Kommentar
15:02 Uhr, 18.09.2006

Märchenstunde an den Märkten?

Welches Märchen wird derzeit an den Märkten gespielt, „Goldlöckchen“ oder „Die drei kleinen Schweinchen“? Die Märkte selbst scheinen sich da nicht einig zu sein. So mancher Marktteilnehmer wünscht sich in der Hoffnung, dies möge die Federal Reserve von weiteren Zinserhöhungen abhalten, ein rückläufiges Wachstum. Dann rücke nämlich ein von Ausgeglichenheit geprägtes makroökonomisches Umfeld (Wachstum leicht unter der Trendrate, moderate Inflationsentwicklung und stabiler Arbeitsmarkt) in greifbare Nähe. Andererseits scheinen die Märkte auf den Spuren der drei kleinen Schweinchen zu wandeln, deren Immobilienvermögen von höheren Zinsen und sinkenden Immobilienpreisen umgeblasen wird. Diese Schweinchen haben sich bis über beide Ohren verschuldet, um ihre Strohhäuser über Hypotheken mit variablen Zinssätzen zu finanzieren, und werden dem Märchen zufolge nun bald ohne Dach über dem Kopf dastehen.

US-Immobilienmarkt bricht ein

Welches Szenario trifft also zu? Der Markt ist weiterhin volatil. Jede Meldung aus der Wirtschaft wird danach unter die Lupe genommen, ob sie Indizien für eines der Szenarios enthält. Wir dürfen uns hier nichts vormachen: Der US-Wohnimmobilienmarkt befindet sich in einem bedenklichen Zustand. Alle Indikatoren (Verkäufe, Baustarts, Baugenehmigungen) sind seit ihrem Spitzenstand um 10 Prozent gefallen. Die Entwicklung der Immobilienpreise in den USA befindet sich derzeit auf ihrem tiefsten Stand seit 1993 und wird aller Wahrscheinlichkeit nach noch weiter sinken. Einige amerikanische Wohnungsbauaktien sind von ihren jüngsten Höchstständen bereits um 30 Prozent gefallen. Aber was bedeutet das für die amerikanische und damit die Weltwirtschaft sowie die Märkte, an denen Risikowerte gehandelt werden? Bei jedem Markteinbruch gibt es Verlierer. In diesem Fall sind das die in der Bauindustrie Beschäftigten, die Hypothekenbanken und die Haushaltsgerätehersteller. Von diesen konkreten Sektoren abgesehen, ist die Situation allerdings weitaus weniger klar. Der Zusammenhang zwischen Wohnimmobilienpreisen und BIP-Wachstum in den USA ist bestenfalls schwach; über einen rollierenden Zehnjahreszeitraum ist die Korrelation sogar negativ.

Der Blick über den US-Markt hinaus bietet allerdings Grund zu Optimismus. Sowohl Australien als auch Großbritannien haben scharfe Korrekturen des Immobilienmarktes erlebt. In Großbritannien gab es sogar noch mehr Anlass zur Sorge, da der Markt sich überwiegend über variable Hypothekenzinsen finanziert, während die Zahl in den USA näher bei 25 Prozent liegt. Trotz der Korrektur an den Wohnimmobilienmärkten entwickelte sich der private Konsum weiterhin lebhaft und es kam nicht zu wesentlichen Einbrüchen bei der Wirtschaftstätigkeit. Woran liegt das? Der Grund ist in der besonderen Natur des Vermögenswertes Immobilie zu suchen. Für die meisten Grundbesitzer ist ihr Haus keine Handelsware. Preisrückgänge finden daher in den meisten Fällen nur auf dem Papier statt und machen sich erst dann bemerkbar, wenn das Haus zum Verkauf angeboten wird.

