Konflikte in Heiligendamm statt "Geist von Rambouillet"
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Artikel veröffentlicht auf http://www.boerse-go.de
Als Frankreichs Staatspräsident Valéry Giscard d’Estaing Ende November 1975 seine Regierungskollegen aus Deutschland, Italien, Japan, den USA und dem Vereinigten Königreich auf Schloss Rambouillet bei Paris zum ersten Weltwirtschafts-Gipfeltreffen einlud, standen die makroökonomischen Folgen der ersten Ölkrise, die Währungsbeziehungen, der Welthandel und die Beziehungen zu den OPEC-Staaten auf der Tagesordnung. Allein die US-Ökonomie war bereits in Schwung gekommen, während Europa und Japan unter Inflation und geringem Wachstum litten. Kanzler Schmidt und Präsident Ford waren sich rasch einig, dass die Stabilitätspolitik Vorrang genießen sollte; allzu klare Hausaufgaben für Überschuss- und Defizitländer wurden vermieden. Auch kam man überein, dass nationale Energieeinsparungen, die Bezugsdiversifizierung bei Energierohstoffen und die Entwicklung von Energieträgern, die eine Alternative zum Öl boten, den Weg aus der Anhängigkeit von der OPEC weisen würden. Zudem fand man einen Formelkompromiss zwischen Franzosen und Amerikanern zum aus dem Lot geratenen Weltwährungssystem, der den Weg für die Statutenänderung des Internationalen Währungssystems im Frühjahr 1976 in Jamaika bereitete. Auch gab man der dahinsiechenden Tokio-Runde des GATT einen ordentlichen Schub; diese konnte 1979 tatsächlich abgeschlossen werden. Rambouillet gilt bis heute als ein erfolgreicher Auftakt zum kollektiven Management der Weltwirtschaft im Rahmen der großen Weltwirtschaftsnationen.
Der Kontrast zu Heiligendamm, dem 33. Gipfeltreffen im mittlerweile erweiterten Kreis der G8-Staaten (Kanada kam 1976 hinzu, die Europäische Gemeinschaft 1977 und Russland formal zum Gipfel in Birmingham 1998), könnte kaum größer sein. Die Problempalette der Weltwirtschaft sieht zwar verdächtig ähnlich aus: hohe Ölpreise, große außenwirtschaftliche Ungleichgewichte, erhebliche Fehlentwicklungen in den großen Währungsrelationen, eine siechende Welthandelsrunde, eine zu große Abhängigkeit von Ölförderländern – allein das Inflationsproblem scheint gebannt. Doch zeichnet sich bei den Gesprächen der G8 und ihrer Gäste – den fünf Schwellenländern Brasilien, China, Indien, Mexiko und Südafrika sowie verschiedenen afrikanischen Ländern (Nigeria, Ägypten, Algerien, Senegal und Ghana) – ein größeres Debakel ab. Dieses besteht aus einem Bündel unerledigter Probleme:
1. Die internationale Energie- und Klimadiplomatie ist in den letzten Monaten in sehr schweres Fahrwasser geraten. Während die Europäer weitreichende, völkerrechtlich bindende Verpflichtungen aller Staaten zur erheblichen Reduzierung von Treibhausgasen (2-Grad-Celsius-Ziel für die globale Erwärmung; Halbierung der Treibhausgase bis 2050) in den nächsten Jahrzehnten einfordern, favorisiert die US-Regierung lediglich Selbstverpflichtungen der größten Emittentenländer außerhalb des rechtlichen Rahmens des Kioto-Abkommens. Hierfür muss es 2013 eine Nachfolgeregelung geben, die 2008/09 verhandelt werden müsste. Kompromissformeln zur Zusammenarbeit bei neuen Energietechnologien oder zu Maßnahmen in der energetischen Gebäudesanierung oder anderen Feldern können nicht über die tiefen Meinungsverschiedenheiten in der globalen Klimapolitik hinwegtäuschen.
