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13:20 Uhr, 25.11.2003

K: Kein Defizitverfahren gegen Deutschland

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Kein Defizitverfahren gegen Deutschland

1. Die Eurogruppe des Rates der Finanz- und Wirtschaftsminister der EU hat sich gegen die Forderungen der EU-Kommission gestellt und will das Defizitverfahren gegen Deutschland und Frankreich nicht wieder eröffnen. Für die Forderungen der Kommission waren lediglich Spanien, Finnland, Österreich und die Niederlande. Statt dessen spricht die Eurogruppe lediglich eine Empfehlung für die Fiskalpolitik der beiden Länder aus. Danach sollen Frankreich sein Defizit um 1 Mrd. Euro statt der geforderten 6 Mrd. Euro und Deutschland um 13 Mrd. Euro statt 17 Mrd. Euro reduzieren. Dies entspricht den Vorschlägen des deutschen Finanzministers Eichel, der in 2004 das konjunkturbereinigte (auch strukturell genanntes) Haushaltsdefizit um 0,6 % und in 2005 um 0,5 % zu verringern. Aber auch diese Einsparungen brauchen nur bei Erreichung des unterstellten Wirtschaftswachstums erreicht zu werden. Dafür sollen die Länder bei stärkerem Wachstum auch mehr Einsparungen vornehmen. Bereits in 2002 konnte Deutschland einen Beschluss des Ecofin-Rates mit dem Versprechen verhindern, 2002 die Defizitgrenze einzuhalten und 2004 einen nahezu ausgeglichenen Haushalt vorzulegen. In 2002 wurde dann ein Defizit von 3,5 % erreicht, für 2004 erwarten wir nun ein Defizit von 3,6 %. Die Eurogruppe, die heute Nacht zu der dargestellten Position gekommen ist, besteht aus den Wirtschafts- und Finanzminister der EU, deren Länder an der Währungsunion teilnehmen. Sie treffen sich regelmäßig kurz vor dem gemeinsamen Treffen aller Wirtschafts- und Finanzminister (Ecofin-Rat) und bereiten wichtige Entscheidungen vor, die die Währungsunion betreffen. Ein offizieller Beschluss findet aber erst heute auf dem Ecofin-Treffen statt. Bei Entscheidungen, die das Defizitverfahren des SWP betreffen, haben die Minister der Euro-Outs kein Stimmrecht. Der heute Nacht beschlossene "Kompromiss" ist damit als endgültig anzusehen.

2. Die heutigen Entscheidungen stellen keinen Bruch des Stabilitäts- und Wachstumspaktes (SWP) dar. Sie entsprechen jedoch auch nicht seinem Geist. Der Pakt büßt dadurch an Glaubwürdigkeit ein. Der SWP droht nun zu einem reinen Schönwetterpakt zu schrumpfen; denn ein Defizitkriterium, das nur im konjunkturellen Boom gilt, ist sinnlos. Die Nachhaltigkeit der Fiskalpolitik zeigt sich daran, dass sie auch in längeren Schwächephasen manövrierfähig bleibt. Die Nichtanwendung des Sanktionsmechanismus könnte dazu führen, dass auch die bislang stabilitätsorientierten Länder in dem SWP keinen bindenden Rahmen für die Fiskalpolitik in der Währungsunion mehr sehen. Dies brächte mehrere Probleme mit sich. A) Der Währungsunion würde die fiskalpolitische Disziplinierung fehlen. Auch wäre der langfristige Erfolg der Währungsunion unsicherer. Beides würde eine Erhöhung der Risikoprämien an den Finanzmärkten mit sich bringen, die die Finanzierungsbedingungen in der EWU für alle Mitgliedsstaaten verschlechterten. B) Die Diskussion um die EWU-Beitritte der osteuropäischen Staaten würde schwieriger. Es stünde zu befürchten, dass die 3 %- Defizitgrenze und das 60 %-Schuldenstandskriterium des Maastricht-Vertrages bei zukünftigen Erweiterungen des Währungsgebietes noch weniger strikt als bislang angewendet werden. Dies würde die Heterogenität des Währungsraumes erhöhen, die Stabilität verringern oder bereits im Vorfeld eine Erweiterung der EWU verhindern. C) Ein Aufweichen des SWP wird häufig damit gerechtfertigt, dass der Pakt verbessert werden könne. Die Gefahr in einer Aufhebung des SWP oder Änderungsversuchen liegt zum einen in dem Vakuum an fiskalpolitischer Disziplinierung, das beides für die folgenden Jahre bedingte, und darin, dass ein neuer ggf. sogar "intelligenterer Pakt" mit dem Makel behaftet wäre, dass der erste fiskalpolitische Disziplinierungsversuch genau im Krisenfall von den großen Mitgliedstaaten gebrochen wurde. Dies nähme aber auch einem neuen Pakt im Vorfeld die Glaubwürdigkeit.

