Merrill Lynch - Lohnt sich die Aktienanlage?
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Die letzten Wochen waren ein Albtraum für die Aktienmärkte. Nach einer schwachen Erholung in den ersten vier Monaten des Jahres waren Mai und Juni von schweren Rückschlägen gezeichnet und diese Entwicklung setzt sich im Juli fort. Daher büßte der FTSE100 mehr als ein Drittel seines bisherigen Höchststandes ein, während die Märkte weltweit ein Niveau erreicht haben, das letztmals (wenn auch nur für kurze Zeit) nach den Terroranschlägen des 11. September 2001 zu verzeichnen war. Abgesehen von einem kurzen Abschnitt im vierten Quartal 2001 fallen die Aktienmärkte nun seit zwei Jahren.
Bärenmärkte stellen zwangsläufig die konventionellen Sichtweisen in Frage. Dies gilt
auch für Bullenmärkte, allerdings vor einer angenehmeren Kulisse. Vor allem langfristige
Anleger fragen sich, ob Aktien sinnvoll sind bzw. wenn ja, in welchem Umfang?
Nach unserer grundlegenden Überzeugung besteht ein Zusammenhang zwischen Risiko und Ertrag. Noch vor nicht allzu langer Zeit wurde argumentiert, dass Aktien im historischen Vergleich die Anleihen geschlagen hätten und deshalb weniger riskant seien. Dies wurde schnell ins Lächerliche gezogen. Heute argumentieren die Untergangspropheten genau umgekehrt: Anleihen und Geldmarktpapiere seien überlegene Anlagemöglichkeiten, da das Kapital auf jeden Fall zurückgezahlt würde. Auf den ersten Blick scheint diese Ansicht vielleicht unwiderlegbar. Bären- und Bullenmärkte sind von Übertreibungen gekennzeichnet. Wir halten bei Finanzierungsstrukturen an unserer gemischten Palette von niedrigen und höheren Risiken fest. Daher glauben wir nach wie vor, dass Aktien in ein Portfolio gehören.
Was wird vor diesem Hintergrund laut Merrill Lynch Investment Managers voraussichtlich in nächster Zeit im Gegensatz zur ferneren Zukunft geschehen? Nachstehend haben wir einige Fragen und Antworten aufgeführt.
Warum fallen Aktienmärkte?
Es gibt keine Einzelursache für die jüngsten Rückschläge. Es wurden unzählige Faktoren
genannt: durch Liquiditätsmangel bedingte Zwangsverkäufe von Versicherungen, enttäuschende Gewinne, ein schwächerer Dollar, Bilanzierungsängste, Besorgnis über einen erneuten Konjunkturabschwung. Diese und andere Gründe lassen sich einfach zusammenfassen: in einem Bärenmarkt scheuen Marktanleger das Risiko mehr als sonst. Sie verhalten sich so, bis sich dieses Verhalten als falsch herausstellt. In diesem Bärenmarkt hat sich Risikoscheu bisher ausgezahlt.
Wie groß ist das Risiko, dass dieser Trend andauert?
Die Zuversicht muss die Furcht überwinden. Genauer gesagt: Aktienbewertungen müssen preiswert sein und die Unternehmensgewinne müssen steigen. Dies hängt ab vom nominalen Wirtschaftswachstum. Außer bei Schulgebühren, beim Goldpreis und bei Immobilien gibt es nur eine geringe oder gar keine Preismacht (bzw. Inflation). Unternehmen müssen darum kämpfen, die Gewinnmargen bei gleich bleibenden oder fallenden Preisen zu steigern. Die brutalen Lehren aus der Entwicklung in Japan in den 90-er Jahren besagen, dass in einer Deflationsperiode - allgemeiner Preisverfall - das Risiko bei Investments in Aktien zunimmt. Wir leben in einer Zeit mit geringer oder nicht vorhandener Inflation. Dies muss von einer niedrigen, langsam steigenden Inflation abgelöst werden, dann wird es wieder Gewinne geben. Tritt dies nicht ein, müssen Unternehmen weit unter ihrem Substanzwert (was auch immer das sein mag) verkauft werden: gewiss sind eine zunehmende Anzahl von finanzkräftigen Unternehmen mit akzeptablen Wachstumsaussichten heute viel preiswerter als noch vor 3, 6 oder 12 Monaten. In dem Maße, wie deren Anzahl steigt, sollte das Vertrauen die Furcht überwinden.
Welche Erträge kann ich in den kommenden Jahren von Aktien erwarten?
