Kommentar
10:30 Uhr, 24.07.2014

Kann und darf die Fed die Zinsen überhaupt anheben?

Tapering ist das eine, Zinsen tatsächlich anheben das andere. Das gilt nicht nur für die Fed, sondern auch für die EZB.

Mit einer Straffung der Geldpolitik, die früher oder später kommen wird, könnten alte Krisenherde mit Wucht zurückkommen. Die Rede ist wieder einmal von Schulden. Da schlummert ein Pulverfass.

Mit der Veröffentlichung der Budgetprognosen für die amerikanische Regierung wird die Größe des Pulverfasses auch benannt. Das CBO (Congressional Budget Office) nennt neben Zinsen zwei weitere, wichtige Einflussfaktoren, die die Staatsschulden in der Zukunft maßgeblich mit gestalten werden. Persönlich dachte ich intuitiv, dass die Überalterung der Bevölkerung das größte Problem darstellen könnte. Man stelle sich vor, die Bevölkerung wird deutlich älter als prognostiziert. Das sollten eigentlich enorme Kosten sein, die im Gesundheitssystem und in der Rentenkasse zusätzlich anfallen. Dem ist aber nicht so. Tatsächlich hat eine Überraschung bei der Langlebigkeit der Menschen kaum einen Einfluss auf die zukünftige Schuldenlast.

Das CBO stellt für das Langlebigkeitsrisiko drei Szenarien vor. Im Basisszenario ist alles so wie antizipiert. Im Fall "besser" steigt die Langlebigkeit jedes Jahr um 0,5 % weniger stark an. Im Fall "schlechter" steigt sie um 0,5 % pro Jahr schneller an. Die erste Grafik zeigt die Effekte. Sie sind fast nicht wahrnehmbar.

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Durchaus wahrnehmbar sind die Effekte des Produktivitätswachstums. Auch hier gibt es drei Szenarien. Die Abweichung vom Basisszenario beträgt wieder 0,5 Prozentpunkte pro Jahr. Hier ist die Differenz sehr deutlich. Vom besten zum schlechtesten Szenario beträgt die Breite 36 Prozentpunkte. Wächst die Produktivität schneller, dann lägen die Staatsschulden in 25 Jahren bei 94 % der Wirtschaftsleistung. Wächst sie langsamer, dann stünden die Schulden bei 130 %.

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Der Grund für den massiven Effekt ist einleuchtend. Die Ausgaben bleiben mehr oder minder stabil. Wächst die Produktivität aber schneller, dann wächst auch die Wirtschaft schneller. Das BIP steigt schneller als die Schulden. Die Regierung nimmt etwas mehr Steuern ein, der Absolutbetrag der Schulden steigt langsamer und relativ zum BIP bleiben die Schulden ungefähr konstant.

Den größten Effekt auf die Staatsschulden haben die Zinsen. Blieben die Zinsen auf jetzigem Niveau, dann würden die Schulden nur sehr langsam steigen. Als niedrige Zinsen bezeichnet das CBO einen Zinssatz, der 0,75 Prozentpunkte unter dem prognostizierten Basiszinssatz liegt. Der Basissatz liegt bei 2,5 % real (also über der Inflation). Historisch gesehen lag der Realzinssatz in den USA seit 1960 bei 3,8 %. Da liegt das CBO recht optimistisch. Zugegen, in diese Periode fällt auch eine Phase sehr hoher Zinsen. Nimmt man die letzten 15 Jahre als Referenz, dann lag der Durchschnitt laut Weltbank bei 3,1 %. Darin enthalten ist diesmal die extreme Niedrigzinsphase. Wie man es dreht und wendet, man kann fast davon ausgehen, dass das schlechtere Szenario zum Zug kommt. Dann würden die Staatsschulden in den kommenden 25 Jahren allein aufgrund dieses Effektes um 43 Prozentpunkte höher stehen als bei niedrigeren Zinsen. Das muss man sich wirklich einmal auf der Zunge zergehen lassen. Das ist enorm.

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Nimmt man alle Szenarien zusammen, dann kommt Grafik 4 heraus. Hier werden Schulden im besten Fall bei 75 % des BIPs am Ende des Prognosezeitraums gesehen, im schlechtesten Fall bei 159 %. Sowohl der gute als auch der schlechte Fall schöpfen nicht die ganzen Möglichkeiten aus. Würde wirklich der Worst-Case eintreten, dann lägen die Schulden bei über 200 %

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Zurück zur Eingangsfrage.

Die Staatsschulden steigen höchstwahrscheinlich, komme, was wolle. Die Frage ist nur wie weit und wie schnell sie steigen. Den größten Einfluss darauf haben die Zinsen. Diese werden nicht zuletzt durch die Entscheidungen der Fed beeinflusst. Macht die Fed ernst, dann dürften die USA bald wieder deutlich mehr für ihre Schulden zahlen müssen. Dieser Zuwachs wird nicht morgen und auch nicht übermorgen zu bemerken sein. In 10 Jahren aber schon.

Das gleiche, bzw. sogar noch viel mehr, gilt für die Eurostaaten. Hier steigt die Verschulden derzeit ohnehin ungebremst weiter. Selbst wenn die Wirtschaft wieder anspringt kann der Anstieg der Verschulden wegen der enormen Zinszahlungen fast nicht mehr aufgehalten werden. Die Schuldenkrise dürfte damit ein schreckliches Comeback erleben. Wie gesagt, nicht morgen. Für die nächsten Jahre bin ich ganz optimistisch. Die 20er Jahre dürften es aber in sich haben.