3. Die November-Monatsberichte der EZB und der Bundesbank sowie die erste Pressekonferenz von Präsident Trichet enthalten klare Worte zur Fiskalpolitik und dem Stabilitäts- und Wachstumspakt. Diese unterstreichen, dass der SWP die Glaubwürdigkeit des institutionellen Rahmens der Währungsunion mitbestimmt. Er fördere zudem das Wachstum in der Eurozone, da er das Vertrauen in die langfristigen Entwicklungen der Fiskalpolitik stärkt und die Kapitalmarktrenditen niedrig hält. Höhere Investitions- und Konsumtätigkeit wären eine positive Folge. Mit der anstehenden Aufweichung des SWP muss mit einer geringeren Bereitschaft der EZB gerechnet werden, die Leitzinsen noch eine lange Zeit auf dem derzeitig niedrigen Niveau zu halten Wir diskutieren in den weiteren Abschnitten dieses Papiers daher, welchen Sinn der SWP überhaupt hat und überprüfen die Stichhaltigkeit der gegen ihn vorgebrachten Kritikpunkte.

4. Problem Haushaltsdefizite. Eine gemeinsame Währung führt zu einer gemeinsamen Geldpolitik, da die Leitzinsen für alle Länder gleich sind. Sie führt aber nicht zu einer gemeinsamen Fiskalpolitik der zwölf EWULänder. Die Geldpolitik ist jedoch kein von der Fiskalpolitik unabhängiger Spieler. Bei gegebenem Potenzialwachstum einer Volkswirtschaft und ohne Inflationsdruck zu erzeugen, kann die Geldpolitik desto stärker expansiv sein, je weniger expansiv die Fiskalpolitik wirkt. Je stabilitätsorientierter die Fiskalpolitik ist, desto niedriger kann die Zentralbank die Leitzinsen halten. In einer Währungsunion mit souveränen Staaten, die ihre Fiskalpolitik selbst bestimmen, kann dies zu Interessenskonflikten zwischen den einzelnen Ländern führen. Erhöht ein Land seine Ausgaben oder senkt es seine Steuern, dann steigt sein Haushaltsdefizit. Die dafür meist notwendige Aufnahme neuer Kredite belastet tendenziell den in einer Währungsunion gemeinsamen Kapitalmarkt. Dadurch erhöht sich das Zinsniveau für alle Länder der Währungsunion, da sie auf dem gleichen Markt um Kapital konkurrieren. Die expansive Fiskalpolitik eines Landes führt überdies unter bestimmten Bedingungen dazu, dass sich die Inflationsraten in diesem Land erhöhen und über den Exportnachfrageimpuls auch in anderen Ländern. Damit steigen die Inflationsgefahren für die Währungsunion insgesamt, sodass die Zentralbank mit höheren Leitzinsen reagieren müsste. Länder, deren Fiskalpolitik weniger expansiv ist, haben den Nachteil höherer Leitzinsen und eines höheren Renditeniveaus am Kapitalmarkt.

