Kommentar
12:00 Uhr, 08.08.2008

Laufen uns die Finanzkrisen eines Tages aus dem Ruder?

Im Jahr 1987 stürzten die Börsenkurse rund um die Welt dramatisch ab und dieses schockartige Ereignis ging als so genannter „Schwarzer Montag“ in die Börsengeschichte ein. Man stellte unmittelbare Vergleiche zum ehedem als „Schwarzem Freitag“ in die Geschichte eingegangenen Ereignis aus den späten 1920-er Jahren her. In einem seit Jahrzehnten nicht mehr gekannten Umfang wurde regelrecht Geld in großem Stil „verbrannt“.

Ähnlich erschreckend war der Verlauf dann genau zehn Jahre später, als nämlich ein Spekulationsfieber die südostasiatischen Währungen erfasste und zu einem nächsten Börsenkrach führte. Davon waren selbst hoch angesehene Währungen wie der japanische Yen und der koreanischen Won betroffen. In einigen Ländern, wie z. B. Indonesien, kam es nachhaltig zu Unruhen. Die Symptome glichen denen des Börsenkrachs von vor zehn Jahren davor: „Institutionelle Spekulanten“ hatten große Aktienpakete abgestoßen, in der Hoffnung, sie nach eingetretener Baisse billiger wieder zurückkaufen zu können. Aber hieraus entstand bildlich gesprochen ein regelrechter Brand. Durch unterschiedliche Finanzinstrumente wie den Märkten für Futures und Optionen wurde ein Kurssturz ausgelöst.

Nach Außerkraftsetzung des 1944 in Bretton Woods geschaffenen Systems fester Wechselkurse im Jahre 1971 vollzog sich die Herausbildung der heutigen Finanzwelt in mehreren Etappen. Fast zeitgleich mit der Ära Thatcher-Reagan hat die Schuldenkrise der 1980er Jahre eine Welle von Fusionen, Konkursen und Umstrukturierungen ausgelöst. Diese Umgestaltungen ließen ihrerseits eine neue Generation von Financiers in den Geschäftsbanken, Maklerfirmen und großen Versicherungsgesellschaften aufsteigen. Die beiden genannten Börsenturbulenzen haben hier wie ein Sieb gewirkt: Professor Chossudovsky stellte bereits in den 1990er Jahren zu Recht fest, dass hierbei – ein Darwinismus pur lässt grüßen – nur die besten Marktteilnehmer überleben konnten. Außerdem vollzieht sich seit zwanzig Jahren eine massive Konzentration der Finanzmacht. Mit den „institutionellen Spekulanten“ tauchten einflussreiche Akteure auf, die den traditionellen, beispielsweise an produktive Tätigkeiten gebundenen Interessen überlegen sind. Dank eines äußerst vielfältigen Instrumentariums können sich diese Spekulanten nun einen Teil der Reichtümer aneignen, die in Form von Gütern und Dienstleistungen produziert werden. Ohne mit der Realwirtschaft verbunden zu sein – und ohne sich den Mühen dort zu unterwerfen –, sind sie dennoch imstande, große Industrieunternehmen in den Konkurs zu treiben.

Bereits 1995 war der tägliche Devisenumsatz mit 1.500 Milliarden US-Dollar höher als die Summe der Devisenreserven aller Zentralbanken weltweit. Mit anderen Worten: Der Einfluss dieser „institutionellen Spekulanten“ auf die Devisenreserven ist größer als der der Emissionsbanken, die weder jede für sich noch gemeinsam in der Lage sind, gegen die Spekulation vorzugehen. Die weltweite Umstrukturierung der Finanzinstitute und Finanzmärkte hat die Anhäufung eines ungeheuren privaten Reichtums beschleunigt, denn der „Weltclub der Milliardäre“ repräsentiert ein Vermögen, das wesentlich größer ist als die Summe der Bruttosozialprodukte aller armen Länder, die aber zugleich fast 60% der Weltbevölkerung ausmachen. Für diesen Personenkreis ist es unnötig geworden, Güter oder Dienstleistungen zu erzeugen. Die Bereicherung vollzieht sich hauptsächlich außerhalb der eigentlichen Volkswirtschaften. Nach dem Magazin Forbes sind die Erfolge von Wall Street auf die sprunghaft angestiegene Zahl der Euro- bzw. Dollarmilliardäre zurückzuführen. Und ein Teil der so eingestrichenen Milliarden landet auf Nummernkonten in Steuerparadiesen.

