Morgendämmerung bei Schwellenländeraktien
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Vor dem Hintergrund zunehmender geopolitischer Risiken, steigenden Nationalismus und Staatshilfen sowie der Neubewertung langer Lieferketten und der Globalisierung bieten Schwellenländeraktien eindeutig positive Aspekte für die Welt nach Covid-19 und schaffen ein Gegengewicht zu den damit verbundenen Problemen. Für uns gibt es acht Gründe, weshalb Schwellenländeraktien derzeit attraktiv sind. Wichtig ist auch, sich bewusst zu machen, dass Liquidität mittelfristig dominanter ist als Fundamentaldaten und Bewertungen, obwohl derzeit die Gesundheitssituation schwerer ins Gewicht fällt als das Wirtschaftsgeschehen.
- Liquidität dank expansiver Fiskalpolitik
Die konservative Positionierung der Anleger und die Barpositionen sind unseres Erachtens zu hoch. Liquiditätsspritzen der Zentralbanken und fiskalische Stimulierungsmaßnahmen überschwemmen die Marktkapitalisierung der Schwellenländeraktien (insgesamt 3,8 Bio. USD). Anleger sind in Schwellenländeraktien unverändert untergewichtet. Angesichts der überhöhten Barpositionen suchen sie jedoch nach Möglichkeiten, relative oder sogar grundsätzlich absolute Erträge zu erzielen. Hier bieten Schwellenländeraktien attraktive Chancen. Mit der Bilanzausweitung der US-Notenbank (Fed) und den zusätzlichen Käufen von Anleihen durch die US-Regierung werden jeweils mehr als 2,6 Bio. USD beigesteuert, die damit insgesamt den realen Gegenwert der Kosten des Zweiten Weltkriegs von circa 4 Bio. USD übersteigt.
Gewiss besteht das Risiko einer weiteren Eskalation des Handelskonflikts zwischen den USA und China, jedoch sicherlich nicht im selben Ausmaß wie beim Smoot-Hawley-Zollgesetz aus den 1930er Jahren. Die globalen Zentralbanken treten als Kreditgeber der letzten Instanz auf und tun «alles, was nötig ist». Ergänzt durch die prozyklisch expansive Fiskalpolitik schafft dies eine enorme Unterstützung für risikobehaftete Kapitalanlagen. Unseres Erachtens dürfte mit dieser Liquidität kein systemisches Risiko wie nach dem Lehman-Konkurs 2008 entstehen, einschließlich aller unbeabsichtigten Folgen, die sich daraus ergeben. Kurz gesagt, stellt dies die größte, schnellste und konzertierteste politische Reaktion dar, die es seit dem Zweiten Weltkrieg gegeben hat.
Wir sind der Meinung, dass Anleger angesichts des Umfangs der US-Impulse im historischen Vergleich von Deflationsängsten zu Inflationsbefürchtungen umschwenken sollten. Dank ihrer diversifizierten zugrunde liegenden Vermögenswertbasis befinden sich Schwellenländeraktien in einer guten Position, um einen moderaten Anstieg der Konsumentenpreisinflation (KPI) zu absorbieren. Der Großteil der Schwellenländer-Kernmärkte, insbesondere China, Korea, Taiwan, Indien und Russland, weist eine vorteilhafte Kombination aus Gesamtverschuldung, Zusammensetzung bzw. Währungsprofil der Schulden, Fälligkeiten und Devisenreserven auf.