5. Problem Staatsverschuldung. Eine über Jahre zu expansive Fiskalpolitik führt zu einer hohen Schuldenstandsquote in Relation zum Bruttoinlandsprodukt (BIP). Im Extremfall kann eine Überschuldung einzelner Länder die Folge sein. Man mag zwar einwenden, dass die EWU-Länder derzeit noch gute Schuldner seien, die kommenden Jahrzehnte und die ungelösten demographischen Probleme zusammen mit den bereits seit Jahren strukturell defizitären Haushalten, könnten daran aber zukünftig etwas ändern. Bei einer schrumpfenden Bevölkerung erhöht sich die Prokopfverschuldung nämlich automatisch, auch wenn keine Haushaltsdefizite vorliegen. Der SWP setzt hier an. Er verhindert die Überschuldung und beugt damit dem politischen Druck vor, die reale Belastung überbordender Staatsschulden durch Inflation abzubauen.

6. Ist die Kritik am SWP berechtigt? Der SWP wird mit neun Hauptkritikpunkten konfrontiert:

Kritikpunkt 1: Der Markt schafft es allein. Dieses Argument beinhaltet die Gedanken, dass (a) die Regierungen ein eigenes Interesse daran haben, eine solide Fiskalpolitik zu implementieren, da (b) der Kapitalmarkt Länder, die eine unsolidere Fiskalpolitik betreiben, mit höheren Zinsen bestrafe. Der SWP wäre dann gar nicht mehr notwendig. Zunächst zu Teilargument (a): Die Praxis in der EWU zeigt, dass Politiker mit Blick auf die nächsten Wahlen in der kurzen Frist optimieren und nicht zwingend auf die langfristige Zahlungsfähigkeit ihrer Länder achten. Teilargument (b) vernachlässigt, dass die Anleihen der einzelnen Länder einer Währungsunion für international investierende Anleger zu der gleichen Vermögensklasse gehören. Sie sind auch deshalb enge Substitute, da die Märkte implizit eine gegenseitige Haftung der Staaten untereinander unterstellen. Dies führt dazu, dass ein hoher Bestand an Anleihen eines Landes sich auch auf die Finanzierungskosten der anderen Länder auswirkt. Der risikolose Realzins steigt daher für alle. Schaubild 1 zeigt, dass sich die Konvergenz der Kapitalmarktzinsen der einzelnen EWU-Länder auch nach Beginn der Währungsunion fortgesetzt hat. Die bereits niedrigen Zinsdifferenzen, die zu Anfang 1999 schon bestanden hatten, haben sich weiter verringert. Es ist nicht auszumachen, dass Länder, deren Fiskalpolitik sich relativ zu anderen Ländern verschlechtert hat, eine Ausweitung der Zinsdifferenz erfuhren. Schaubild 2 und Tabelle 1 (Anhang) bestätigen, dass auch das aktuelle Haushaltsdefizit in keinem Verhältnis zu den aktuellen Zinsdifferenzen steht. Eng damit verbunden ist der nächste Kritikpunkt, der auch einen nicht funktionierenden Marktmechanismus zur Disziplinierung der Fiskalpolitik beinhaltet. Im Unterschied zu dem auf die laufenden Defizite abzielenden ersten Kritikpunkt hat der zweite Kritikpunkt die kumulierten Defizite, d.h. die Staatsverschuldung im Visier.

