Kommentar
15:14 Uhr, 12.01.2007

Nemetschek: Heuschrecke ausgetrickst

Auf den ersten Blick ist der Erwerb des ungarischen Wettbewerbers Graphisoft für 9 EUR je Anteilsschein nicht unbedingt ein Schnäppchen für die Nemetschek AG. 54% gehören schon Nemetschek. Nächste Woche ergeht das Angebot an die freien Graphisoft-Aktionäre, praktisch alles zu übernehmen. Würden 100% angedient, müsste Nemetschek rund 95 Mio. EUR aufwenden. Dafür bekommt man rund 30 Mio. EUR Umsatz, der 2006 geschätzte 8 Mio. EUR EBITDA abwerfen und eine EBIT-Marge deutlich jenseits der 20% beisteuern dürfte.
Aber ist ein KUV von 3 und ein EBITDA-Multiple von fast 12 richtig billig? Rechnen tut es sich erst auf den zweiten Blick: Graphisoft ist extrem Cashflow-stark. Für die Übernahme wird sich Nemetschek fremdverschulden – und wird selbst nach Einberechnung der Zinslast höhere Gewinne je Aktie ausweisen. Aufgrund der Cashflow-Stärke waren nämlich die Ungarn anfällig für eine Heuschreckenattacke geworden. Die scheint es wohl auch gegeben zu haben. Deshalb entschied sich Graphisoft-Gründer Gabor Bojar lieber für ein Zusammengehen mit den Deutschen. Bojar ist – wie der Nemetschek-Gründer Prof. Georg Nemetschek – einer der Software-Pioniere in ihrem Land. Obwohl man auf dem Markt Konkurrenz ist, versteht man sich aber in der Geisteshaltung. Bei der Software-Entwicklung wurden ähnliche architektonische Konzepte verfolgt.
Beide Unternehmen vereint steigen zur weltweiten Nummer 2 auf Markt für Bausoftware hinter der US-Gesellschaft Autodesk (»AutoCAD«) auf. Auf dem Gebiet der AEC-Software (Architecture, Enginieering, Construction) sieht man sich gar als die weltweite Nummer 1. 270.000 Kunden weltweit nutzen Graphisoft- bzw. Nemetschek-Software.
Treibende Kraft hinter dem Deal war wohl der Nemetschek-Vorstandsvorsitzende Gerhard Weiß. Er erkannte die strategischen Technologie- und Vertriebssynergien. Und Weiß hat in seiner Laufbahn als Nemetschek-Chef nun wirklich mehr als ein glückliches Händchen bewiesen. Als Weiß den Posten 2002 übernahm, steckte Nemetschek in tiefen Problemen. Der Kurs kämpfte mit der 1-EUR-Grenze – und übersprang nun locker vom Hocker die 25-EUR-Marke. Weiß wollte eigentlich Ende Dezember turnusgemäß ausscheiden; nun hat sich sein Amt so lange verlängert, bis der Graphisoft-Deal rechtlich und organisatorisch in allen trockenen Tüchern ist. Graphisoft bleibt übrigens als eigenständiges Unternehmen komplett erhalten. Das Unternehmen wird als »strategische Finanzinvestition« gehalten, sagte Nemetschek-Finanzvorstand und (seit 1. Januar) -Vorstandssprecher Ernst Homolka.
Nemetschek hat übrigens in diesen Tagen unser mehrfach erhöhtes Kursziel von zuletzt 25 EUR erreicht (BetaFaktor.de 13/06b). Das Gros unserer Leser, die früher mit einstiegen, müsste auf dreistellige Kursgewinne außerhalb der Jahresspekulationsfrist blicken. Hier sind jetzt auf jeden Fall Teilgewinnmitnahmen angesagt. Wer noch dabeibleiben oder neu einsteigen will: Die neuen Aussichten sind gut für ein Kursziel von 35 EUR. Vertrauen Sie auf Gerhard Weiß.

Quelle: [Link "www.betafaktor.info" auf www.betafaktor.info/... nicht mehr verfügbar]

Keine Kommentare

Du willst kommentieren?

Die Kommentarfunktion auf stock3 ist Nutzerinnen und Nutzern mit einem unserer Abonnements vorbehalten.

  • für freie Beiträge: beliebiges Abonnement von stock3
  • für stock3 Plus-Beiträge: stock3 Plus-Abonnement
Zum Store Jetzt einloggen

Das könnte Dich auch interessieren

Über den Experten

Jochen Stanzl
Jochen Stanzl
Chefmarktanalyst CMC Markets

Jochen Stanzl begann seine Karriere in der Finanzdienstleistungsbranche als Mitbegründer der BörseGo AG (jetzt stock3 AG), wo er 18 Jahre lang mit den Marken GodmodeTrader sowie Guidants arbeitete und Marktkommentare und Finanzanalysen erstellte.

Er kam im Jahr 2015 nach Frankfurt zu CMC Markets Deutschland, um seine langjährige Erfahrung einzubringen, mit deren Hilfe er die Finanzmärkte analysiert und aufschlussreiche Stellungnahmen für Medien wie auch für Kunden verfasst. Er ist zu Gast bei TV-Sendern wie Welt, Tagesschau oder n-tv, wird zitiert von Reuters, Handelsblatt oder DPA und sendet seine Einschätzungen über Livestreams auf CMC TV.

Jochen Stanzl verfolgt einen kombinierten Ansatz, der technische und fundamentale Analysen einbezieht. Dabei steht das 123-Muster, Kerzencharts und das Preisverhalten an wichtigen, neuralgischen Punkten im Vordergrund. Jochen Stanzl ist Certified Financial Technician” (CFTe) beim Internationalen Verband der technischen Analysten IFTA.

Mehr über Jochen Stanzl
Mehr Experten