MSCI World kontra Weltportfolio: Warum ein Index selten genügt
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1. Dezember 2025. FRANKFURT (envestor). Der MSCI World ist in Europa nach dem S&P 500 der beliebteste Index für die Konstruktion von ETFs. Die langfristige Performance ist tatsächlich beeindruckend. Auf die Spitze getrieben: Aus einem hypothetischen Investment von 10.000 Euro ab Ende 1969 wären bis Ende November 2025 knapp 727.000 Euro geworden – ein Plus von gut 7.170 Prozent. Aber was auf dem Papier wie die ultimative Erfolgsgeschichte aussieht, entspricht nicht der Realität. Menschen investieren nicht 56 Jahre lang in ein und denselben Fonds, häufig nicht einmal 40, 30 oder 20 Jahre. Anlagebiografien bestehen aus Etappen: Dabei dürften Fünfjahreszeiträume gerade bei ETFs häufiger vorkommen als Zehnjahresperioden. Werden Einmalanlagen nach einigen Jahren aufgelöst, folgen oft Pausen, neue Produkte werden entdeckt, Sparpläne werden eingegangen, erhöht, gesenkt, aufgelöst. Die Investment-Wirklichkeit ist also deutlich „messier“ als eine glatte Langfristkurve!
Um diese Realität besser greifbar zu machen, bietet sich die Analyse von rollierenden Renditen an. Blicken wir auf die vielen Fünf- oder Zehnjahreszeiträume seit 1970. Zwei fiktive Anlegerfiguren illustrieren die höchst unterschiedlichen Renditeergebnisse: Hans Maier und Silke Müller, beide heute 85 Jahre alt, investieren immer wieder in globale Aktien via einen fiktiven MSCI-World-ETF, aber mit unterschiedlicher Haltedauer. Kosten werden nicht berücksichtigt.
Hans Maier ist eher kurzfristig orientiert. Er investiert immer wieder für fünf Jahre in den MSCI World, steigt dann aus, pausiert oder beginnt einen neuen Fünfjahreszyklus. In der schlechtesten Fünfjahresphase, zwischen Februar 1973 und Januar 1978, verlor der Index infolge Ölkrise und hoher Inflation im Schnitt 9,1 Prozent pro Jahr – ein Desaster, vor allem nach Abzug der Inflation! In der besten Fünfjahres-Periode, Mai 1995 bis April 2000, legte der MSCI World jährlich 27,9 Prozent zu. Dazwischen lagen weitere schwache Phasen, etwa Ende der 1980er-Jahre mit moderaten Verlusten, und starke, etwa Anfang der 1980er-Jahre mit Renditen jenseits der 20-Prozent-Marke. Über alle Fünfjahresperioden seit 1970 reicht die Spannbreite damit von rund minus 9 bis knapp plus 28 Prozent per annum.
Rollierende, annualisierte Fünfjahresrenditen seit 1970, 30-Tage-Intervalle, in Euro, Daten per 28.11.2025, Quelle: Morningstar.
Silke Müller ist geduldiger. Sie hält ihre Investments konsequent zehn Jahre. Ihre Ergebnisse sind deutlich besser geglättet, aber keineswegs frei von Enttäuschungen. In den 1970er-Jahren erzielte sie in einzelnen Zehnjahreszeiträumen nur knapp 1 Prozent Rendite pro Jahr – real, also nach Inflation, ein Minusgeschäft. Zwischen 1999 und 2009, also von der Dotcom-Blase bis zum Ende der Finanzkrise, verlor der MSCI World auf Zehnjahressicht im Schnitt 4,2 Prozent jährlich. Dem gegenüber stehen sehr starke Phasen, etwa zwischen Dezember 1979 und November 1989 mit rund 19 Prozent pro Jahr oder in den Zehnerjahren zwischen Oktober 2011 und September 2021 mit Renditen um 14 Prozent jährlich.
Rollierende, annualisierte Zehnjahresrenditen seit 1970, 30-Tage-Intervalle, in Euro, Daten per 28.11.2025, Quelle: Morningstar
Der Vergleich zeigt: Längere Haltedauern glätten das Auf und Ab, sie eliminieren das Risiko spürbarer Verluste aber nicht. Wer heute einen ETF auf den MSCI World kauft, bekommt keine Garantie, ob die nächsten zehn Jahre eher nach 1999–2009 aussehen oder nach 2011–2021. Und schon gar nicht lässt sich aus einer 56-jährigen Backtest-Kurve eine verlässliche individuelle Anlegererfahrung ableiten.