- Indexveränderung spiegelt «neue Weltwirtschaft» wider
Der MSCI EMF Index hat sich erheblich verändert. Er besteht nicht mehr größtenteils aus rohstoff- und US-Dollar-sensitiven Unternehmen, sondern wird mittlerweile von Unternehmen einer gelenkten Volkswirtschaft dominiert. Diese wird von Treibern wie der Binnennachfrage, der zunehmenden Beachtung ökologischer, sozialer und Governance-Faktoren (ESG), der Liquidität und der Kreditdynamik beeinflusst. Die zehn größten Aktien im Index zählen zu den drei größten Akteuren in ihrer jeweiligen Branche, gemessen an der Marktkapitalisierung und den Umsatzerlösen. Unseres Erachtens wird die relativ neue und größere Widerstandskraft der Gewinne je Aktie (EPS) der Unternehmen in Schwellenländern nicht richtig verstanden, ebenso wie die neue Gewichtung dieser Sektoren in der «neuen Weltwirtschaft» (gegenüber dem Rohstoffbereich). Diese neue Gewichtung ist ein wichtiger Treiber der zunehmend von der Binnennachfrage und den Gewinnen je Aktie getragenen Erholung in den Schwellenländern.
50,6 % der Gewinne je Aktie im MSCI EM entfallen auf Finanz- (eBanking, Fintech) und Informationstechnologieunternehmen bzw. Kommunikationsdienste. Dies verdeutlicht die fundamentale Veränderung der Widerstandskraft und die neue Verteilung der Gewinne je Aktie von Unternehmen aus Schwellenländern in der neuen Weltwirtschaft. Vor der globalen Finanzkrise von 2008 machten Energie- und -Rohstoffunternehmen knapp 35 % dieses Index aus. Aktuell sind es nur noch rund 12,5 %.
- Bewertungen
Vor dieser Krise präsentierten sich Schwellenländeraktien bereits als letzte liquide Investment-Grade-Nachzügler, die für wert-, wachstums- und renditeorientierte Anleger attraktiv waren. Durch die Covid-19-Krise und den Rohölpreiseinbruch wurde die globale Nachfrage nach Rendite weiter verschärft, da viele Unternehmen die Dividenden strichen oder reduzierten, und die Furcht vor Kapitalverlusten die Nachfrage nach festverzinslichen Anlagen anheizte.
Der reale effektive Wechselkurs bedeutender Schwellenländerwährungen zum US-Dollar bewegt sich auf historischen Tiefstwerten, obwohl diese Länder verbesserte Zahlungs- und Leistungsbilanzen aufweisen – insbesondere Brasilien. In einer Welt negativer Realzinsen, in der die gewichteten durchschnittlichen Kapitalkosten längere Zeit niedriger bleiben dürften und die Aktienrisikoprämien sehr gering ausfallen, besteht eine sehr reale Gefahr von Bewertungsblasen (ähnlich wie beim «Nifty-Fifty»-Boom). Aufgrund der Attraktivität für Anleger, die auf der Suche nach Renditen und Prämien für Wachstumstreiber in der neuen Weltwirtschaft sind, könnten die Bewertungen leicht über das Ziel hinaus schießen.
- Neubewertung von Schwellenländeraktien
Nach einer 12-jährigen Tieferbewertung gegenüber Industrieländeraktien und im Vergleich zu ihren eigenen Bewertungen in der Vergangenheit boten Schwellenländeraktien alle Voraussetzungen für eine signifikante Höherbewertung. Nimmt man die Gewinne je Aktie 2021/2020, die Dividendenrenditen und die Höherbewertung auf Basis der Kurs-Gewinn-Verhältnisse zusammen, dürfte es anderen Anlageklassen schwer fallen, die Opportunitätskosten einer Nichtanlage in diesem Bereich in den nächsten drei Jahren zu übertreffen.
- Risiko und Ertrag
Schwellenländeraktien fielen während der Covid-19-Verkaufswelle im Februar/März weniger stark als die meisten Industrieländeraktien. Damit hat die Anlageklasse ihre Robustheit gegenüber dem Abwärtsdruck bewiesen. Nun müssen sie aber auch ihr mittel- bis langfristiges Aufwärtspotenzial unter Beweis stellen. Unseres Erachtens werden ihre attraktiven relativen Bewertungs- und fundamentalen Faktoren gegenüber Industrieländeraktien eine Höherbewertung bewirken, wie bereits in der Zeit von 2004 bis 2007 (nach der Tieferbewertung während der Asienkrisen).
