Kommentar
10:49 Uhr, 25.06.2012

Mehr Macht für Brüssel – eine Schnapsidee

Bundefinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) hat im Gespräch mit dem Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" eine Volksabstimmung über eine neue deutsche Verfassung ins Spiel gebracht, um mehr Macht nach Brüssel abgeben zu können. "Wann es so weit sein wird, weiß ich nicht, weiß wohl keiner. Aber ich gehe davon aus, dass es schneller kommen könnte, als ich es noch vor wenigen Monaten gedacht hätte", sagte Schäuble. "Vor ein paar Monaten hätte ich noch gesagt: In fünf Jahren? Nie im Leben! Jetzt bin ich mir nicht mehr so sicher." Schäubles Amtsvorgänger Peer Steinbrück (SPD) rechnet sogar in den nächsten zwei Jahren mit einem Referendum in Deutschland. "Wer den Verfassungsrichtern aufmerksam zugehört hat, weiß, dass es anders nicht geht", sagte Steinbrück der "Stuttgarter Zeitung".

Es ist ohne Zweifel längst überfällig, die Menschen in Deutschland, also den Souverän, um Zustimmung für weitere Euro-Rettungsmaßnahmen zu bitten. Aber Schäuble und Steinbrück wollen nur deshalb eine Volksabstimmung, weil auf diesem Wege weitere Kompetenzübertragungen an die EU möglich würden. Mehr Macht für Brüssel soll nach den Vorstellungen Schäubles zumindest irgendwann auch eine gemeinsame Schuldenhaftung ermöglichen. Dass der Vorschlag für ein Verfassungsreferendum ausgerechnet jetzt kommt, ist kein Zufall. Denn das Bundesverfassungsgericht hat klare Grenzen aufgezeigt, die sich aus dem Grundgesetz ergeben. So darf der Bundestag seine Budgethoheit nicht an andere Gremien abgeben. Ob dies schon beim Fiskalpakt oder dem Euro-Rettungsschirm ESM in unzulässiger Weise erfolgt, ist umstritten. Das Bundesverfassungsgericht wird darüber das letzte Wort haben.

Weil die Verfassungsrichter einer weiteren Kompetenzübertragung nach Brüssel einen Riegel vorschieben könnten, wird jetzt also der Vorschlag einer neuen deutschen Verfassung ins Spiel gebracht. Das ist ohne Zweifel eine Schnapsidee. Deutschland ist seit 1949 mit dem Grundgesetz sehr gut gefahren - es gibt überhaupt keinen Grund, über eine grundlegende Revision unserer Verfassung nachzudenken. Das Institutionengefüge der Bundesrepublik hat sich in vielerlei Hinsicht bewährt, während die Europäische Union bisher weit davon entfernt ist, ihre größte Bewährungsprobe – die Schuldenkrise – zu meistern. Das Grundgesetz bietet auch einen Schutz gegen eine ausufernde Haftung Deutschlands für die Schulden anderer Staaten. Dieser Grundsatz sollte nicht aus politischem Aktionismus aufgegeben werden.

Wer Schäuble so zuhört, dem könnte angst und bange werden. "Bislang haben die Mitgliedsstaaten in Europa fast immer das letzte Wort. Das kann nicht so bleiben", sagt Schäuble. Mit anderen Worten: Schäuble will europäische Vasallenstaaten, die sich in entscheidenden Fragen der Macht der Eurokratie in Brüssel nicht mehr widersetzen dürfen. Man muss kein Euro-Skeptiker sein, um das als Horrorvorstellung anzusehen. Die fixe Idee der Eurokraten, dass durch "mehr Europa" automatisch alles besser wird, hat sich bisher jedenfalls nicht bewahrheitet. Die politische Elite in Deutschland folgt leider dem Motto: Wer einen Fehler macht, macht am besten gleich noch einen zweiten, dann sieht es nach System aus. Der übereilten Einführung einer gemeinsamen Währung soll nun auch noch die übereilte Einführung einer "politischen Union" folgen. Ohne Zweifel verfolgt Schäuble ein hehres Ziel: Er will eine solide Haushaltspolitik in allen Euro-Staaten verpflichtend machen. "Im Optimalfall gäbe es einen europäischen Finanzminister. Der hätte ein Vetorecht gegen einen nationalen Haushalt und müsste die Höhe der Neuverschuldung genehmigen", träumt Schäuble im Interview mit dem "Spiegel". "Wofür die Länder das bewilligte Geld ausgeben würden [...], bliebe ihnen innerhalb der genehmigten Obergrenze überlassen."

Aber der Zweck sollte nicht die Mittel heiligen. Es ist keine gute Idee, einen Teil der deutschen Souveränität aufzugeben, nur weil sich viele Euro-Länder zu hoch verschuldet haben und jetzt reflexartig nach dem (ebenfalls leeren) deutschen Portemonnaie greifen. Das Haushaltsrecht des Parlaments wird auch als sein "Königsrecht" bezeichnet. Es sollte nicht leichtfertig in die Hände der Brüsseler Bürokraten gelegt werden. Eine Hoffnung bleibt: Es ist kaum vorstellbar, dass die Bürger in Deutschland und den anderen EU-Staaten einer weiteren Kompetenzverlagerung nach Brüssel zustimmen werden, auch wenn die EU-Institutionen demokratischer werden sollten. Das Volk, der Souverän, hat das letzte Wort!

Oliver Baron
Redakteur BoerseGo.de

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Oliver Baron ist Finanzjournalist und seit 2007 als Experte für stock3 tätig. Er beschäftigt sich intensiv mit Anlagestrategien, der Fundamentalanalyse von Unternehmen und Märkten sowie der langfristigen Geldanlage mit Aktien und ETFs. An der Börse fasziniert Oliver Baron besonders das freie Spiel der Marktkräfte, das dazu führt, dass der Markt niemals vollständig vorhersagbar ist. Der Aktienmarkt ermöglicht es jedem, sich am wirtschaftlichen Erfolg der besten Unternehmen der Welt zu beteiligen und so langfristig Vermögen aufzubauen. In seinen Artikeln geht Oliver Baron u. a. der Frage nach, mit welchen Strategien und Produkten Privatanleger ihren Börsenerfolg langfristig maximieren können.

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