Kommentar
08:16 Uhr, 27.08.2015

Liquidität wo bist Du?

Marktteilnehmer beschweren sich über mangelndes Handelsvolumen. Banken und Analysten warnen vor einer Liquiditätskrise. Einen Vorgeschmack der Auswirkungen konnten wir gerade erleben. Das Thema muss man ernst nehmen.

Inzwischen ist bekannt, dass das Handelsvolumen an den meisten Märkten sinkt. Es äußert sich in Beschwerden, Sorgen und Warnungen, aber wo ist das Handelsvolumen hin verschwunden?

Die Frage ist nicht leicht zu beantworten, da mehrere Kräfte am Werk sind. Gerade der Anleihenmarkt leidet unter neuen Regeln für Banken. Diese begrenzen ihr Risiko, indem sie sich als Market Maker aus bestimmten Märkten komplett oder teilweise zurückziehen. Sie tun dies, weil sie relativ viel Eigenkapital für die Aktivitäten unterlegen müssen. Das schmälert die Rendite der Handelsaktivität und macht sie unattraktiv.

Die Folge von sinkender Liquidität ist im Ernstfall eine Liquiditätskrise

Liquidität ist ein Maß dafür, wie schnell und wie viel eines bestimmten Assets ge- oder verkauft werden kann, ohne den zugrunde liegenden Preis maßgeblich zu beeinflussen. Je mehr Volumen auf einer Seite des Orderbuches steht, desto instabiler werden die Preise.

In normalen Zeiten ist das Orderbuch einigermaßen ausgeglichen. Käufer und Verkäufer finden für gewöhnlich in der Nähe des aktuellen Preises eines Assets zueinander. Wenn nun allerdings viele Anleger gleichzeitig verkaufen wollen – aus welchem Grund auch immer – dann fehlen im ersten Moment die Käufer, um das Verkaufsvolumen aufzunehmen. Wollen Anleger z.B. an einem Tag nicht 10 Mrd. an US Staatsanleihen verkaufen, sondern 50 Mrd., dann kann die Käuferseite das nicht mehr aufnehmen. Der Preis muss sich signifikant ändern, um ausreichend viele neue Käufer anzulocken.

Vor der Krise stellten Banken viel Liquidität zur Verfügung. Sie konnten dadurch auch nicht jede Liquiditätskrise verhindern, aber zumindest die Folgen ein klein wenig abfedern. Heute fehlt ein Großteil dieser Liquidität. Wenn dann Anleger erst einmal beginnen alle gleichzeitig in eine Richtung zu laufen, dann kommt es zu großen Preisbewegungen.

Der Anleihenmarkt ist das eine, der Aktienmarkt das andere. Hier sind Anleger teils selbst für die geringer werdende Liquidität verantwortlich. Ein Großteil der Handelsaktivität wandert von den klassischen Handelsplätzen zu Derivatemärkten ab. Auf den Zinsmärkten kann man diesen Trend nicht so eindeutig beobachten. Grafik 1 zeigt den zugrunde liegenden Wert (Notional Value) von Zinsoptionen und Futures.

Der Markt für Zinsderivate wuchs von 2003 bis 2007 stark an. Der zugrunde liegende Wert verfünffachte sich. Seit 2008 bleibt das Volumen unter Schwankungen in etwa in der Range von 60 bis 100 Bio. USD. Das ist übrigens kein Schreibfehler. Es handelt sich tatsächlich um Billionen. Sie beziehen sich auf die an der CME gehandelten Zinsoptionen und Futures. Laut BIS (Bank für Internationalen Zahlungsausgleich) betrug der weltweit gehandelte Wert von Zinsderivaten zuletzt etwas über 500 Bio. USD.

Wenn es um Aktienoptionen geht, dann sieht das Bild etwas anders aus

Grafik 2 zeigt die Entwicklung des Notional Values für die größten Börsen weltweit. Sieht man von 2007/08 ab, dann steigt das Volumen tendenziell an. 2007/08 waren eine Ausnahme. Ein Crash kommt nicht von ungefähr. Ohne überdurchschnittlich hohes Volumen ist ein Crash kaum vorstellbar. Generell steigt das Handelsvolumen in Stresssituationen.

Seit 2009 kann man von einigermaßen normalen Zeiten sprechen und in diesen Zeiten steigt das Volumen kontinuierlich. Anleger handeln immer häufiger Derivate und nicht die Basiswerte an sich. Die Entwicklung kann man anhand Grafik 3 gut nachvollziehen. Gezeigt werden der Handelswert von Indexoptionen sowie der Wert gehandelter Aktien an der New York Stock Exchange (NYSE). ETFs verzeichnen keinen auffälligen Anstieg. Man kann sogar sagen, dass der Handelswert relativ stabil bleibt. Indexoptionen hingegen haben enormen Zulauf. Selbst im Vergleich zu 2008 hat sich das Volumen verdoppelt.

