Lagarde: Handelskrieg könnte Inflation kurzfristig leicht steigern
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Von Hans Bentzien
DOW JONES--Die Europäische Zentralbank (EZB) ist nach den Worten ihrer Präsidentin Christine Lagarde nicht sicher, wie sich ein internationaler Handelskrieg auf die Verbraucherpreise im Euroraum auswirken würde. "Die Folgen wären vielfältig, und die tatsächlichen Nettoauswirkungen auf die Inflation sind zum jetzigen Zeitpunkt ungewiss", sagte sie der Financial Times. Sie fügte hinzu: "Wenn überhaupt, dann könnte es kurzfristig zu einer leichten Netto-Inflation führen." Aber man könne in beide Richtungen argumentieren, und es hänge davon ab, wie hoch die Zölle seien, worauf sie angewendet würden und über welchen Zeitraum.
Analysten rechnen damit, dass die EZB ihre Zinsen im Dezember erneut um 25 Basispunkte auf dann 3,00 Prozent senken wird. Der EZB liegen dann auch die aktuellen makroökonomischen Prognosen des eigenen volkswirtschaftlichen Stabs und der volkswirtschaftlichen Abteilungen der nationalen Zentralbanken vor. Lagarde sagte, dass die Perspektiven aus Sicht von Unternehmen und Konsumenten schon einige Zeit unklar seien und dass diese daher weniger investierten und konsumierten. "Ein großer Teil dieser Unsicherheit wurde in den September-Projektionen berücksichtigt. Sie wird auch in die Dezember-Prognosen einfließen", sagte sie.
Lagarde riet den europäischen Politikern davon ab, auf mögliche US-Einfuhrzölle mit purer Vergeltung zu reagieren. "Wir könnten anbieten, bestimmte Dinge von den USA zu kaufen und signalisieren, dass wir bereit sind, uns an einen Tisch zu setzen und zu sehen, wie wir zusammenarbeiten können", sagte sie. Sie halte dies für ein besseres Szenario als eine reine Vergeltungsstrategie, die zu einem "Tit-for-tat"-Prozess führen könne, bei dem es keinen wirklichen Gewinner gäbe.
"Generell könnte Europa darüber sprechen, mehr Flüssiggas aus den USA zu beziehen. Und natürlich gibt es eine ganze Kategorie von Verteidigungsgütern, die wie hier in Europa nicht herstellen können und die von den Mitgliedstaaten im Rahmen eines kohärenten EU-Konzepts gekauft werden könnten", schlug sie vor. Europa muss Lagarde zufolge die Möglichkeit im Auge behalten, dass China versuchen wird, die in den USA aufgrund von Zöllen nicht mehr absetzbaren Produkte im Rest der Welt zu verkaufen. "Das könnte sicherlich die drittgrößte Wirtschaftszone der Welt sein: Europa", sagte sie.
Lagarde sieht die Gefahr, dass die nach jahrelangen Verhandlungen beschlossene Eigenkapitalrichtlinie Basel 3 international nicht einheitlich umgesetzt wird. "Ich denke, die Entscheidung über Basel 3 ist noch nicht gefallen", sagte sie auf die Frage, ob die Divergenz zwischen den USA und Europa bei Basel 3 den Unternehmen das Leben schwer machen könnte und ob Europa darauf reagieren sollte. Das wäre kein gutes Ergebnis, denn sei viel Mühe in den Versuch investiert worden, den Rahmen zu harmonisieren, in dem die Banken arbeiten. "Es wäre also schade, nicht so sehr wegen der Arbeit, die bisher geleistet wurde, sondern weil wir diese Harmonisierung der Grundsätze und die gleichen Wettbewerbsbedingungen, die alle anstreben, verlieren würden", sagte sie.
Kontakt zum Autor: hans.bentzien@dowjones.com
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