Arbeitsmarkt- und Inflationsaussichten scheinen sich zu stabilisieren

Auch außerhalb des Wohnimmobilienmarktes deutet einiges auf eine nachlassende Dynamik der US-Konjunktur hin. Anzeichen für einen Kollaps gibt es jedoch nicht. Der als Frühindikator mit großem Interesse verfolgte ISM-Index ist weiterhin günstig. Von besonderer Bedeutung für die Federal Reserve ist die Tatsache, dass sich sowohl die Arbeitsmarkt- als auch die Inflationsaussichten zu stabilisieren scheinen. Mit jeder Wirtschaftsmeldung, die hinter den Konjunkturerwartungen zurückbleibt, mäßigen sich die Zinserwartungen. Die Aktien- und Anleihemärkte haben davon zeitgleich profitiert. Der Himmel stürzt also nicht ein. Trotz einer gewissen

Verlangsamung bleibt die globale Konjunktur robust. Tatsächlich müssen die meisten Notenbanken das Wachstum zügeln und nicht etwa die Zinsen senken. Zinspolitische Fehlentscheidungen sind natürlich nicht auszuschließen und die Schwächung des Immobilienmarktes könnte das Verbrauchervertrauen insgesamt lädieren. Nach unserer Einschätzung ist das jedoch unwahrscheinlich.

Und schließlich sind die Ertragsdaten immer wieder für positive Überraschungen gut und auf zahlreichen Märkten wurden die Bewertungen nach unten korrigiert. Damit bewegen sich die Bewertungen jetzt auf einem angemessenen Niveau und sollten einem massiven Rückgang entgegenstehen. Die Anleihenrenditen haben ihren höchsten Stand bereits hinter sich, ein weiterer Faktor, der zu einer (wenn auch moderaten) Anpassung der Bewertungen auf dem Aktienmarkt beiträgt. Märchenerzähler leben nun mal vom Geschichtenerzählen. Ich bin mir sicher, dass das Märchen vom Zusammenbruch der amerikanischen Verbrauchernachfrage ebenso enden wird wie das vom Jungen, der so lange „Wolf“ rief, bis ihn niemand mehr ernst nahm.

Quelle: Schroders

Die Schroders-Gruppe ist eine führende internationale Vermögensverwaltungsgesellschaft, die 1804 gegründet wurde. Schroders verwaltet Anlagen für Pensionsfonds, Regierungsbehörden, Wohltätigkeitsorganisationen, Körperschaften, Familienunternehmen und vermögende Privatpersonen weltweit und ist ein führender Verwalter von Investmentfonds. Schroders bietet Anlagen in allen wichtigen Vermögenskategorien in entwickelten Ländern und Schwellenländern an: Aktien, Schuldtitel, Geldmarktinstrumente, Beteiligungen und Immobilien. Das weltweit verwaltete Vermögen betrug zum 31. März 2006 rund 184,2 Mrd. Euro.

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Über den Experten

Thomas Gansneder
Thomas Gansneder
Redakteur

Thomas Gansneder ist langjähriger Redakteur der BörseGo AG. Der gelernte Bankkaufmann hat sich während seiner Tätigkeit als Anlageberater umfangreiche Kenntnisse über die Finanzmärkte angeeignet. Thomas Gansneder ist seit 1994 an der Börse aktiv und seit 2002 als Finanz-Journalist tätig. In seiner Berichterstattung konzentriert er sich insbesondere auf die europäischen Aktienmärkte. Besonderes Augenmerk legt er seit der Lehman-Pleite im Jahr 2008 auf die Entwicklungen in der Euro-, Finanz- und Schuldenkrise. Thomas Gansneder ist ein Verfechter antizyklischer und langfristiger Anlagestrategien. Er empfiehlt insbesondere Einsteigern, sich strikt an eine festgelegte Anlagestrategie zu halten und nur nach klar definierten Mustern zu investieren. Typische Fehler in der Aktienanlage, die oft mit Entscheidungen aus dem Bauch heraus einhergehen, sollen damit vermieden werden.

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