2. Trotz gravierender makroökonomischer Fehlentwicklungen und Schieflagen im Weltwährungsgefüge sind sich die Gipfelteilnehmer im Vorfeld nicht wirklich näher gekommen. Die Asiaten bleiben bei niedrigen Zinsen und viel zu schwachen Währungen, während die Europäer sich auf weitere kräftige Aufwertungen von Euro und Pfund zum Dollar einstellen müssen. Bei Leistungsbilanzungleichgewichten enormen Ausmaßes bleibt die Stabilität der Weltwirtschaft auf tönernen Füßen stehen.
3. Die Welthandelsrunde – die Doha-Entwicklungsagenda in der Welthandelsorganisation – steht am Rande eines Scheiterns. Obwohl in Heiligendamm alle wesentlichen Handelsstaaten versammelt sein werden und Pascal Lamy den Verhandlungsstand referieren wird, dürfte der entscheidende Impuls zur Rettung der Runde und zur Liberalisierung der internationalen Agrar-, Industrie- und Dienstleistungsmärkte ausbleiben. Ein größeres kollektives Scheitern als dieses ist kaum vorstellbar – schließlich ist die Welthandelsordnung von größtem Nutzen für alle Länder.
Heiligendamm könnte jedoch in einer Reihe anderer Punkte im Nachhinein doch noch in milderem Licht gesehen werden. Erstens gelingt es der G8 eventuell, die in den letzten Jahren in unterschiedlichen Zusammensetzungen geladenen Gäste aus Schwellenländern und afrikanischen Staaten in einem stärker institutionell geordneten Verfahren in die internationale Wirtschaftsdiplomatie einzubeziehen. So plant die Bundesregierung, die fünf geladenen Schwellenländer in regelmäßige wirtschaftspolitische Diskussionen zu klar definierten Themen im Rahmen der OECD zu laden. Dies wäre sicherlich nützlich, da es ohne diese Staaten in allen wesentlichen Themen heute nicht mehr recht vorangeht.
Zweitens hat es die Bundesregierung geschafft, die politische Aufmerksamkeit auf die Beobachtung von Kapitalmärkten, insbesondere bei Hedge Fonds, zu lenken und das Thema auf der Tagesordnung der künftigen Gipfel zu verankern.
Drittens ist die Bundesregierung nun offenkundig bereit, ihre bereits auf dem G8-Gipfel in Gleneagles 2005 eingegangene Verpflichtung zur Erhöhung der Entwicklungshilfe an die afrikanischen Staaten bis 2010 auf 0,51% des BIP (derzeit: 0,37%) durch jährliche Erhöhung der Budgetmittel um 750 Mio. EUR umzusetzen. Damit knüpft die jetzige Regierung an die deutsche Führungsrolle auf dem Kölner G8-Gipfel 1999 bei der Schuldeninitiative an.
Und schließlich wird man die sinnvollen Vorarbeiten zum besseren Schutz geistigen Eigentums, zu Direktinvestitionen, zur Entwicklung von Anleihemärkten in Entwicklungsländern in heimischer Währung und zur guten Haushaltspolitik in Afrika sicherlich erfolgreich weiterführen können.
Gleichwohl dürfte Heiligendamm als Gipfel des Konflikts in die Geschichte der G8 eingehen. Ähnlich wie bei den scharfen Konflikten zwischen Carter und Schmidt in den späten 70er Jahren und zwischen Mitterrand und Reagan in den frühen 80er Jahren werden die Länder den Weg zurück zur Kooperation finden, ja finden müssen. Bei prächtigem Wachstum der Weltwirtschaft wird der Schaden wohl in Grenzen gehalten werden können, aber das reicht leider nicht aus. Die Logik des kollektiven Managements einer noch viel stärker als 1975 durch wechselseitige Abhängigkeiten geprägten Weltwirtschaft ist allemal mächtiger als die Logik innenpolitischer Rücksichtnahmen und klimapolitischer Schattenspiele. Auf den Gipfeln in Hokkaido im Sommer 2008, spätestens jedoch 2009 in Italien, werden die Weichen wieder auf ernsthafte weltwirtschaftliche Zusammenarbeit gestellt werden müssen.
Quelle: Deutsche Bank Research
Autor: Klaus Deutsch
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