Kritikpunkt 2: Die No-bail-out-Klausel bietet ausreichenden Schutz vor unsolider Fiskalpolitik. Der Maastricht-Vertrag verbietet, dass die Mitgliedsstaaten und die Gemeinschaft als Ganzes die Haftung für Staatsschulden anderer Länder übernehmen. Dies ist keine glaubwürdige Klausel für eine Währungsunion. Dies wird auch am Kapitalmarkt so gesehen, wie Schaubild 3 und Tabelle 1 (Anhang) zeigen, denn die Höhe der Staatsschulden und die Zinsdifferenzen stehen in keinem systematischen Zusammenhang. Es ist in einer Währungsunion aus zwei Gründen kaum vorstellbar, dass im Risikofall keine Möglichkeit gefunden würde, einem Krisenland zu helfen, seine Zahlungsverpflichtungen zu erfüllen. Erstens, aufgrund der starken Handelsverflechtungen haben alle EWU-Mitglieder ein Interesse daran, dass sich eine mögliche Schuldenkrise eines Landes in der EWU nicht zu einer Banken- und Finanzmarktkrise in der gesamten EWU ausweitet. Zweitens, auch bei einem Zahlungsausfall eines Landes würden alle Länder durch die steigenden Risikoprämien für ihre Schulden und eine schwächere Währung bestraft. Internationale Anleger würden Anleihen aus der Eurozone aufgrund des erlebten Zahlungsausfalls und des erwarteten, aber nicht realisierten Bail-outs als risikoreicher ansehen und ihr Kapital aus der Vermögensklasse tendenziell zurückziehen. Diese Art von "Ansteckungseffekten" war in den vergangenen Jahren bei Finanzmarktkrisen immer zu beobachten. Höher verschuldete Länder tragen die Lasten ihrer Schulden folglich nicht allein und werden nicht allein durch höhere Risikoprämien bestraft.

Kritikpunkt 3: Die 3 %-Defizitgrenze ist willkürlich. Einen theoretisch ermittelbaren optimalen Grenzwert für die Defizitgrenze gibt es nicht, auch wenn es bei Ausgestaltung des Maastricht-Vertrages Gründe für die Höhe von 3 % gab. Ob beispielsweise 2,5 %, 2,9% oder 3,1 % bessere Grenzwerte wären, ist nicht zu sagen. Wichtig ist nur, dass ein Grenzwert quantifiziert wird. Denn ohne quantitativen Grenzwert wird die Einhaltung eines fiskalpolitischen Rahmens weder messbar noch überprüfbar. Die aktuelle politische Diskussion zeigt bereits, mit wie viel Finesse Politiker von fiskalpolitisch unsolideren Staaten versuchen, Schlupflöcher im SWP zu finden, um ihre Fiskalpolitik zu rechtfertigen. Wichtig ist auch, dass sich alle Mitglieder verbindlich auf einen Grenzwert einigen. Dies ist mit Unterzeichnung des SWP geschehen. Der Kritikpunkt läuft daher ins Leere.

