Langsam und dennoch holprig
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Um eine Vorstellung davon zu bekommen, was in der Weltwirtschaft überhaupt passiert, ist ein Blick auf die geänderten Einkaufsgewohnheiten der US-Haushalte gar nicht so schlecht. Seit Januar 2020 gingen die Umsätze in den Kaufhäusern um über 5 Prozent zurück. In der Abbildung sind diese unter GAFO (Allgemeine Handelswaren, Bekleidung und Zubehör, Möbel und andere Verkäufe) zusammengefasst, also alle Waren, die normalerweise in Kaufhäusern angeboten werden. Hierzu gehören große Warenhäuser ebenso wie bestimmte Facheinzelhändler. So weit, so gut – und wenig überraschend in Krisenzeiten!
Aufschlussreicher ist aber der weitaus stärkere Rückgang in anderen Bereichen, zum Beispiel in der Gastronomie mit ihrem Angebot an Speisen und Getränken in Speiselokalen, Schnellrestaurants sowie in Bars und Lieferdiensten. Und dies, obwohl in großen Teilen der Vereinigten Staaten diese Einrichtungen schon bald wieder öffnen durften. Tankstellen wurden ebenfalls ungewöhnlich hart getroffen. Dagegen gingen die Umsätze bei Online-Verkäufern und Versandhäusern sowie bei Garten- und Heimwerkartikeln nach oben, wohl auch aufgrund einmaliger staatlicher Schecks.
Dies entspricht genau unserem analytischen Rahmenwerk, das von uns zu Beginn der Pandemie entwickelt wurde. Wie bereits in früheren Beiträgen angesprochen, untersuchten wir die Angebotsseite der Wirtschaft nach einzelnen Branchen. Insgesamt lagen wir mit unseren Schätzungen sowohl für die Verluste in verschiedenen Branchen als auch für die Dauer des Lockdowns für die Vereinigten Staaten, aber auch für andere Länder ziemlich nahe an den tatsächlichen Zahlen. Daher können wir diesen Rahmen guten Gewissens beibehalten. Allerdings nehmen wir kleinere Anpassungen vor.
So gehen wir davon aus, dass sich der Aufschwung in zwei Phasen vollzieht. Die erste Phase begann in der westlichen Welt im Mai und Juni und ist weitgehend abgeschlossen. Sie bestand aus einem V-förmigen Aufschwung, ausgelöst durch die Wiedereröffnung von Produktionsstätten, Restaurants, Bars und ähnlichen Einrichtungen und wurde zusätzlich von einem Nachfrageschub unterstützt. Dies hat zum Beispiel der deutschen Automobilindustrie beachtliche Wachstumsraten beschert. Über die Sommermonate hat sich allerdings bereits eine nachlassende Aufschwungsdynamik abgezeichnet. Dies dürfte sich, wenn auch weitaus gemäßigter, fortsetzen, sobald sich Unternehmen und ihre Kunden an die neue Normalität gewöhnt haben. Aber Covid-19 dürfte sich noch eine ganze Weile negativ auf die wirtschaftliche Entwicklung auswirken. Auch wenn es bei der Entwicklung diverser Impfstoffe bereits positive Signale gibt, dürften diese in den kommenden Monaten kaum entscheidende Veränderungen bewirken.
Angesichts der unglaublich hohen Ressourcen, die vom öffentlichen und privaten Sektor in die Entwicklung eines Impfstoffes gegen Covid-19 gesteckt wird, sind positive Überraschungen durchaus möglich. Neben der Frage, ob und wann ein wirksamer Impfstoff gefunden werden kann, dürften weit bis ins Jahr 2021 hinein hohe Hürden zu überwinden sein – so bleiben die Fragen, ob ein Impfstoff in ausreichenden Dosen hergestellt werden kann und sich genügend Menschen tatsächlich impfen lassen?
Verfrühte öffentliche Ankündigungen der Regierungen könnten sich sogar eher als kontraproduktiv erweisen und das Misstrauen gegenüber einem Impfstoff in sowieso schon skeptischen Teilen der Bevölkerung verstärken. Erschwerend hinzukommt, dass es noch keine umfassenden medizinischen Erkenntnisse gibt, warum einige Patienten viele Monate lang unter den Folgen einer Covid-19-Erkrankung leiden. Ein Grund könnte eine verzögerte Immunreaktion sein, bei Impfstudien wird man diesbezüglich wohl bei Covid besonders genau aufpassen müssen. Vor diesem Hintergrund könnte durchaus der von Massenpsychologen erforschte "Pinguin-Effekt" eintreten. Pinguine warten in der Regel ab, bis andere Pinguine ins Wasser springen – und springen selbst erst dann, wenn es ihnen sicher erscheint. Ähnlich könnte die anfängliche Akzeptanz neuer Impfstoffe eher zögerlich sein. Nach einiger Zeit könnte die Nachfrage nach Impfungen aber, wie beim Pinguin-Effekt, sprunghaft ansteigen. (Sobald die Pinguine feststellen, dass kein Hai in der Nähe und das Wasser sicher ist, springen plötzlich alle Nachzügler fast gleichzeitig ins Wasser.)