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  • Jarakoff
    Jarakoff

    Die Modelle gehen doch alle von einem stetigen Konjunkturverlauf aus. Was passiert denn, wenn innerhalb der besagten 25 Jahre mal wieder "völlig überraschend" eine Wirtschaftskrise bzw. Rezession herbeigeflogen kommt?

    Die Vergangenheit hat gezeigt, dass solche Phasen mit sprungartigen Anstiegen der Staatsverschuldung verbunden sind (aufgrund von wegbrechenden Steuereinnahmen, steigenden Sozialausgaben, Konjunkturpaketen, etc.).

    Sollte also in den nächsten Jahren ein Konjunkturabschwung erfolgen, was m.E. relativ wahrscheinlich ist, dann kann man die ganzen Modellrechnungen mit ihren putzigen Grafiken getrost in die Tonne treten...

    19:47 Uhr, 24.07.2014
  • gr_da
    gr_da

    Ja, ich sehe auch keine Möglichkeit, dass irgendein Staat durch extremes Wachstum aus seinem Schuldenstand "hauswachsen" kann. Wie war es denn die letzten Jahre. Immer wurden medienwirksam 2-3 Wachstum prognostiziert und wir sind am Ende bei 0,x% gelandet. Also ich sehe da keinen Ausweg.

    Wenn die FED wirklich ernst macht, dann wirds ziemlich ungemütlich, denn dann wirds sehr teuer für die USA. Hebt sie den Zins nicht an, so werden wir mal schauen, wann wir eine extreme Inflation sehen werden, denn dauerhaft wird dieses Experiment wohl nicht klappen.

    18:22 Uhr, 24.07.2014
  • gr_da
    gr_da

    Naja, alles schön und gut. Szenarien kann man natürlich immer erstellen, allerdings "das BIP steigt schneller als die Schulden".... Sehr fraglich ;-)

    Des weiteren hat die Finanzwelt solch massive Risiken angehäuft, dass es da vor Ihrer 10 Jahresfrist sicherlich ziemlich krachen wird. Dann werden auch die Staaten die Verluste der Banken nicht mehr sozialisieren können. Vermutlich kommt dann der direkte Griff in die Tasche der Bürger, da die Staatsschulden ins nicht mehr tragbare gerät.

    15:38 Uhr, 24.07.2014
  • Investor
    Investor

    Ich denke die FED MUSS die Zinsen erhöhen. Wenn man den Bedarf des täglichen Lebens (Lebensmittel, Strom, Wasser, Benzin usw) nimmt, liegt die Steigerung schon heute bei ca 4% - Tendenz steigend.

    Diese Steigerung sollte sich nach einer Zeit (4-12 Monate) auf die Inflationsrate auswirken. Die langfristischen Zinsen beginnen dies schon langsam zu berücksichtigen.

    Aus meiner Sicht ist dies einer der Gründe warum die FED unabhängig von wirtschaftlichen Entwicklungen (schwaches 1Q) unvermindert tappert. J. Yellen hat hier auch schon erste Andeutungen bezüglich Blasen bei Aktien gemacht. Alles Zeichen das die FED sich auf Inflation und Zinserhöhungen einstellt.

    Gleichzeitig haben Sie recht, daß der US Haushalt nicht deutlich höhere Zinsen im Vergleich zum BIP verträgt. Also bleibt der FED nur übrig, die Zinsen auf etwa 0,5-1% unterhalb des BIP Wachstums zu erhöhen. Dadurch sollten die Steuern mehr zusätzliche Einnahmen bringen, als die Zinsen zustätzlich kosten.

    Die EZB hat ein anderes Problem. Sie kann die Zinsen nicht deutlich über 1% erhöhen, da die Probleme in den Südländern nicht strukturell gelöst sind. Einzige Möglichkeit wäre, dass die nationalen Wirtschaften sich zwischen Süd- und Nordländern annähern. Letzlich werden dafür Deutschland seine Exportpreise anheben müssen. Wie Hr Weidmann dies schon treffend gesagt hat, müssen dafür die Löhne in D überproportional steigen. Dies wird aber nicht genügen, da ohne Angleichung der Sozialsysteme die Besten aus den Südländern abwandern werden. Damit wird es zwar in D massive Lohnerhöhungen geben, die aber durch steigende Steuern und Abgaben sofort wieder eingesammelt werden, um die Südländer zu stützen.

    12:55 Uhr, 24.07.2014

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Über den Experten

Clemens Schmale
Clemens Schmale
Finanzmarktanalyst

Clemens Schmale hat seinen persönlichen Handelsstil seit den 1990er Jahren an der Börse entwickelt.

Dieser gründet auf zwei Säulen: ein anderer Analyseansatz und andere Basiswerte. Mit anders ist vor allem die Kombination aus Global Makro, fundamentaler Analyse und Chartanalyse sowie Zukunftstrends gemeint. Während Fundamentaldaten und Makrotrends bestimmen, was konkret gehandelt wird, verlässt sich Schmale beim Timing auf die Chartanalyse. Er handelt alle Anlageklassen, wobei er sich größtenteils auf Werte konzentriert, die nicht „Mainstream“ sind. Diese Märkte sind weniger effizient als andere und ermöglichen so hohes Renditepotenzial. Sie sind damit allerdings auch spekulativer als hochliquide Märkte. Die Haltedauer einzelner Positionen variiert nach Anlageklasse, beträgt jedoch meist mehrere Tage, oft auch Wochen oder Monate.

Rohstoffe, Währungen und Volatilität handelt er aktiv, in Aktien und Anleihen investiert er eher langfristig. Die Basiswerte werden direkt – auch über Futures – oder über CFDs gehandelt, in Ausnahmefällen über Optionen und Zertifikate.

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