Kommentar
14:52 Uhr, 26.10.2012

Machen Sie einen Bogen um Aktien!

Erwähnte Instrumente

  • DAX
    ISIN: DE0008469008Kopiert
    Aktueller Kursstand:   (XETRA)

In seinem Artikel Trendlinien sagen alles bringt es Norman Welz, Tradingpsychologe bei Godmode-Trader.de, auf den Punkt: Wir stecken in einem tiefen Dilemma, speziell beim Trading: auf der Suche nach Entscheidungssicherheit, neuen Tradingchancen und der richtigen Einordnung der großen Bewegungen im Kurs- auf der "Suche nach der Wahrheit", wie Welz schreibt - suchen wir nach Hilfsmitteln, auf deren Signale wir unsere Entscheidungen stützen oder begründen können. Charttechnik, Indikatoren, Sentiment, Statistiken etc. Wir neigen dazu diese Techniken von vermeintlicher Planungssicherheit solange zu modellieren, bis sie uns in der Rückschau beweisen, dass sie gut funktionieren.

Wir sehnen uns nach der 100%-Sicherheit. Nur gibt es keine 100%. Nie. Nirgends. Leider.

Werden dann aber wiederum die lukrativen, weil dynamischen und impulsiven Trendphasen übersehen, müssen die Trendlinien, die Handelsmarken, die Stops oder der Indikator angepasst werden.

Im Nachhinein sind wir schlauer! Und zermürbt von einem Feuerwerk der verpassten Gelegenheiten.

Und jetzt sollen wir also einen Bogen um Aktien machen und aufgeben?

Nehmen Sie mich ruhig wörtlich. In starken Trendphasen müsste man eigentlich die Trendlinie durch eine Kurve oder einen Bogen ersetzen, um bessere Tradingresultate zu erzielen. Wir haben es nämlich nicht nur mit einem psychologischen Dilemma zu tun, sondern auch mit einem handlungstheoretischen. Keine Angst, es folgt keine Abhandlung über Parsons, Le Bon und andere große Denker, sondern der Versuch der Welz´chen Wahrheit ein wenig näher zu kommen.

Die Börse ist eine Achterbahn und "schuld" sind wir selbst

Ein Trend ist eine tolle Sache. Alles steigt oder fällt geradlinig, eingrenzbar und schön zu handeln. Wenn da nicht immer diese vermaledeiten anderen Marktteilnehmer wären, die mit auf den anrollenden Zug aufspringen und damit den Markt zusätzlich nach oben treiben. Meistens schneller und dynamischer, als einem lieb sein kann. Der einzige Trost ist, dass es den anderen genauso ergeht...

Ein Trend ist nämlich leider oftmals nicht die stringente Autobahn, die mittels Trendlinien wie mit Leitplanken eingegrenzt werden kann. Vielmehr weist jeder Trend impulsive, dynamische Phasen auf, in denen die Kurse urplötzlich massiv steigen oder fallen und sich damit immer weiter von unseren Trendlinien entfernen. Die Ursache liegt im Verhalten und der Struktur der Marktteilnehmer:

Sind die Kurse stark gefallen, steigen einige Glückritter, Hartgesottene und antizyklische Anleger in einen Wert ein. Nach einer Phase der Erholung trauen sich auch andere Investorengruppen in den Wert und treiben die Kurse an. In der letzten Phase der bereits anlaufenden Aufwärtsbewegung kommt die zahlenmäßig und kapitalbezogen grösste Gruppe in den Markt - die breite Masse. Die Yellowpress pfeift zusammen mit den Spatzen von den Dächern um die Wette und ruft die große Hausse aus. Kein Preis ist zu teuer, doch das Angebot mittlerweile auf ein sehr niedriges Niveau zusammengeschmolzen. Die Folge: der Markt "explodiert". Solange, bis alle investiert sind, satt und zufrieden auf ihren Buchgewinnen sitzen und aufgrund der mangelnden Nachfrage schnell wieder den fallenden Preisen hinterhersehen... Wieder den Einstieg übersehen, den Stop zu weit entfernt gesetzt, wieder den Ausstieg verpasst, wieder die falschen Trendlinien angelegt...

Das Verhalten einer Menschenmasse folgt eben leider nicht unserer Autobahnmetapher, sondern neigt zur exponentiellen Übertreibung, zur Euphorie, unlimitierten Käufen, para- bis diabolischen Gier.

Sie glauben mir nicht? Ein Beispiel:

Gold im Monatschart 01.01.1999 - 26.10.2012

Teilbereiche der Chartanalyse haben diesen Punkt schon früh erkannt und in ihr Konzept einbezogen: die Fibonaccizahlen, die in der Elliott- Wellen- Theorie Anwendung finden, ergeben als grafische Abfolge ebenso eine exponentielle Kurve, wie die Ziffern des "Square of Nine" von William Delbert Gann.