Die Erträge werden nicht so hoch ausfallen wie bisher. Warum? Zwischen 1980 und 2001 fielen die langfristigen Zinsen erheblich. Angesichts der Anleiherenditen (mit Ausnahme Japans) im Bereich von 4 - 5 % wäre ein weiterer Rückgang gleichbedeutend mit Deflation. Das sind schlechte Nachrichten für Aktien. Eventuell werden Aktien gegenüber Anleihen neu bewertet? Das ist möglich, setzt aber einen nachhaltigen Rückgang des Risikoaufschlags voraus, und dies dürfte auf absehbare Zeit unwahrscheinlich sein. Dies würde bedeuten: Aktienerträge entsprechen Gewinnwachstum plus Dividenden. In einem Konjunkturzyklus entwickeln sich die Gewinne wie das nominale BIP (Bruttoinlandsprodukt) oder etwas besser. Geht man von einem BIP von 5 - 6 % (dem weltweiten langfristigen Durchschnitt) aus und addiert die aktuelle Dividendenrendite von -2 %, ist bei einem moderaten Anstieg der Dividende ein Jahresertrag von 6 - 12 % vorstellbar. Der mittlere Bereich von 8 % beinhaltet eine Aktien-Risikoprämie von 3 % (Mehrertrag gegenüber Anleihen, um das Aktienrisiko zu rechtfertigen). Dieses Ertragsniveau wird schwanken. Derzeit sind 8 % unvorstellbar. Im Vergleich zum Bereich von 13 - 15 % in den 80-er und 90-er Jahren erscheinen diese Erträge gering. Aber mit 2 - 3 % (inflationsbereinigt) entsprechen sie einer realen Steigerung des Wohlstands.
Warum kaufen wir nicht mehr Anleihen?
Wie an den Aktienmärkten werden die Kurse an den Rentenmärkten von einer anhaltend niedrigen Inflation bestimmt. Sinkt die Inflation weiter - oder geht sie in eine Deflation über - schneiden die Anleihen gut ab. Wenn nicht, bieten sie nur angemessene Erträge. In einigen Klassen, zum Beispiel bei britischen Staatspapieren und Unternehmensanleihen in britischen Pfund, werden Anleger durch Bestimmungen gezwungen, diese Vermögenswerte zu kaufen. Folglich sind die Kurse künstlich aufgebläht. Es gibt noch eine wichtige Überlegung. Nach langen Perioden mit abnehmenden
Haushaltsdefiziten gehen Regierungen wieder zur erhöhten Kreditaufnahme über. Mehr Kredite bedeutet mehr Anleihen. Dennoch sind die Kurse hoch. Ohne Deflation werden so die Erträge gekappt.
Soll man jetzt in TMT-Aktien einsteigen?
Generell nein, obwohl einzelne Gelegenheiten interessant sind. Die in der Vergangenheit
übermäßigen Investitionen in diesen Branchen werden Margen und Gewinne auf absehbare Zeit beeinträchtigten. Kurzfristig müssen die Gewinne steigen. Sobald und wenn dies erfolgt, werden sich die Aktienkurse erholen. Dafür gibt es jedoch bisher keine Anzeichen.
Sind die Aktien der Old Economy "teuer"?
Viel teurer als vorher! "Substanzwerte" - auch bekannt unter dem Begriff "Old Economy" - sind nicht mehr besonders preiswert. Auch die Smallcaps nicht. Im Gegensatz dazu sind einige "defensive" Branchen wie Gesundheit, Versorger, Güter des täglichen Bedarfs, nun viel attraktiver. Mit unseren Substanzwert-Screens entdecken wir inzwischen gute Kaufgelegenheiten unter den Mobilfunk- und Festnetz-Telekommunikationsunternehmen.
Ist WorldCom symptomatisch für einen weitgehenden Mangel an Corporate Governance in den USA?
Das glauben wir nicht. Obwohl Enron / WorldCom und die anderen Fälle einen schweren Schock verursachten, gibt es sie in jedem Konjunkturzyklus. Polly Peck, Maxwell, British
und Commonwealth and Guinness verursachten Anfang der 90-er Jahre eine Menge Unruhe und Aufregung. Heute ist dies kaum noch vernehmbar. Voraussichtlich werden neue Bestimmungen eingeführt. Derartige Themen verlieren allmählich an Bedeutung und werden weniger relevant, solange sie nicht die Kapitalkosten in die Höhe treiben. Dann fällt Enron wirklich ins Gewicht: In diesem Zusammenhang sind wir in erster Linie wegen des strukturell schwachen Dollars besorgt, der den verschuldeten (überschuldeten) US-Unternehmen erhebliche Probleme bereiten wird.