Der Einfluss von ETFs auf die US Börsen ist begrenzt

Grafik 4 zeigt die Entwicklung für die größten Börsen weltweit. Hier lag der Handelswert von ETFs vor und in Krisenzeigen bei wenigen Milliarden. Bis heute hat sich das dramatisch geändert. Der Anstieg zwischen 2006 und 2015 liegt bei einem Faktor von 20.

Verallgemeinert kann man sagen, dass Anleger im Bereich von Aktien immer häufiger zu Derivaten greifen und aus diesem Grund die Liquidität immer weiter austrocknet. Von den US Börsen abgesehen wandert auch immer mehr Liquidität zu ETFs. Grafik 5 zeigt abschließend, wie sich der Wert gehandelter Aktien weltweit entwickelt hat. Für die etablierten Börsen ist das Volumen rückläufig. Emerging Markets legen hingegen zu. Das ist vor allem durch den chinesischen Markt getrieben. Hier ist das Volumen massiv angestiegen. Erst wollten alle kaufen, jetzt wollen noch mehr Anleger auf einmal verkaufen. Während der Rallye stieg das Volumen, doch so wirklich explodiert ist es erst mit dem Crash.

Die Liquiditätskrise ist ernst zu nehmen. Sie wird jedoch nicht nur durch neue Bestimmungen für Banken verursacht. Ein Großteil des Problems wird von Anlegern selbst verursacht, weil sie nicht mehr die Basiswerte selbst handeln, sondern Derivate. Das führt zu einem Rückgang des Volumens von 20 bis 30% an den meisten etablierten Börsen – und das innerhalb von lediglich 6 Jahren.
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6 Kommentare

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  • Korelewp
    Korelewp

    Und wie kann es sein dass der Wert von gehandelten Zinsoptionen ( ca. 20 Bio USD) so viel hoeher ist als der Handelswert von Indexptionen (1,5 -2,0 Mrd USD?

    12:23 Uhr, 27.08. 2015
  • Korelewp
    Korelewp

    Ihre Beitrage sind wirklich erste Klasse, von allen im Godmodetrader die besten!

    12:15 Uhr, 27.08. 2015
  • Korelewp
    Korelewp

    Herr Schmale

    sind im Handelswert (dritte Grafik) wirklich nur Indexoptionen dargestellt , zB nuer fuer SP500, Dow Jones oder Nasdaq oder beinhaltet der Wert alle Aktienoptionen+Indexoptionen ??? Der Markt fuer Aktienoptionen ist doch groesser als der fuer nur Indizes.

    12:12 Uhr, 27.08. 2015
  • Jason
    Jason

    Na ja Herr Schmale, eine wichtige Ursache scheint hier aber zu fehlen. Und dass ist die Aufsplitterung der Handelsplätze. Ich glaube mittlerweile ist es so, dass 50% der Aktien gar nicht mehr an der klassischen Börse getauscht werden sondern durch irgendwelche grauen Interbankenplattformen. Das ist dann vermutlich auch ein Grund, warum sich die Banken von den klassischen Börsen zurückziehen.

    09:03 Uhr, 27.08. 2015
    1 Antwort anzeigen
  • Chronos
    Chronos

    Merde, wie war!

    In der baisse steigt eigentlich immer die cashquote, meine sinkt, ist nur einstellig.

    Was mache ich falsch? ;-)

    08:44 Uhr, 27.08. 2015

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Über den Experten

Clemens Schmale
Clemens Schmale
Finanzmarktanalyst

Clemens Schmale hat seinen persönlichen Handelsstil seit den 1990er Jahren an der Börse entwickelt.

Dieser gründet auf zwei Säulen: ein anderer Analyseansatz und andere Basiswerte. Mit anders ist vor allem die Kombination aus Global Makro, fundamentaler Analyse und Chartanalyse sowie Zukunftstrends gemeint. Während Fundamentaldaten und Makrotrends bestimmen, was konkret gehandelt wird, verlässt sich Schmale beim Timing auf die Chartanalyse. Er handelt alle Anlageklassen, wobei er sich größtenteils auf Werte konzentriert, die nicht „Mainstream“ sind. Diese Märkte sind weniger effizient als andere und ermöglichen so hohes Renditepotenzial. Sie sind damit allerdings auch spekulativer als hochliquide Märkte. Die Haltedauer einzelner Positionen variiert nach Anlageklasse, beträgt jedoch meist mehrere Tage, oft auch Wochen oder Monate.

Rohstoffe, Währungen und Volatilität handelt er aktiv, in Aktien und Anleihen investiert er eher langfristig. Die Basiswerte werden direkt – auch über Futures – oder über CFDs gehandelt, in Ausnahmefällen über Optionen und Zertifikate.

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