Kommentar
14:38 Uhr, 17.06.2015

Neue Zeitrechnung am Aktienmarkt

  • Es könnte sein, dass es sich bei der gegen­wärtigen Korrektur am Aktienmarkt nicht nur um eine vorübergehende Entwicklung han­delt.
  • Es gibt eine Reihe von Indizien, dass sich das fundamentale Bild ändert. Die "Nach­krisenzeit" könnte auch in Europa zu Ende gehen.
  • Gesamtwirtschaftlich ist das zu begrüßen. Für die Märkte aber heißt es, dass die gol­denen Zeiten vorbeigehen.

So richtig leicht zu verstehen ist die gegenwärtige Situa­tion der Märkte nicht. Vier Monate gingen die Kurse an den Aktien- und Rentenmärkten steil nach oben. Dann plötzlich, ohne dass sich an den fundamentalen Fakto­ren etwas Größeres geändert hatte, brach die Entwick­lung ab und die Kurse fielen. Was ist hier passiert?

Man könnte es sich leicht machen und auf Griechenland verweisen. Aber die Probleme dort waren schon lange bekannt. Sie haben sich in den letzten Wochen nicht grundsätzlich geändert. Man könnte auch sagen, dass das eine der üblichen "technischen" Korrekturen ist. Wenn die Kurse eine Zeitlang stark steigen, dann muss es auch einmal eine Pause geben. Nach diesem Modell müsste es spätestens im September wieder nach oben gehen. Der Anleger könnte sich zurücklehnen und ein­fach abwarten, bis die Kurse wieder steigen.

Ich glaube, dass das zu einfach ist und dass mehr da­hin­ter steht. Ist es nicht denkbar, dass sich das funda­men­tale Umfeld doch geändert hat, nur nicht so of­fen­sicht­lich? Dass sich zum Beispiel die Zeit der Krisen­be­wälti­gung, die die Hausse so stark genährt hatte, dem Ende nähert? Dann kann man sich nicht einfach darauf verlas­sen, dass nach einer Übergangszeit alles so wie bisher weitergeht. Dann würde eine neue Welt für die Märkte beginnen.

Schauen wir uns die Struktur der bisherigen Entwicklung des DAX seit März 2009 an (siehe Grafik). Da kann man zwei Phasen unterscheiden. Die eine ging von 2009 bis 2011. Hier waren die Aktienkurse im Wesentlichen von der Konjunktur getrieben. Das reale BIP stieg nach der Rezession stark an.

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Im Jahr 2011 begann eine neue Phase. Das Wirtschafts­wachstum ließ nach und reichte nicht mehr, um die Kur­se zu treiben. Dafür wurde die Geldpolitik immer expan­siver. Die Europäische Zentralbank senkte die Zinsen. Sie flutete die Märkte mit Liquidität. Wir hatten eine Li­quiditätshausse. Die dauert zwar noch an. Die EZB kauft immer noch Wertpapiere. Sie verliert aber an Kraft. Zum einen weil die Amerikaner langsam aus der ultralockeren Geldpolitik aussteigen und jetzt auch noch die Zin­sen erhöhen wollen. Zum anderen weil der Instrumentenkas­ten der EZB leer ist. Sie kann die bisherigen Programme zwar weiterführen. Sie kann aber nichts nachlegen. Der Markt aber lebt immer von der Erwartung künftiger Maß­nahmen.

Was aber kommt, wenn diese Phasen auslaufen? Mei-ne Vermutung: Wir stehen vor einer Normalisierung der wirtschaftlichen und monetären Bedingungen. Die Aus­nahmesituation mit all den Maßnahmen zur Bekämpfung der Folgen der Finanz- und Eurokrise geht zu Ende. Wir kommen wieder in vernünftigere Fahrwasser. Ich hatte das im März schon einmal für die USA beschrieben. Jetzt zeigt es sich aber auch hier an verschiedenen In­dikatoren.

Einer ist die Inflationsrate. Die Deflationsängste, die uns noch zu Jahresanfang beschäftigt haben, sind vorbei. Die Verbraucherpreise steigen wieder. Die Zunahme ist noch sehr gering (zuletzt 0,3 %). Die Entwicklung geht aber in die richtige Richtung. Ein anderer ist der Ölpreis. Er ist im letzten Jahr um fast 50 % gefallen. Das hat der Konjunktur und den Aktienmärkten sehr geholfen. Jetzt erholt er sich. Er bewegt sich wieder in Größenordnun­gen, die tragfähiger sind und länger anhalten könnten.