Sollten Investoren auf einem Abschlag für Investments in den USA bestehen?
Nein, denken Sie nur an die Reihe der weltweit führenden Unternehmen, die in den USA notiert sind. Als Japan 1990 zusammenbrach, gab es nur wenige Weltunternehmen, die dort gelistet waren. Im nächsten Jahrzehnt übertrafen Sony, Toshiba, Toyota, Nintendo und andere ihre rein japanischen Mitbewerber. Betrachtet man die USA heute, ist die Liste der tatsächlich weltweit führenden Unternehmen ziemlich lang. Bestehen Sie wirklich auf einem Abschlag (den es in einigen Fällen ohnehin nicht gibt), um Citigroup zu kaufen statt Credit Lyonnais, Coke statt Nestle, Walmart statt Tesco, Boeing statt BAE Systems oder Oracle statt SAP?
Warum sorgen sich Kommentatoren um den US-Dollar?
Ein gestörter Dollar-Markt signalisiert den Verkauf von US-Werten durch ausländische Anleger. Wie bereits erwähnt, sind US-Unternehmen stark verschuldet. Ausländische Anleger haben viele dieser Schuldtitel erworben. Der Verkauf von US-Werten (durch ausländische und inländische Anleger) würde umfassende finanzielle Störungen hervorrufen. Dieser Prozess dürfte sich dann auch auf andere Finanzmärkte auswirken.
Ist die Euro-Stärke von Dauer?
Die Prognose von Wechselkursen ist schwierig. Derzeit ist ein Zusammenbruch des Euro kaum vorstellbar. Viel interessanter ist die Rolle (und Anziehungskraft) von Gold und Goldaktien als Absicherung gegen den schwachen Dollar. Unter derzeitigen Bedingungen halten wir eine geringe Allokation - maximal 5 % - in diesem Bereich für vernünftig.
Ist die Rally des japanischen Marktes ein Strohfeuer oder der Beginn einer strukturellen Erholung?
Wir gehen von einem Strohfeuer aus. Eine nachhaltige Erholung in Japan verlangt radikale Eingriffe und eine nachhaltige Auslandsnachfrage. Ersteres erscheint kaum möglich. Von einer nachhaltigen Auslandsnachfrage würden auf jeden Fall auch andere Weltmärkte profitieren. Vielleicht signalisiert das Ende der Fußball-Weltmeisterschaft das Ende der deutlichen Bärenmarkt-Rally in Japan.
Was bewirkt den Turnaround der Aktienmärkte?
Günstige Bewertungen und steigende Unternehmensgewinne. Es gibt ein Modell das Anleiherenditen verwendet, um künftige Gewinne zu diskontieren. Wenn die Anleiherenditen nachgeben (d.h. die Anleihekurse steigen) fällt auch die im Aktienkurs eingepreiste angenommene Gewinnentwicklung. Je niedriger die angenommene Gewinn-Wachstumsrate, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Unternehmen die Erwartungen tatsächlich übertreffen werden. Deflation - ein allgemeiner Rückgang der Verkaufspreise - wäre die größte Gefahr für dieses Szenario. Unter diesen Umständen könnten die Unternehmen ihre Gewinne nicht steigern. Für Anleger in Aktien liegt derzeit das größte Risiko nicht in der Bilanzierungs-Problematik, sondern in der Deflation.
Schlussfolgerung
Merrill Lynchs Schlussfolgerung: die Aktienmärkte werden sich erholen!!!. Allerdings könnte dies noch einige Zeit in Anspruch nehmen und der Prozess wird nicht geradlinig verlaufen. Pensionsfonds und andere langfristige Anleger haben das Investment-Risiko neu definiert. Das Risiko entspricht nun der Möglichkeit, dass nicht genug Geld übrig bleibt, um die Verpflichtungen zu erfüllen. Das Erkennen eines derartigen Risikos verlangt verschiedene Investment-Strategien. Wir glauben, dass Aktien gegenüber Anleihen unterbewertet sind, aber wir erkennen, dass dies nicht gleichbedeutend ist mit der Aussage, dass die Aktienmärkte gerade einen positiven Trend entwickeln. Wir glauben auch, dass es nicht möglich ist, die genaue Bodenbildung der Märkte zu treffen. Daher dürften Anleihen weiterhin teuer bleiben. Aber dies bedeutet auch, dass die Unternehmen mit zunehmender Wahrscheinlichkeit in der Lage sind, das in derzeitigen Aktienkursen enthaltene Gewinnwachstum zu übertreffen. Dies lässt vermuten, dass die Märkte fallen können, die guten Kaufgelegenheiten aber zunehmen werden.
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