinzo Abe das Reformtempo anziehen und weitere Skandale vermeiden müssen, um für die Unterhauswahl, die für September 2009 geplant ist, gut gerüstet zu sein. Die Wahrscheinlichkeit eines Wahlsieges der Regierungskoalition beziffern wir für die kommende Oberhauswahl auf unter 50 %.

• Wahrscheinlicher ist der Verlust der Mehrheit der Regierungskoalition im Oberhaus. In diesem Fall gibt es zwei Handlungsmöglichkeiten:

1. Entweder kann Shinzo Abe den Vorsitz in der LDP dennoch behalten und versuchen, mit der ausgeprägten Mehrheit im Unterhaus bis zu den nächsten Unterhauswahlen weiter zu regieren. Im Falle eines solchen Wahlausgangs ist jedoch zu erwarten, dass der politische Druck auf Abe, auch aus den eigenen Reihen, so groß würde, dass er zum Rücktritt vom Vorsitz der LDP und damit auch vom Posten des Premierministers gezwungen wäre. Dieser Posten würde dann parteiintern neu gewählt werden. Dies wäre jedoch für die LDP ein herber Rückschlag, denn Abe hätte in diesem Fall nicht mal ein Jahr lang an der Parteispitze durchgehalten. Die Tatsache, dass kein offensichtlicher Nachfolger für den LDP-Vorsitz bereit steht, würde politische Unsicherheit mit sich bringen, und die fehlende Kontinuität bei der LDP-Parteiführung würde in der japanischen Bevölkerung zu einem weiteren Ansehensverlust der LDP führen.

2. Die Alternative zum Rücktritt wäre für Premierminister Abe, offensiv vorzugehen und vorgezogene Neuwahlen des Unterhauses einzuberufen. Dies erscheint im Falle einer Wahlniederlage der LDP als das wahrscheinlichere Szenario. Seit dem Zweiten Weltkrieg haben mit einer Ausnahme alle japanischen Premierminister von diesem Recht Gebrauch gemacht. Es wäre unklug, die Unterhauswahl gleich im Anschluss an die Oberhauswahl durchzuführen, da er damit große Gefahr läuft, seine Zweidrittelmehrheit im Unterhaus zu verlieren. Ein Vorziehen ins Jahr 2008 halten wir aber in diesem Szenario durchaus für realistisch. Bis dahin müsste Abe freilich das Vertrauen der japanischen Bevölkerung wiedergewinnen, um gestärkt aus den Unterhauswahlen hervorzugehen. Dies kann ihm gelingen, denn sein politischer Weg, der im Wesentlichen die Fortführung der Reformen seines Vorgängers Koizumi beinhaltet, wird von den Japanern grundsätzlich unterstützt. Wenn er mehr Reformtempo an den Tag legt, dürfte die Zeit für ihn spielen. Denn das negative Echo der Skandale aus der letzten Zeit wird nach und nach leiser.

7. Aus wirtschaftlicher Sicht gibt es zu der derzeit regierenden Koalition von LDP und New Komeito Partei kaum eine bessere Alternative. Denn mit der Fortsetzung der von Koizumi angestoßenen Reformen im Bankensektor und im öffentlichen Sektor, mit dem Umbau der Sozialversicherungssysteme und mit tief greifenden Deregulierungs- und Privatisierungsmaßnahmen ist Japan mit der derzeitigen Regierungskoalition wirtschaftlich gesehen auf dem richtigen Weg. Die Politik der Oppositionspartei DPJ scheint im Vergleich hierzu weniger marktfreundlich zu sein. Um die Regierungsverantwortung zu behalten, muss Premierminister Shinzo Abe aber das Reformtempo anziehen und kann sich keine weiteren Skandale mehr leisten. Die Chancen für einen Sieg der Regierungskoalition bei den Oberhauswahlen am 29. Juli stehen laut Stimmungsumfragen schlecht. Im Falle des wahrscheinlichen Verlustes der Mehrheit der Regierungskoalition im Oberhaus wäre jedoch ein offensives Vorgehen, also vorgezogene Neuwahlen des Unterhauses im Jahr 2008, eine Chance für Abe, in Regierungsverantwortung zu bleiben und das Vertrauen der japanischen Bevölkerung wieder zu gewinnen.

Quelle: DekaBank

Die DekaBank ist im Jahr 1999 aus der Fusion von Deutsche Girozentrale - Deutsche Kommunalbank- und DekaBank GmbH hervorgegangen. Die Gesellschaft ist als Zentralinstitut der deutschen Sparkassenorganisation im Investmentfondsgeschäft aktiv. Mit einem Fondsvolumen von mehr als 135 Mrd. Euro und über fünf Millionen betreuten Depots gehört die DekaBank zu den größten Finanzdienstleistern Deutschlands. Im Publikumsfondsgeschäft hält der DekaBank-Konzern einen Marktanteil von etwa 20 Prozent.

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Über den Experten

Thomas Gansneder
Thomas Gansneder
Redakteur

Thomas Gansneder ist langjähriger Redakteur der BörseGo AG. Der gelernte Bankkaufmann hat sich während seiner Tätigkeit als Anlageberater umfangreiche Kenntnisse über die Finanzmärkte angeeignet. Thomas Gansneder ist seit 1994 an der Börse aktiv und seit 2002 als Finanz-Journalist tätig. In seiner Berichterstattung konzentriert er sich insbesondere auf die europäischen Aktienmärkte. Besonderes Augenmerk legt er seit der Lehman-Pleite im Jahr 2008 auf die Entwicklungen in der Euro-, Finanz- und Schuldenkrise. Thomas Gansneder ist ein Verfechter antizyklischer und langfristiger Anlagestrategien. Er empfiehlt insbesondere Einsteigern, sich strikt an eine festgelegte Anlagestrategie zu halten und nur nach klar definierten Mustern zu investieren. Typische Fehler in der Aktienanlage, die oft mit Entscheidungen aus dem Bauch heraus einhergehen, sollen damit vermieden werden.

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