Kommentar
09:17 Uhr, 11.01.2021

Kommt die Herdenimmunität erst 2027?

Deutschland ist auf dem besten Weg, die Krise zum Dauerzustand zu machen. Wird im bisherigen Tempo weitergeimpft, dann wäre eine Herdenimmunität rechnerisch erst im August 2027 erreicht.

Fast seit Beginn der Pandemie heißt es von der Politik, dass eine durch Impfungen erreichte Herdenimmunität der einzige Ausweg aus der Pandemie sei. Nun stehen also tatsächlich Impfstoffe bereit und es wird seit Ende 2020 auch in Deutschland massenhaft geimpft. Bis zum vergangenen Freitag wurden laut RKI 532.878 Menschen geimpft.

Dass innerhalb von rund zwei Wochen mehr als eine halbe Million Menschen geimpft wurden, mag sich recht beachtlich anhören. Doch bei einer Gesamtbevölkerung von mehr als 83 Millionen Menschen und der Tatsache, dass eine vollständige Impfung aus zwei Impfdosen pro Person besteht, relativiert sich das Bild.

Bisher wurden im Schnitt nur rund 41.000 Personen pro Tag mit einer Impfdosis geimpft. Impft man in diesem Tempo weiter und nimmt man an, dass 60 Prozent der Bevölkerung geimpft sein müssen, damit eine Herdenimmunität besteht, dann wäre diese beim aktuellen Impftempo rechnerisch erst im August 2027 erreicht. Man vergleiche das zum Beispiel mit Israel, wo die gesamte Bevölkerung bereits bis Ende März geimpft werden soll.

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Obwohl also von der Politik von Anfang an Impfungen als einziger Ausweg aus der Pandemie propagiert wurden (etwas, das man mit Sicherheit hinterfragen sollte), wurden überhaupt nicht die notwendigen Voraussetzungen geschaffen, um bei Verfügbarkeit eines Impfstoffes auch alle Impfwilligen möglichst schnell impfen zu können.

Aber das Szenario einer durch Impfungen erreichten Herdenimmunität könnte sich noch aus anderen Gründen als unrealistisch erweisen:

  • Niemand weiß, wie lange nach der Impfung eine Immunität bestehen bleibt. Es könnte durchaus sein, dass jedes Jahr geimpft werden muss, um eine Immunität beizubehalten. Im aktuellen Tempo wären Impfungen fast völlig nutzlos, weil pro Jahr nur ein kleiner Teil der Bevölkerung geimpft würde und die Herdenimmunität dann niemals erreicht würde.
  • Es könnten Mutationen auftauchen, gegen die die Impfungen nicht oder nur schwächer wirken. Die gute Nachricht ist, dass die mRNA-Impfstoffe wohl innerhalb von Wochen angepasst werden könnten. Die schlechte Nachricht ist allerdings, dass dann womöglich alle bisherigen Impfungen unwirksam oder zumindest weniger wirksam wären.
  • Die Impfbereitschaft in der Bevölkerung könnte zu gering sein, um durch Impfungen tatsächlich eine Herdenimmunität zu erreichen. Zwangsimpfungen wurden von der Regierung völlig zu Recht ausgeschlossen.

Zum Glück gibt es aber auch einen Lichtblick: Ist ein Großteil der Alten und Vorerkrankten geimpft, verliert die Pandemie ihren Schrecken. Denn für die allermeisten jungen Menschen ohne Vorerkrankung ist eine Infektion mit SARD-CoV-2 kaum gefährlicher als eine normale Erkältung. Eine Herdenimmunität wäre dann gar nicht notwendig, um zur Normalität zurückzukehren.

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Symptome bei Covid-19-Fällen (Screenshot RKI-Website)

Angesichts des niedrigen Impftempos ist aber auch das noch Zukunftsmusik. So langsam wie derzeit geimpft wird, sind Impfungen schlicht kein realistischer Ausweg aus der Pandemie in Deutschland und die drakonischen Freiheitsbeschränkungen müssten nach der Logik der Regierung dauerhaft beibehalten werden. Das würde aber früher oder später die Gesellschaft zerstören.

Natürlich wird das Impftempo in den kommenden Wochen und Monaten noch deutlich steigen, weswegen eine Herdenimmunität dann möglicherweise doch deutlich früher erreicht sein wird. Trotzdem wird der sehr holprige Start der Impfungen in Deutschland zu einem großen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Schaden führen. Die Politik hat in der Frage, einen Weg aus der Pandemie zu finden, offensichtlich völlig versagt.


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2 Kommentare

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  • mkronen
    mkronen

    Der Begriff "Herden"immunität sieht das Volk als Vieh und sollte daher als menschenunwürdig abgelehnt werden. Wir sind keine Herde. Es gibt sicher andere brauchbare Begriffe hierzu.

    16:59 Uhr, 11.01.2021

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Über den Experten

Oliver Baron
Oliver Baron
Experte für Anlagestrategien

Oliver Baron ist Finanzjournalist und seit 2007 als Experte für stock3 tätig. Er beschäftigt sich intensiv mit Anlagestrategien, der Fundamentalanalyse von Unternehmen und Märkten sowie der langfristigen Geldanlage mit Aktien und ETFs. An der Börse fasziniert Oliver Baron besonders das freie Spiel der Marktkräfte, das dazu führt, dass der Markt niemals vollständig vorhersagbar ist. Der Aktienmarkt ermöglicht es jedem, sich am wirtschaftlichen Erfolg der besten Unternehmen der Welt zu beteiligen und so langfristig Vermögen aufzubauen. In seinen Artikeln geht Oliver Baron u. a. der Frage nach, mit welchen Strategien und Produkten Privatanleger ihren Börsenerfolg langfristig maximieren können.

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