Kommentar
15:24 Uhr, 27.06.2006

Kapital dürfte wieder fließen

An den Märkten wächst die Nervosität. Der Grund: Der MSCI Emerging Markets hat allein im Mai 7,5 Prozent verloren. Schon in den vergangenen Ausgaben haben wir ausgeführt, dass die fundamentalen positiven Faktoren für diese Märkte weiterhin intakt sind.Trotzdem sollten Anleger aufmerksam sein.

Unterstützt wird diese Sicht durch jüngste Zahlen: Nach Angaben des Institute of International Finance (IIF) sind die Nettokapitalzuflüsse in die Emerging Markets von 2003 bis 2005 von 100 Milliarden Dollar auf rund 400 Milliarden Dollar gestiegen und liegen damit auf dem höchsten Stand seit zehn Jahren. Im Jahr 2006 sollen die Kapitalzuflüsse zwar etwas sinken. Dieser Rückgang ist jedoch vor allem auf eine sinkende Kreditaufnahme zurückzuführen. Die Direktinvestitionen dürften dagegen weiter steigen.

Direktinvestitionen fördern Innovation Steigende Direktinvestitionen sind ein positiver Faktor für die Emerging Markets. Sie liefern besonders starke Impulse für die wirtschaftliche Entwicklung. Als Endproduzenten erhöhen ausländische Unternehmen unmittelbar die Produktion vor Ort. Darüber hinaus fördern internationale Beteiligungen den Know-how-Transfer – inländische Unternehmen profitieren vom Wissensaustausch. Zudem erhöht sich das Ausbildungsniveau, wenn ausländische Unternehmen heimisches Personal schulen.

Auslandskapital finanziert Wachstum

Welche Auswirkungen steigende Direktinvestitionen haben, zeigt das Beispiel Rumänien: Wie schon in der Türkei hat auch dort die angestrebte EU-Mitgliedschaft einen enormen Schub ausgelöst. Von 2001 bis 2004 stieg die Arbeitsproduktivität jährlich um sechs Prozent. Steigende Reallöhne machten den Binnenkonsum zum stärksten Wachstumsmotor und sorgten in den vergangenen fünf Jahren für ein durchschnittliches Wirtschaftswachstum von zehn Prozent. Dieses enorme Wachstum führte zu einer Ausweitung des Leistungsbilanzdefizits von 7,6 Prozent auf 9,1 Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Die Finanzierung ist jedoch unproblematisch: Rund die Hälfte davon wird durch ausländische Direktinvestitionen ausgeglichen. Der Rest lässt sich problemlos über die internationalen Kapitalmärkte decken, da Rumänien inzwischen Investment-Grade-Status besitzt.

Eine ähnliche Situation zeigt sich in Südafrika: Auch hier schlagen sich hohe Infrastrukturinvestitionen zusammen mit einem starken Binnenkonsum in einem Leistungsbilanzdefizit nieder. Dank einer soliden Fiskalpolitik und der guten Wachstumsaussichten sollte Südafrika dieses Defizit aber an den internationalen Kapitalmärkten weiter finanzieren können.

Die guten Konditionen an den internationalen Kapitalmärkten haben auch in Indien ein Umdenken ausgelöst. Bislang sorgten zahlreiche Beschränkungen des Kapitalverkehrs dafür, dass der Anteil ausländischer Direktinvestitionen mit einem Anteil von 0,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts vergleichsweise niedrig blieb. Diese Beschränkungen wurden inzwischen erheblich gelockert: Die Obergrenzen für ausländische Direktinvestitionen wurden in den meisten Sektoren aufgehoben. Lediglich im Telekombereich sind ausländische Beteiligungen auf 49 Prozent beschränkt. Diese Öffnung ist sinnvoll, denn Indien will 150 Milliarden Dollar in den Infrastrukturausbau investieren und benötigt dafür dringend ausländisches Kapital.

Risikofaktor: Geldpolitik

Trotz der anhaltend guten Vorrausetzungen für Kapitalzuflüsse in die Emerging Markets bestehen Risikofaktoren. So sind viele Währungen in den vergangenen Monaten unter Druck geraten. Dies allein ist aber kein Grund zur Besorgnis, da zuvor erhebliche Wertsteigerungen verzeichnet wurden. Die Abwertung könnte jedoch eine negative Spirale aus Inflation, Zinserhöhungen und Konjunkturschwäche in Gang bringen. Beunruhigend ist beispielsweise die jüngste Entwicklung in der Türkei. Mit ihrer Weigerung, auf die steigende Inflation und den drastischen Liraverfall zu reagieren, hatte die türkische Notenbank an Glaubwürdigkeit verloren. Die jüngste kräftige Zinserhöhung um 175 Basispunkte auf 15 Prozent dürfte dem Markt allerdings wieder etwas Vertrauen zurückgeben.

Quelle: ABN Amro Asset Management

ABN Amro Asset Management ist die unabhängige Kapitalanlagegesellschaft der ABN Amro Bank. Weltweit beschäftigt ABN Amro Asset Management 1.600 Mitarbeiter in über 24 Ländern, darunter Portfoliomanager und Analysten rund um den Globus. ABN Amro Asset Management verwaltet ein Vermögen von insgesamt 188 Mrd. Euro in Spezialfonds (31 März 2006) und über 500 Publikumsfonds.

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Über den Experten

Thomas Gansneder
Thomas Gansneder
Redakteur

Thomas Gansneder ist langjähriger Redakteur der BörseGo AG. Der gelernte Bankkaufmann hat sich während seiner Tätigkeit als Anlageberater umfangreiche Kenntnisse über die Finanzmärkte angeeignet. Thomas Gansneder ist seit 1994 an der Börse aktiv und seit 2002 als Finanz-Journalist tätig. In seiner Berichterstattung konzentriert er sich insbesondere auf die europäischen Aktienmärkte. Besonderes Augenmerk legt er seit der Lehman-Pleite im Jahr 2008 auf die Entwicklungen in der Euro-, Finanz- und Schuldenkrise. Thomas Gansneder ist ein Verfechter antizyklischer und langfristiger Anlagestrategien. Er empfiehlt insbesondere Einsteigern, sich strikt an eine festgelegte Anlagestrategie zu halten und nur nach klar definierten Mustern zu investieren. Typische Fehler in der Aktienanlage, die oft mit Entscheidungen aus dem Bauch heraus einhergehen, sollen damit vermieden werden.

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