Nachdem sich der Marktfokus derzeit auf das Tempo der Wiederöffnung von Volkswirtschaften richtet, ist es zudem wichtig, dass ein erneuter Anstieg der Covid-19-Infektionen vermieden wird, der drastische Gegenmaßnahmen erforderlich machen könnte. Asien spielt bei der Erprobung dieser Verfahren eine Vorreiterrolle. Damit könnten die Länder in dieser Region durchaus einen Vorteil gegenüber den Industrienationen haben und als erste aus dieser Pandemie herauskommen. Schwellenländeraktien sind mittlerweile keine Wette mehr mit hohem Beta auf die Entwicklung in den Industrieländern. Sie sind von der Binnennachfrage getragene Investment-Grade-Chancen mit einem zunehmend größeren Gewicht in der neuen Weltwirtschaft, die zunehmend bessere ESG-Profile und eine wachsende Widerstandsfähigkeit aufweisen.
- Strukturelle Anlagethemen
Die langfristigen Bewertungsmodelle für Schwellenländeraktien werden zudem durch langfristige, konjunkturunabhängige Faktoren untermauert. Urbanisierung, der prozentuale Frauenanteil der Erwerbstätigen, die jüngere Bevölkerungsstruktur, Reformprogramme in China und Indien sowie die Einführung digitaler Technologien, wie künstliche Intelligenz, Robotertechnik und Arbeiten in der Cloud, gewinnen zunehmend an Bedeutung, da der Wandel zu einer produktiveren, vernetzten Wirtschaft mit höherer Wertschöpfung voranschreitet.
- Investment-Grade-Rating
Acht der zehn größten Schwellenländer weisen mittlerweile ein Investment-Grade-Rating auf und sieben dieser acht bieten positive Zinsvorteile. Damit üben sie eine Anziehungskraft aus, die vor Kurzem an der Aufwertung der indonesischen Rupiah zu beobachten war.
- Reformprogramme: Digitale Wirtschaft auf dem Vormarsch
Laut Haitong Securities sind in China in den nächsten fünf Jahren Investitionen von über 27,1 Bio. CNY ( 3,78 Bio. USD) für den Bau neuer Infrastruktur und damit in Verbindung stehender Projekte zu erwarten. Das Land ist entschlossen, massiv in die Digitalisierung seiner Infrastruktur zu investieren. Die Zahlen für neue Technologie-Infrastruktur sind zwar recht vage, doch Haitong Securities schätzt den Gesamtumfang auf 3 Bio. RMB im Jahr 2020 und 17 Bio. RMB in den nächsten zehn Jahren.
Anlässlich des chinesischen Volkskongresses (NPC) und der Politischen Konsultativkonferenz des chinesischen Volkes vom 22. bis zum 28. Mai 2020 sprach sich Ma Huateng, der Gründer von Tencent und NPC-Delegierter, dafür aus, die Entwicklung des industriellen Internets im Rahmen der historischen neuen Runde wissenschaftlicher und technologischer Revolution sowie des industriellen Wandels zu planen und auf nationaler Ebene zu fördern, um die digitale Wirtschaft Chinas kontinuierlich zu stärken. Der Fokus müsse der Förderung neuer Infrastruktur, dem digitalen Wandel in allen Lebensbereichen, intelligenten Städten, der wissenschaftlichen Forschung und Innovation sowie der Sicherheit von Datennetzen gelten.
Angesichts dieses Reformprogramms zu investieren, kann nach unserer Einschätzung auf das Risiko-Ertrags-Profil eines Anlegers nur positiv wirken. Ähnliches gilt für die bedeutenden Reformprogramme in Brasilien, Indien und Saudi-Arabien.
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