Der Wechselkurs des Euros hatte sich als Folge der Eu­rokrise und der expansiven Maßnahmen der Geldpolitik stark abgewertet. Jetzt scheint er sich auf niedrigerem Niveau zu fangen. Manch einer denkt schon, dass er sich aufwerten könnte. Die Eurokrise nähert sich dem Ende. Zwar geht es mit Griechenland nach wie vor hoch her. Die Programmländer Irland und Portugal stehen je­doch wieder auf eigenen Beinen. Spanien wächst wieder mit 3 %. Italien und Frankreich haben begriffen, dass sie um Reformen nicht herumkommen.

Sogar die langfristigen Zinsen sind in Bewegung gekom­men. Sie haben sich von fast Null auf zeitweise 1 % er­höht. Das war zwar zunächst nur eine der üblichen hek­tischen Marktschwankungen. Die Zinsen sind auch jetzt noch sehr niedrig. Aber auch das geht in die richtige Richtung. Schließlich zieht die Konjunktur an. Der Auf­schwung ist zwar nicht überschwänglich. Aber weil es zum Beispiel in Deutschland an freien Kapazitäten fehlt, führt er zu Engpässen am Arbeitsmarkt und zu einer stärkeren Erhöhung der Löhne.

All das ist noch sehr spekulativ. Manch einer wird Zwei­fel äußern, ob man daraus schon weiterreichende Schlussfolgerungen für die Entwicklung der Märkte zie­hen darf. Ich widerspreche dem nicht. Ich meine nur, dass man darüber einmal nachdenken sollte.

Für den Anleger ergibt sich eine zwiespältige Schluss­folgerung. Aus übergeordneter Sicht ist das alles zu be­grüßen. Wenn es wirklich so kommen sollte, würden Un­gleichgewichte abgebaut. Wirtschaft und Finanzmärkte kämen langsam wieder auf die Beine und könnten ohne die Hilfen vor allem der Geldpolitik wieder leben. Der An­lagenotstand mit den ultraniedrigen Zinsen ginge irgend­wann zu Ende. Die "Nachkrisenzeit" wäre vorbei.

Auf der anderen Seite werden sich die Märkte in Zukunft nicht mehr so positiv entwickeln. Die Übertreibungen der Geldpolitik in der Vergangenheit waren Gold für die Märkte. Sie trieben die Bewertung der Aktienmärkte an das obere Ende des noch Vertretbaren. Wenn es jetzt sein sollte, dass sich die Geldpolitik normalisiert, dann müssen sich auch die Märkte normalisieren. Das Kurs­niveau würde sinken. Wenn es das nicht tut, dann muss sich zumindest das Wachstum der Kursindizes verrin­gern (auf vielleicht 6 % bis 8 % pro Jahr). Zweistellige Renditen an den Aktienmärkten würden der Vergangen­heit angehören.

Dr. Martin W. Hüfner, Chefvolkswirt von Assenagon Asset Management S.A.

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5 Kommentare

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  • Chronos
    Chronos

    Ich würde VWL und BWL nicht vermischen. Das gehört klarer getrennt.

    VWL interessiert die Märkte nur in Form von Bedingungsrisiko, was rein Politisch oder mit geologischem Sicherheitsfaktor versehen ist. Da ändert sich wenig und wenn sehr träge, nicht einmal mittelfristig sondern rein langfristig (klassisch). Ziel der umgesetzten staatlichen VWL ist doch auch nicht Kaufkraft sondern Ein kommen (Steuern) und Preisniveaustabilität. Uns wird weis gemacht die sei gegeben, schliesslich sind ja die Gehälter mun. um das doppelte gestiegen ;-)

    Nichts leichteres also an den Zukunftskosten die schwer zu skalieren sind dafür permanent bleiben zu drehen. Qualität, Lebenszyklen, Unterhalt, Wartung, Maintanance, Steuern, Abgaben, Betriebskosten.

    In der BWL interessiert das weniger, hier wird doch kaum noch über die Monatsscheibe geguckt, Quartal ist fast schon mittelfristig.

    Als Anleger interessiert es mich nur am Rand, Buchkurs ist Betechnungsgrundlage

    aber alles ausser Einstand verbilligen geht am Ziel vorbei.