Kurve statt Linie

Wenn nun auch die klassische Charttechnik diesem Punkt also Rechnung tragen will, muss sie sich entweder von linearen Trenderfassungsmethoden verabschieden, also einen sprichwörtlichen Bogen um den Kursverlauf von trendigen Aktien machen oder die Tangente für sich entdecken. Die Annäherung an die charttechnische Kurvendiskussion. Dabei ist das Problem bei einem gezeichneten Bogen dasselbe, wie bei Norman Welz´ Trendlinie. Selbst wenn die mathematische Funktion der Kurve nicht variiert werden kann, sind die Auflagepunkte wiederum subjektiv gewählt und somit eine Fehler- und Frustrationsquelle.

Es sieht schön aus und kann den Nachbarn schwer beeindrucken, aber positiv für Trading und Depotperformance ist es nur bedingt.

Wie könnte ein funktionstüchtiges Modell für Trendtangenten aussehen?

Aus der Kombination der Modelle von Elliott und vor allem der enormen Weiterentwicklung durch Glenn Neely, ist letztlich ein charttechnischer Prozeß entstanden, der hilft, "bessere", weil treffsichere Trendlinien zu zeichnen und dem exponentiellen Charakter von Trendphasen Rechnung tragen.

Suchen Sie nach einem übergeordneten Tief (1) und ziehen sie eine Trendlinie von dort durch das nächsthöhere Tief (3), das folgende Bedingung erfüllen sollte: es darf nicht unterhalb des 38,2%-Retracements der vorangegangenen Bewegung Tief (1) zu Zwischenhoch (2) liegen. Damit filtern Sie bereits dynamische Trendphasen heraus und lassen Seitwärtsmärkte weitgehend außen vor. Erfüllt das zweite Tief dieses Kriterium, können sie von dort aus eine zweite Trendlinie durch das nächsthöhere Tief (5) ziehen. Wiederum darf dieses Tief nicht unterhalb des 38,2%-Retracements der Bewegung Tief (3) bis Hoch (4) liegen. So erhalten Sie die Tangente des steiler werdenden Trendverlaufs. Wird diese Linie nach der Ausbildung eines neuen Hochs gebrochen, haben sie ein Korrektursignal für die Handelsspanne Tief (3) bis Hoch (6). Damit liegt also noch kein Verkaufssignal für den gesamten Trend seit Tief (1) vor, aber immerhin hat man die Chance an einer mittleren Korrektur zu partizipieren.

Methodik statt Erklärungsmuster

Mit einer definierten Abfolge von charttechnischen Einzelschritten kann es gelingen, Teile der Unsicherheiten aus dem Marktverlauf zu nehmen und dem eigenen Handeln Orientierung zu geben. Dadurch kann man sich auch ein stückweit von unserem Ausgangsdilemma lösen.

Die Tangenten-Technik ist in Bezug auf den Ausstiegszeitpunkt noch nicht so präzise, wie es eine Kurven – oder Parabeltechnik wäre. Daran ist also noch zu arbeiten, charttechnisch und in der technologischen Umsetzung. Aber die Tangenten-Technik ist ein guter Start in eine strukturierte Arbeitsweise in einem hochkomplexen Umfeld. Zudem spart man sich damit auch das Welz´sche Dilemma mit den im Nachhinein erfolgreich angepassten Linien, Einschätzungen und Trades. Wobei er mit der Bedeutung des Rückblicks und der Vergangenheit für uns und unser Trading natürlich recht hat:

Früher war alles besser- vor allem die Zukunft! Hundertprozentig ;-)

Erfolgreiche Trades wünscht Ihnen

Thomas May

Leiter Redaktion Charttechnik und Trading bei www.Godmode-Trader.de

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Über den Experten

Thomas May
Thomas May
Experte für Fibonacci-Analyse

Thomas May entdeckte Ende der 1990er Jahre die Leidenschaft für die Börse. Zu Beginn fundamental orientiert, war er bald von der Charttechnischen Analyse begeistert und befasste sich intensiv mit klassischer Charttechnik, Elliott Wellen, Fibonacci- und Zyklenanalyse. Seit 2010 im Team der stock3 AG war er von 2012 bis 2016 Chefredakteur von GodmodeTrader.de, ist Autor der DVDs „Charttechnik für Einsteiger“ und „Fibonacci-Trading“, Mitherausgeber des ersten Teils von „Das große GodmodeTrader-Handbuch“ sowie einer der Autoren im zweiten Teil der Buchserie. Auf stock3 liegt sein Schwerpunkt auf charttechnischen Edelmetall-, Aktien- und Indexanalysen. Auf dem stock3 Terminal betreut der leidenschaftliche Swing-Trader seinen eigenen Desktop für Chartanalysen und Trading-Setups.

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