Aber für die unmittelbare Zukunft wichtiger ist die gute Nachricht, dass die meisten Industrieländer für erneute Infektionsausbrüche im Herbst jetzt wesentlich besser gerüstet zu sein scheinen als im Frühjahr. In den meisten Industrieländern ist das Virus unter Kontrolle. Testqualität und Testkapazitäten wurden verbessert, ausgebaut und könnten, gemeinsam mit einer besseren Kontaktverfolgung, die wirtschaftlichen Folgen ähnlich positiv beeinflussen wie ein Impfstoff.
Unser Fazit ist also, dass wir nicht mit einer Wiederholung allgemeiner, landesweiter Lockdowns wie im März rechnen, zumindest nicht für die größten Volkswirtschaften. Allerdings rechnen wir damit, dass die Gegenmaßnahmen bleiben und alle Lockerungsmaßnahmen, falls erforderlich, wieder (teilweise) zurückgenommen werden. Das bedeutet, dass die Eindämmung der Pandemie die wirtschaftliche Entwicklung auf absehbare Zeit behindern dürfte. Die anfänglich V-förmige wirtschaftliche Erholung könnte sich im besten Fall in eine wesentlich flachere Kurve ansteigender wirtschaftlicher Aktivitäten verwandeln.
Insgesamt dürfte die globale Wirtschaftsleistung erst 2022 wieder das Niveau vor der Krise erreichen. Nur China könnte deutlich schneller sein. Die Eurozone dürfte 2021 mit Hilfe des Wiederaufbaufonds einen Aufschwung erleben, durch den das Wachstum in den stark betroffenen Ländern, vor allem Spanien und Italien, ab dem zweiten Quartal 2021 unterstützt wird.
Die Prognose für die Vereinigten Staaten erfolgt hingegen mit großen Vorbehalten. Durch die schnelle erneute Öffnung wurde die Pandemie nie richtig unter Kontrolle gebracht. Aufgrund des politischen Stillstands in Washington sind fiskalische Unterstützungsmaßnahmen zum Teil nicht verlängert worden und haben die wirtschaftliche Stimmung entsprechend getrübt. In den kommenden Wochen hoffen wir auf Fortschritte im Kongress, besonders in kritischen Bereichen wie der Verlängerung der Arbeitslosenhilfe und Unterstützung auf bundesstaatlicher und lokaler Ebene. Auch die US-Präsidentschaftswahl im November wird die politische Pattsituation nicht unbedingt beenden.
Vieles könnte noch passieren, was den demokratischen Präsidentschaftskandidaten Joe Biden, der seit Jahresbeginn in den Umfragen bislang führt, aus der Bahn werfen könnte. Aber bei der Analyse der wirtschaftlichen Folgen verschiedener Szenarien muss man unserer Meinung nach über das Rennen um das Weiße Haus hinausschauen. Die Demokraten dürften ihre Mehrheit im Repräsentantenhaus behalten. Vieles wird davon abhängen, ob sie auch im Senat die Mehrheit zurückgewinnen können. Und noch nicht einmal die Dominanz einer Partei garantiert, dass der Kongress schnell genug handeln kann, um weitere wirtschaftliche Rückschläge zu verhindern. Bei den aktuell herrschenden Verfahrensregeln im Senat erfordern viele Abstimmungen mehr als eine einfache Mehrheit. Für uns besteht kein Zweifel, dass die US-Notenbank (Fed) den Aufschwung durch geeignete Maßnahmen weiterhin aktiv unterstützt. Im Augenblick stellt die Inflation keine unmittelbare Bedrohung dar, aber das schränkt, wie die Fed wiederholt erklärt hat, die Schlagkraft sowohl ihrer traditionellen als auch ihrer jüngeren Instrumente ein. Sollte der Aufschwung an Dynamik verlieren, müsste auch der Kongress handeln. Somit bleibt eine fiskalpolitische Lähmung leider im Bereich des (wenn auch entfernt) Möglichen, egal, wer die Präsidentschaftswahl gewinnt.
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