Dies ist natürlich schön für die davon Betroffenen, jedoch ist zu bedenken, dass mit Aktivitäten dieser Art nur ein sehr kleiner Kreis von Menschen profitiert; ein Wohlstand für breite Bevölkerungsschichten wird damit aber gewiss nicht erzeugt. Denn gleichzeitig sinken die Einkommen bei der großen Masse der Erzeuger von Gütern und Dienstleistungen – also der Lebensstandard der meisten Gehaltsempfänger. Öffentliche Gesundheits- und Erziehungsprogramme werden gekürzt, und die Ungleichheit wächst. Der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) zufolge gibt es inzwischen weltweit mehr als eine Milliarde Arbeitslose, das heißt fast ein Drittel der Erwerbstätigen.

Die Rolle der Computer
Vor beinahe achtzig Jahren konnte man – wenige Monate vor dem Börsenkrach des berüchtigten „Schwarzen Freitag“ – aus den Kursschwankungen an der Wall Street auf eine gewisse Nervosität der Anleger schließen. Auch damals fiel eine solche Entwicklung keineswegs nur so vom Himmel, sondern war das Resultat von ungezügelter Spekulationswut. Dabei wurden die Gewinne privatisiert und die Verluste insoweit sozialisiert, indem man plötzlich größere Bevölkerungsschichten mit Notmaßnahmen über Wasser zu halten hatte. Dies geschah – je nach Land – ohnehin nur in dürftigster Weise. Im Unterschied zur Situation in den zwanziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts sind die wichtigsten Börsen der Welt heute Tag und Nacht über EDV miteinander vernetzt. Kursschwankungen an der Wall Street führen zu unmittelbaren Reaktionen auf den Finanzmärkten in Europa und Asien. Die jüngsten Erfahrungen haben die destabilisierende Rolle der computergestützten Kursnotierung voll bestätigt: Heutzutage ist es möglich, dass der Dow Jones innerhalb von Minuten um Hunderte von Punkten steigt oder fällt – dank computergestützter Hochleistungssysteme, die mittlerweile mehrere Milliarden Aktien pro Tag bewegen können. Alan Greenspan höchst persönlich hatte übrigens schon in den 1990-er Jahren eingeräumt, dass die Leistungsfähigkeit der Finanzmärkte so hoch sei, „dass sich Irrtümer viel schneller verbreiten, als man es noch vor einer Generation für möglich gehalten hätte“. Das Tempo und das Volumen der zu erwartenden Transaktionen hat sich seit 1987 vervielfacht. Somit ist auch das Risiko instabiler Finanzen enorm gestiegen, zumal die Volkswirtschaften durch ein Netz von Handels- und Finanztransaktionen immer enger miteinander verknüpft sind.

Die US-Immobilien-Blase
Die weltweite Kaufkraft hat sich auf wenige Märkte verengt. Mit Ausnahme des blühenden Marktes für Luxusgüter, die für das sozioökonomisch meistbegünstigte Kundensegment bestimmt sind, schrumpfen die Absatzchancen für gängige Konsumgüter immer weiter zusammen. Der Höhenflug der Aktienkurse steht also in keinem Bezug zur eigentlichen Wirtschaftslage. Daher kann es auch auf den Finanzmärkten naturgemäß nicht ewig so weiter gehen. Dass dies so ist, hat sich erneut ausgesprochen schmerzlich seit dem Frühjahr 2007 gezeigt, als der Markt für Wohnimmobilien in den Vereinigten Staaten von Amerika in Turbulenzen geraten ist. Endet nämlich das erwartete Wachstum – hier nun auf dem Gebiet der Immobilienpreise – so hat dies teilweise sogar enorme Fernwirkungen.

Nachdem nämlich von bonitätsschwachen Immobilienkunden in den USA die anstehenden Verbindlichkeiten zum Teil infolge von Zinssteigerungstendenzen nicht mehr fristgerecht bedient werden konnten, kam es zu einem Preisstillstand in diesem Markt. Akzeleriert wurde diese Entwicklung dadurch, dass ein Teil dieser dubios werdenden Verbindlichkeiten längst über entsprechende Zweckgesellschaften mit Hilfe von so genannten Asset Backed Commercial Papers (ABCP’s) verbrieft und vermarktet wurden. Hierbei haben auch deutsche Kreditinstitute indirekt als Käufer mitgewirkt. Bei jenen Banken, wo aber das Kauf- und damit das Risikovolumen nicht mehr in einem vertretbaren Verhältnis zur wirtschaftlichen Größe derselben standen, zeigten sich schnell nicht mehr aus eigener Kraft beherrschbare Probleme.