Kritikpunkt 4: Kritisiert wird insbesondere im angelsächsischen Raum, dass der SWP dazu führt, dass Staaten in konjunkturell schwächeren Zeiten zusätzlich sparen müssen. Bei schwacher Konjunktur solle der Staat statt dessen seine Ausgaben ausweiten und Steuern und Abgaben senken, um bei starker Konjunktur das Gegenteil zu tun. Zum einen ist es unter den meisten Ökonomen unstrittig, dass die diskretionäre Fiskalpolitik ein ungeeignetes Mittel ist, einen normalen Konjunkturzyklus zu glätten. Statt dessen werden automatische Stabilisatoren in das Steuer- und Sozialtransfersystem eingebaut. Das gewichtigere Gegenargument ist aber, dass der SWP gar nicht besagt, dass Staaten in Abschwungphasen zusätzlich sparen sollen. Im Gegenteil sollen die Länder in konjunkturell guten Zeiten ihre strukturellen Defizite beseitigen, sodass sie in Abschwungphasen genügend fiskalpolitischen Spielraum besitzen, mittels der Fiskalpolitik stabilisierend zu agieren. Die Staatshaushalte müssen nur über einen gesamten Konjunkturzyklus ausgeglichen sein. Die Stabilitätsprogramme sehen als Zwischenziele folglich auch immer nur eine Verbesserung der strukturellen - d.h. konjunkturell bereinigten - Defizite vor. Dies wird häufig übersehen, da das 3 %-Defizitkriterium auf das absolute (=strukturelles + konjunkturelles) Defizit abstellt. Auch diese Regelung ist sinnvoll, denn das strukturelle Defizit ist zeitnah weder genau zu messen noch zu steuern. Es gäbe damit keinen klaren Grenzwert, bei dem der Sanktionsmechanismus greifen würde. Die aktuellen Probleme rühren allein daher, dass viele Länder ihr Wachstumspotenzial permanent überschätzen. Sie gehen in guten Zeiten davon aus, dass diese sich immer weiter fortsetzen werden und bereinigen ihre strukturellen Defizite nicht. Insbesondere haben sie ihre Haushalte nicht ausreichend für den Fall einer mehrjährigen Stagnation vorbereitet. Dies muss als Versäumnis der Fiskalpolitik, nicht als Schwäche des Paktes angesehen werden. Der SWP lässt den nationalen Regierungen den Spielraum, selbst zu entscheiden, wie sie ihre Fiskalpolitik gestalten, solange sie unter der 3-%-Defizitgrenze bleiben. Würde er ihnen mehr Spielraum in Schwächephasen geben, müsste er ihnen den Spielraum in Stärkephasen nehmen, damit sichergestellt wird, dass der Haushalt über den Konjunkturzyklus insgesamt ausgeglichen ist. Im Sinne einer souveränen nationalen Fiskalpolitik wäre dies nicht und politisch damit unmöglich durchzusetzen.

Kritikpunkt 5: Der SWP ist viel zu rigide und beachtet die besonderen Konjunkturumstände nicht. Dieses Argument wird meist in Unkenntnis des SWP genannt. Tatsächlich gibt es Ausnahmeregelungen, bei denen ein Verfahren nicht eingeleitet werden muss. Bei starken Konjunktureinbrüchen, d.h. Rückgängen des realen BIP von über 2 %, gilt die 3 % Defizitgrenze nicht. Bei Rückgängen zwischen 0,75 % und 2 % bzw. Naturkatastrophen kann der Ecofin-Rat ebenfalls einen schwerwiegenden Wirtschaftsrückgang feststellen, sodass der Sanktionsmechanismus nicht angewendet werden muss. Auch führt nicht eine einmalige Verfehlung des 3 %-Defizitkriteriums sofort zu einer Sanktion oder einer Geldbuße (s. den Anhang für eine Darstellung des Sanktionsmechanismus). Bleibt beispielsweise das Land im folgenden Jahr unterhalb der 3 %-Grenze, wird das Verfahren beendet; wenn dies absehbar ist, wird das Verfahren sogar erst gar nicht eröffnet. Der SWP ist folglich durchaus flexibel genug.

Kritikpunkt 6: Die im Sanktionsfall zunächst verhängte unverzinsliche Einlage erhöht die fiskalpolitischen Probleme noch und macht es schwerer, den SWP einzuhalten. Dies ist nicht der Fall, da die dadurch entstehende Haushaltslücke nicht auf die 3 %-Grenze angewendet wird. Kosten entstehen allerdings durch die Zinszahlungen einer zusätzlichen Kreditaufnahme zur Finanzierung der unverzinslichen Einlage. Beträgt das Haushaltsdefizit beispielsweise 4 % und liegen die Zinsen bei 5 %, so ergeben sich nach einem Jahr zusätzliche Finanzierungskosten in Höhe von 0,015 % des BIP. Für das Erreichen der 3 %-Defizitgrenze ist dies praktisch kaum von Relevanz.

