Kommentar
08:05 Uhr, 17.04.2017

Daueroptimismus: Ist der Markt naiv?

Eines kann man dem Markt nicht vorhalten: mangelnden Optimismus. Man könnte es auch Naivität nennen.

Die meisten Anleger sind Daueroptimisten. Das zeigt sich nicht unbedingt daran, dass das Sentiment permanent euphorisch ist. Sentimentindikatoren schwanken teils recht stark und sind keinesfalls immer im Euphoriebereich. Doch selbst wenn Anleger skeptisch sind, bleiben sie hinter vorgehaltener Hand optimistisch.

Das eine ist der Optimismus, der sich anhand des Sentiments zeigt. Das andere ist das, was Anleger tatsächlich tun. Zwischen den beiden besteht ein großer Unterschied. So kommt es häufig vor, dass Anleger zwar negativ gestimmt sind, aber nicht danach handeln. Dabei ist die Sache nicht symmetrisch, will heißen: wenn Anleger optimistisch sind, kaufen sie, sind sie pessimistisch, bedeutet das hingegen nicht automatisch, dass sie auch verkaufen.

Anleger haben eine etwas höhere Wahrscheinlichkeit aufgrund eines bullischen Sentiments zu handeln als aufgrund eines bärischen. Dies zeigt sich zum Beispiel daran, dass Privatanleger große Probleme haben, Verluste zu begrenzen.

Theoretisch ist Traden und Investieren einfach. Man kauft tief, lässt Gewinne laufen, begrenzt Verluste und verkauft hoch. In der Realität sieht es oft anders aus: Verluste werden laufen gelassen und Gewinne begrenzt.

Verluste realisiert niemand gerne. Solange es sich nur um Buchverluste handelt, kann man sich noch einreden, dass alles wieder gut wird. Ebenso fühlt sich die Realisierung von Verlusten fast wie Schmerz an. Es ist ganz natürlich, dass man ein solches Gefühl vermeiden will.

Ob dies der Grund für den folgenden Umstand ist, lässt sich nicht sagen, Sinn würde es allerdings machen: Anleger haben die Tendenz, große Marktbewegungen massiv zu unterschätzen. Wie das aussieht, zeigt die erste Grafik. Dargestellt ist die Wahrscheinlichkeit (berechnet aus Optionspreisen) für einen Preisanstieg bzw. Preisrückgang von 20 % bei Gold auf Sicht von 6 Monaten.

Da es sich um die Wahrscheinlichkeit auf Sicht von 6 Monaten handelt, läuft die Wahrscheinlichkeit den tatsächlichen Änderungen voraus. Wie man sehen kann, bewegen sich die Zeitreihen nur selten parallel. Die Vorhersagekraft von Anlegern ist also ziemlich begrenzt. Das ist eine Aussage.

Die andere Aussage ist, dass sich Anleger bei der Größenordnung verschätzen. Obwohl Gold im vergangenen Jahr zeitweise knapp 30 % im Plus war (auf Jahressicht), wurde die Wahrscheinlichkeit dafür auf unter 10 % eingeschätzt. Als Gold 2013 knapp 30 % verlor, lag die implizierte Wahrscheinlichkeit dafür bei weniger als 5 %.

Die Fehleinschätzung der Anleger bei Gold ist kein Einzelfall. Grafik 2 zeigt die impliziten Wahrscheinlichkeiten für den S&P 500 auf Sicht von 6 Monaten. Aktuell wird die Wahrscheinlichkeit, dass der S&P 500 innerhalb von 6 Monaten noch einmal um 20 % steigt auf praktisch 0 % geschätzt. Immerhin befindet sich die Wahrscheinlichkeit für einen 20 %-igen Kursrutsch noch bei knapp 5 %.

Es macht generell Sinn, dass die Wahrscheinlichkeit für fallende Kurse etwas höher eingeschätzt wird als für steigende. Der Markt steigt für gewöhnlich gemächlich, dafür für lange Zeit. Fällt er, dann meist kurz und heftig.

Grafik 2 und Grafik 3 zeigen die Wahrscheinlichkeiten und den S&P 500 parallel, d.h. nicht zeitversetzt wie in Grafik 1. So erkennt man, dass die Wahrscheinlichkeiten erst dann steigen, wenn sich auch die Kurse bewegen. Dabei ist es egal, ob es sich um die Sicht auf die nächsten 6 Monate oder 12 Monate (Grafik 3) handelt.

Die von Anlegern angenommene Wahrscheinlichkeit ist ein guter Kontraindikator. Die derzeit geringen Chancen für große Bewegungen sind eher ein Warnsignal und deuten auf ein hohes Maß an Sorglosigkeit und fast schon Naivität hin.

Zusammenfassend kann man sagen: Anleger unterschätzen das Potential für größere zukünftige Bewegungen systematisch. Sie halten es erst für wahrscheinlich, wenn es tatsächlich geschieht. Doch selbst dann bleiben sie optimistisch. 2008/09 fielen die Kurse um deutlich mehr als 20 %. Die Wahrscheinlichkeit dafür blieb jedoch beharrlich unter 50 %. Sie hätte eigentlich bei 100 % liegen müssen.

Clemens Schmale

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2 Kommentare

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  • Hoeli
    Hoeli

    Was oder wer ist denn der Markt?

    Meiner Meinung nach diejenigen, die Kurse beeinfluss können. Das ist die Masse an mittleren, Klein- und Kleinstanlegern sicher nicht.

    Der Markt sind wenige Große. Und die irren sicher nicht.

    09:27 Uhr, 18.04. 2017
    1 Antwort anzeigen

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Über den Experten

Clemens Schmale
Clemens Schmale
Finanzmarktanalyst

Clemens Schmale hat seinen persönlichen Handelsstil seit den 1990er Jahren an der Börse entwickelt.

Dieser gründet auf zwei Säulen: ein anderer Analyseansatz und andere Basiswerte. Mit anders ist vor allem die Kombination aus Global Makro, fundamentaler Analyse und Chartanalyse sowie Zukunftstrends gemeint. Während Fundamentaldaten und Makrotrends bestimmen, was konkret gehandelt wird, verlässt sich Schmale beim Timing auf die Chartanalyse. Er handelt alle Anlageklassen, wobei er sich größtenteils auf Werte konzentriert, die nicht „Mainstream“ sind. Diese Märkte sind weniger effizient als andere und ermöglichen so hohes Renditepotenzial. Sie sind damit allerdings auch spekulativer als hochliquide Märkte. Die Haltedauer einzelner Positionen variiert nach Anlageklasse, beträgt jedoch meist mehrere Tage, oft auch Wochen oder Monate.

Rohstoffe, Währungen und Volatilität handelt er aktiv, in Aktien und Anleihen investiert er eher langfristig. Die Basiswerte werden direkt – auch über Futures – oder über CFDs gehandelt, in Ausnahmefällen über Optionen und Zertifikate.

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