Unkontrollierte Hedgefonds
Im Vergleich der drei Turbulenzen aus den Jahren 1987 – 1997 – 2007 zeigt sich nämlich, dass es Risiken aus den unterschiedlichsten Richtungen geben kann. Niemand Geringerer als Präsident Sanio, der der deutschen Finanzdienstleistungsaufsicht vorsteht, stellte in einem Interview jüngst hin fest, dass einige Risiken den Marktakteuren und den Aufsehern große Sorgen bereiten, denn sie lassen sich teilweise nur noch sehr schwer ausmachen. Risiken werden nämlich oft weitergereicht und an den Finanzmärkten neu verteilt. Dabei landen dann auch welche außerhalb des regulierten Bereichs, etwa bei den Hedgefonds.

Das Problem an der Sache ist: Nur wenn man sicher weiß, wer welche Risiken trägt, kann man auch überlegt handeln – als Marktteilnehmer und als Aufseher. Dabei darf nicht übersehen werden, dass eine größere Streuung über eine Anzahl von Marktteilnehmern hinweg, wenn diese denn existiert, in der Tendenz ein höheres Maß an Stabilität erzeugt. Dies gilt aber nur unter zwei Voraussetzungen: Wer die Risiken übernimmt, muss mindestens über ein gleich gutes Risikomanagement verfügen wie derjenige, der die Risiken weitergegeben hat. Und er sollte Verluste aus den Positionen mindestens ebenso gut verkraften können wie eben jenes Gegenüber. Hierbei fehlt es aber gegenwärtig noch sehr an der notwendigen Transparenz. Ohne diese Transparenz aber kann ein Krisenmanagement jedoch schnell an seine Grenzen stoßen.

Es ist rein menschlich durchaus nachvollziehbar, dass auch Finanzmarktakteure naturgemäß dazu neigen, ihre Aktivitäten möglichst in unbeaufsichtigte Bereiche zu verlagern. Dazu gehören gegenwärtig insbesondere die Hedgefonds, die sich in einer geradezu ungebremsten Dynamik entwickeln. Immerhin hat es hierzu in letzter Zeit eine breite öffentliche Diskussion gegeben. Als Konsequenz kann man festhalten, dass die deutsche Bundesregierung sich dieses Themas angenommen hat und die Hedgefonds-Problematik auf der G8-Agenda steht.

Dabei drängt auch die Zeit, denn Hedgefonds agieren bislang noch immer im Dunkeln, und das wohlgemerkt mit Anlegergeldern von mittlerweile über 1,4 Billionen US-Dollar. Ihr wirklicher Markteinfluss ist sogar um ein Vielfaches größer – aufgrund ihrer gehebelten Geschäfte und des schnellen Umschlags ihrer Positionen. Dieser Hebel kann dann noch durch den Einsatz von Derivaten vergrößert werden.

Poker ohne Eigenkapitel
Dies steht zudem vor dem Hintergrund, dass Hedgefonds ihre riskanten Geschäfte in hohem Maße über Kredite finanzieren. Fernerhin darf nicht übersehen werden, dass Banken wegen der international gültigen Eigenkapitalregel maximal nur das 12,5-fache ihrer Eigenmittel an Risiken eingehen dürfen; Hedgefonds dagegen kennen keine gesetzlich vorgegebene Limitierung.

Eine indirekte Limitierung, nämlich indem Banken solchen Fonds nur bestimmte Kreditmaxima gewähren dürfen, wird sicherlich nur sehr begrenzt Wirkung zeigen, da Hedgefonds dann entsprechend ihr Kreditvolumen über mehrere Banken verteilen werden. Helfen könnte da eher schon das Einführen einer direkten Hedgefonds-Aufsicht, indem man für diese Fonds selbst eine Obergrenze in puncto Verschuldung festlegt. Wie man das Thema Hedgefonds angehen soll, wird zurzeit international äußerst intensiv, aber auch sehr kontrovers diskutiert und wertvolle Zeit könnte verstreichen. Wohlverstanden: Auch Hedgefonds sind nicht pauschal als zu verbietendes Teufelszeug abzutun. Gefährlich könnte es aber dann ganz rasch weltweit werden, wenn man generell nicht für genügend Transparenz auf den Finanzmärkten sorgt und wenn man neue Geschäftsarten, wie diesen inzwischen sehr wesentlichen gewordenen Teil des heutigen Finanzsystems der Hedgefonds, unbeaufsichtigt lässt.

Hanns Arnulf Engels (Genius, 4/2007)

Artikel erschienen auf http://www.genius.co.at/

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