    Ich würde daher auch die Zinsen nicht so massiv überbewerten, ebenso wie Dividenden überbewertet werden. Das sind die Schokostreusel und die Amarenakirschen auf der Torte, Zinsen die Kalorien. Nicht mehr.

    Aktien sind damit alternativlos. Da liquide&mobil. (Wollte der Staat auch schon ändern). Was mir etwas fehlt ist das WAS? Sehe einige Werte sehr günstige andere total überbewertet. Und das WIE? Die Derivatequote von gut 60% ist imho Quark aber Trend.

    14:14 Uhr, 18.06.2015
  • wollicgn
    wollicgn

    Guten Tag Herr Hüfner,

    ich lese immer gerne Ihre Komentare. Wenn ich nun den DAX Chart von 2009 bis heute sehe kann man nach Elliot ganz deutlich die 5 Wellen sehen. Welle 2 starker Einbruch 2011 und Welle 4 Seitwärts 2014.

    Ich bin da kein so großer Spezialist ob nun die Kursrally seit Oktober 2014 die Welle 5 nun vor dem Ende steht weis ich nicht, aber andere Indikatoren weisen darauf hin.

    Ob nun eine Korrektur eher seicht oder steil verlaufen wird wage ich auch nicht zu sagen. Aber die hohe Volatilität mit ca 200 Punkten pro Tag lässt vermuten das viele Bigboy`s umgeschichtet haben.

    Ich bin Ihrer Meinung 12.400 sehen wir nicht so schnell wieder.

    11:14 Uhr, 18.06.2015
  • Cristian Struy
    Cristian Struy

    Hallo Herr Hüfner, eine interessante Sichtweise, die durchaus Sinn macht. Schau ich mir den Dax an sehe ich jedoch nach einer gesunden Korrektur, sagen wir bis zur letzten Ausbruchsstelle - Dip darunter also 10000-Dip = ca 9700 eher erhebliches Aufwärtspotential. Der Grund dafür ist, dass ich nicht glaube, dass der Aktienpreis (nichts anders als Aktienpreise + Divis im Mix ist der Dax) durch echte Wertzuwächse gekommen ist, sondern nur Inflationsraten ausgeglichen hat. Was meine ich damit? In den letzten Jahren hat das Geld heftig entwertet. Entgegen aller offiziellen Statistiken haben sich die Preise für Großinvestitionen wie Immobilien, Autos bis hin zu Auslandsreisen etc. verdoppelt. (seit Euro Einführung haben diese sich in DM umgerechnet verdoppelt!). Der Dax spiegelt das + Übertreibung wieder. These: Man bekommt also für seinen Aktienkorb heute den gleichen Warenkorb wie vor der Euroeinführung. Müsste man mal rechnen. Ein Haus für 300000 DM/Euro ein Auto für 50 DM/Euro und 10 Reisen innerhalb von ein paar Jahren a 5000 Euro/DM also gesamt 400000 DM und wenn man die gleichen Aktien 1999 verkauft hätte (Korb müsste damals 400.000 DM wert gewesen sein) und wenn man sie jetzt zum aktuellen Europreis verkaufen würde. Habe es nicht getan, aber ich denke, man würde nicht mehr dafür bekommen als damals.

    Da ich nicht glaube, dass das Geld aufwerten wird (geht aufgrund der Verschuldung der Staaten und der daraus vor allem durch den Zinseszinseffekt, der sich ja immer weiter potenziert, folgenden Belastung gar nicht) wird die Inflation weiter getrieben werden. Mit ihr die Aktienkurse. Also würde es mich nicht wundern, wenn der Dax in ein paar Jahren 18000 "kostet". Änderung ist nur möglich, wenn eine realen Entschuldung stattfindet.

    Ausser Staatsbankrotten oder Entschuldungsaktionen a la Island (wir zahlen den Gläubigern nichts mehr zurück) fällt mir aber dazu nichts ein. Freiwillig wird kein Gläubiger auf Zinsen und Zinseszinsen oder gar seinen eigentlichen Kredit verzichten. Slebst starke Länder wie Deutschland zahlen ja nicht mal ihre Schulden ab. Immer nur die Zinsen.

    16:31 Uhr, 17.06.2015
  • Johannes26
    Johannes26

    Blödsinn!

    14:53 Uhr, 17.06.2015
    1 Antwort anzeigen