Kommentar
13:54 Uhr, 09.09.2015

Konjunkturprogramm für Deutschland

  • Wenn in diesem Jahr 800.000 Menschen nach Deutschland kommen, wirkt das auf die Volkswirtschaft wie ein großes Konjunkturprogramm.
  • Es könnte auch sein, dass die Reformbereitschaft in der Gesellschaft zunimmt ("von der Kultur der Gründlichkeit zur Kultur der Fle­xibilität").
  • Das ist ein Gegengewicht zu den negativen Nachrichten, die derzeit von der Weltwirtschaft kommen.

Was bei allen Schwierigkeiten über die Unterbringung und Integration der Flüchtlinge oft vergessen wird: Wenn in diesem Jahr so viele Menschen nach Europa kom­men, dann schafft das rein wirtschaftlich gesehen Wachstum, Arbeitsplätze und Mehreinnahmen für die Sozialversicherungen. Es wirkt wie ein riesiges Kon­­junkturprogramm und gibt auch mittelfristig Hoffnung auf neue wirtschaftliche Dynamik. Die Prognosen für die wei­tere Entwicklung Europas in 2015/2016 können trotz des schlechteren weltwirtschaftlichen Umfelds nach oben revidiert werden.

Bevölkerung und Wirtschaftswachstum
Zunahme der Bevölkerung und des BIP in % ggü. Vorjahr, gleitende Durchschnitte

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Quelle: Bundesbank

Das klingt angesichts der vielen Klagen über den Flücht­lingszustrom auf den ersten Blick überraschend. Es ist jedoch eine uralte Erkenntnis der Wissenschaft, dass die Bevölkerung eine der entscheidenden Determinanten der wirtschaftlichen Entwicklung ist. Bevölkerungsreiche Länder haben unter sonst gleichen Umständen ein grö­ßeres Sozialprodukt (siehe China oder Indien). Länder mit hohem Bevölkerungswachstum haben normalerwei­se auch eine höhere wirtschaftliche Dynamik. Die Grafik zeigt die Entwicklung in Deutschland in den letzten 35 Jahren. Der Zusammenhang ist klarer erkennbar, als ich gedacht hatte.

Angewandt auf den derzeitigen Flüchtlingszustrom heißt das: Erstens steigt die Nachfrage. Es handelt sich hier um Konsumgüter zur Versorgung der Menschen, wenn sie hier ankommen und leben. In vielen Städten sind die Läden voll von Flüchtlingen (die ja nicht alle unvermö­gend sind). Dazu kommen die Bereitstellung von Woh­nungen, Möbel, Transport, aber auch Sprach- und Inte­grationskurse. Weitere Nachfrage entsteht durch not­wen­dige Neueinstellungen in der Verwaltung.

All das wird in der öffentlichen Diskussion immer nur un­ter "Kosten" subsumiert. Für die Volkswirtschaft ist es aber Nachfrage. Über die Höhe gibt es bisher keine ver­lässlichen Zahlen. Häufig wird für Deutschland eine Grö­ßenordnung von EUR 10 Mrd. genannt. Ich halte das eher für die Untergrenze. Das wären 0,3 % bis 0,5 % des Bruttoinlandsprodukts. Die Wirtschaftsleistung wür­de in Deutschland 2016 also nicht um 1,7 % wachsen, sondern um mehr als 2 %. Ähnlich für andere Länder in Europa.

Zweitens: Das Arbeitsangebot nimmt zu. Das wird sich allerdings erst längerfristig auswirken. Es betrifft auch nur die Flüchtlinge, die bleiben und arbeiten dürfen. Kurzfristig wird es an den Arbeitsmärkten also wegen der Mehrnachfrage auf den Gütermärkten enger. Erst dann steigt die Zahl der Erwerbstätigen. Es ist aber nicht zu erwarten, dass am Ende die Arbeitslosigkeit zuneh­men wird. Dafür gibt es zu viele unbesetzte Stellen in den Unternehmen.

Drittens: In den öffentlichen Haushalten nehmen zuerst die Ausgaben zu. Darüber klagen jetzt die Finanzminis­ter. Wenn die Flüchtlinge aber arbeiten können, zahlen sie auch Steuern und entlasten die Budgets. Besonders die Sozialversicherungen werden Mehreinnahmen ha­ben und Überschüsse erwirtschaften. Denn die Flücht­linge sind vor allem jüngere Leute, die erst in vielen Jahren in Rente gehen. Insgesamt dürfte die von der Regierung angestrebte "schwarze Null" in den öffent­lichen Haushalten durch die Mehrausgaben für die Flüchtlinge nicht gefährdet sein.

Viertens: Das Wirtschaftswachstum wird in Zukunft we­niger exportlastig sein und mehr konsumgetrieben. Das ist kein Fehler. Deutschland wird für seine Leistungsbi­lanzüberschüsse international häufig kritisiert. Es könnte auch sein, dass die Investitionen steigen, wenn es mehr Nachfrage auf den Märkten gibt.

Fünftens und ganz wichtig: Durch den Flüchtlingszu­strom könnte auch die Reformbereitschaft zunehmen. Bundeskanzlerin Merkel sprach von einer "nationalen Herausforderung". Sie rief dazu auf, die Kultur der Gründlichkeit zu ergänzen durch eine Kultur der Flexibi­lität. Vielleicht war das nur so dahingesprochen und ist bald wieder vergessen. Es könnte aber auch sein, dass da mehr dahinter steckt. Ähnlich wie die Kanzlerin nach dem Atomunglück im japanischen Fukushima die Ener­giewende in Deutschland einleitete, könnte es auch sein, dass sie mit diesen Worten jetzt wieder etwas in Gang setzt. Manche Unternehmen denken schon in dieser Richtung. Das würde die Wirtschaft dynamischer machen.

Sechstens: Bevölkerungswanderungen haben immer zwei Effekte. Wer Menschen abgibt, verliert Potenzial, wer Menschen aufnimmt, gewinnt Potenzial. Auf Dauer liegt es daher nicht im Interesse der Länder in Afrika oder im Nahen Osten, dass so viele Menschen wegge­hen. Auch innerhalb Europas ergibt sich eine Umvertei­lung. Länder, die weniger Menschen aufnehmen, ma­chen es sich heute leichter, verzichten langfristig aber auf Wachstumschancen (zum Beispiel Frankreich oder Großbritannien).

Für den Anleger

Kurzfristig führt der Flüchtlingszustrom zu Unruhe und Unsicherheit. Viele sorgen sich, wie die Integration der Menschen zu organisieren ist und ob sie auch wirklich gelingen kann. Wenn die Einwanderung anhält, stellt sich die Frage, ob die Integrationsfähigkeit der Gesell­schaft nicht irgendwann überfordert ist. Zunächst jedoch überwiegen für die Wirtschaft und die Kapitalmärkte die positiven Wirkungen. Die Konjunktur in Europa wird ver­mutlich besser, als unter den schlechteren weltwirt­schaft­lichen Bedingungen zu erwarten ist. Für Stock­picker kommen ganz neue Unternehmen auf das Radar, näm­lich die, die sich auf die neue Situation einstellen und von der zusätzlichen Nachfrage auf den Märkten profi­tieren. Ein Sektor, der besser dasteht, ist zum Bei­spiel die Bauwirtschaft.

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