Damit stellt sich die Frage, ob der MSCI World tatsächlich die beste Messlatte ist – oder ob sich das Rendite-Risiko-Profil mit anderen Konstruktionen verbessern lässt. Ein naheliegender Ansatz ist ein „echtes“ Weltportfolio, das die großen Regionen gleichgewichtet. Ein einfaches Weltportfolio besteht aus vier Bausteinen: je ein ETF auf den S&P 500, den MSCI Europe, den japanischen Topix und die MSCI Emerging Markets, alle mit 25 Prozent gewichtet. So sinkt der US-Anteil deutlich, und auch Schwellenländer sind von Anfang an dabei.
Ein zweiter Ansatz – nennen wir ihn Weltportfolio plus – erweitert diese Struktur um Nebenwerte: Small Caps aus den Schwellenländern sowie kleinere Unternehmen aus den USA und Europa. Die Idee dahinter: Small Caps haben langfristig häufig höhere Renditen erzielt als Standardwerte, wenn auch mit mehr Schwankung. In beiden Fällen geht es darum, die Ertragsquellen über Regionen und Unternehmensgrößen breiter zu streuen, statt sich auf einen einzigen, stark US-dominierten Index zu verlassen.
Weil die gemeinsame Historie dieser Indizes erst Mitte der 1990er-Jahre einsetzt, lässt sich der Vergleich mit dem MSCI World anhand rollierender Zehnjahresperioden ab 1995 führen. Das Ergebnis fällt deutlich aus. Wer zehn Jahre lang in das einfache, gleichgewichtete Weltportfolio investierte, erzielte bei Startjahren zwischen 1995 und 2002 mehrheitlich höhere Renditen als mit einem MSCI-World-Investment. Beim Weltportfolio plus ist das Bild noch klarer: Zehnjahresanlagen mit Start zwischen 1995 und Anfang 2009 lieferten durchweg bessere Ergebnisse als ein MSCI-World-ETF. Nur für Startjahre zwischen 2009 und 2015, also in der Phase nach der Finanzkrise, in der US-Tech-Aktien den Markt dominierten, lag der MSCI World vorne. Es ist genau diese Phase, über die geschwärmt wird und die herhält für die vielen unkritischen Kommentare zum MSCI World.
Rollierende, annualisierte Zehnjahresrenditen seit 1995, 30-Tage-Intervalle, in Euro, Daten per 28.11.2025, Quelle: Morningstar.
In der Summe heißt das: In 14 von 20 möglichen Startjahren zwischen 1995 und 2015 wäre ein global breiteres Weltportfolio – insbesondere die Variante mit zusätzlichem Small-Cap-Anteil – die überlegene Wahl gewesen. Die klare Outperformance der US-Standardwerte seit der Finanzkrise erweist sich damit eher als Besonderheit eines bestimmten Marktregimes, nicht als zeitloses Gesetz.
Für Anlegende lassen sich daraus mehrere Schlüsse ziehen. Erstens: Die historische Langfristkurve des MSCI World ist kein realistisches Abbild typischer Anlagekarrieren. Wer mit Fünf- oder Zehnjahreshorizont plant, muss mit einem sehr breiten Spektrum möglicher Ergebnisse rechnen – einschließlich Phasen mit negativen realen Renditen. Zweitens: Breitere Diversifikation über Regionen und Unternehmensgrößen hat in der Vergangenheit über viele Startzeitpunkte hinweg zu besseren Resultaten geführt als die Konzentration auf einen einzelnen Index. Drittens: Gerade weil niemand weiß, welche Region die nächste Dekade prägen wird, ist es riskant, die gesamte Strategie an einem Marktsegment aufzuhängen, das in der Vergangenheit gepunktet hat – und inzwischen ziemlich teuer geworden ist.
Wer anerkennt, dass die zukünftigen Gewinner nicht feststehen, wird sein Risiko über ein echtes Weltportfolio streuen – und sich damit weniger von einer einzelnen Region abhängig machen, deren Erfolgsgeschichte maßgeblich von einem außergewöhnlichen US-Tech-Zyklus geprägt ist. In Aufwärtsphasen ist Diversifikation für Anlegende ein Ärgernis. Geht es dagegen abwärts, erweist sich die breite Streuung als ein höchst Willkommener Schutz.
Von Ali Masarwah, 1. Dezember 2025, © envestor.de
Über den Autor
Ali Masarwah ist Fondsanalyst und Geschäftsführer von envestor.de, eine der wenigen Fondsplattform, die Cashbacks auf Fonds-Vertriebsgebühren zahlt. Masarwah analysiert seit über 20 Jahren Märkte, Fonds und ETFs, zuletzt als Analyst beim Research-Haus Morningstar. Seine Expertise wird auch von zahlreichen Finanzmedien im deutschsprachigen Raum geschätzt.
Dieser Artikel gibt die Meinung des Autors wieder, nicht die der Redaktion von Deutsche Börse. Sein Inhalt ist die alleinige Verantwortung des Autors.