Kritikpunkt 7: Die 3 %-Defizitgrenze sollte Staatsausgaben in Infrastrukturobjekte ausklammern, da diese produktive Investitionen sind. Auch Investitionen im Bereich Forschung, Ausbildung und Erziehung sollten nicht angerechnet werden. Dieser Vorschlag wurde u.a. von der Vorsitzenden des Wirtschafts- und Finanzausschusses des EU-Parlament, Christa Randzio-Plath, in einer Presseerklärung am 17. November 2004 gemacht. Es geht darum, die Struktur der Staatshaushalte zu qualifizieren. Investitionsorientierte Staatshaushalte hätten eine höhere Qualität als konsumorientierte. Investitionen sollten tatsächlich eine positive Rendite erwirtschaften und sind daher als positiv anzusehen. Werden die Investitionen aber auf der Staatsausgabenseite herausgerechnet, müssten ihre fiktiven Erträge - oder zumindest die erwirtschafteten Abschreibungen - auch auf der Staatseinnahmenseite herausgerechnet werden. Des Weiteren gilt die 3 %- Grenze für das Defizit inklusive Investitionen. Es müsste folglich gesenkt werden, wenn Investitionen nicht berücksichtigt werden sollen. Das wirkliche Problem des Vorschlags liegt aber in seiner kaum vorstellbaren Umsetzung. Ein riesiger bürokratischer Aufwand wäre notwendig, um genau zu klassifizieren und unterjährig zu überprüfen, welche Staatsausgaben konsumtiv und welche investiv sind. Ähnlich der jetzigen politischen Diskussion wäre im Fall, bei dem einem Land ein Defizitverfahren droht, eine Wiederaufnahme der Debatte sicher. Politiker würde erneut den Pakt für "dumm" erklären, da er nicht berücksichtige, dass diese oder jene Staatsausgabe eher investiven als konsumtiven Charakter hätte. Dies müsse zusätzlich berücksichtigt werden, sodass eine Verletzung des Defizitkriteriums nicht gegeben wäre. Es ist zu befürchten, dass es den Initiatoren des Vorschlages gar nicht darum geht, dem Geist des Paktes zu folgen und eine nachhaltige Fiskalpolitik zu erreichen, sondern darum, immer neue Ausnahmeregeln zu erfinden, die höhere, defizitfinanzierte Staatsausgaben rechtfertigen können.

Kritikpunkt 8: Der SWP impliziert langfristig eine Schuldenquote von Null. Als eine weitere Begründung für das SWP-Ziel eines mittelfristig nahezu ausgeglichenen oder einen Überschuss aufweisenden Haushalts wird von Befürwortern des SWP das demographische Problem in Europa genannt. Wenn das Ziel nämlich erreicht wird, würde mittelfristig die Staatsverschuldung in Prozent des nominalen BIP sinken, da das nominale BIP aufgrund von positiven Inflationsraten und realem Wachstum weiter wächst. Beispielsweise würde sich bei einem realen Wachstum von durchschnittlich 2 % und Inflationsraten von 2 % die Schuldenquote eines Landes in 18 Jahren halbieren, wenn der Haushalt im Durchschnitt ausgeglichen ist. Die Zinsbelastung der Staatshaushalte sänke damit, sodass zur Finanzierung zukünftiger Renten mehr Steuermittel zur Verfügung stünden. Kritiker könnten nun bemängeln, dass in den nächsten 30-50 Jahren eine niedrige Staatsverschuldung vorteilhaft ist, es aber fraglich bliebe, ob eine gegen Null konvergierende Schuldenquote auch danach optimal ist. Wir verstehen diesen Kritikpunkt, sind jedoch der Ansicht, dass hypothetische Entwicklungen, die erst die zweite Hälfte dieses Jahrhunderts betreffen, für die aktuelle Diskussion keine praktische Relevanz haben sollten.

Kritikpunkt 9: Der Bock wird zum Gärtner gemacht. Dies ist ein berechtigter Kritikpunkt. Statt automatisierten Sanktionen darf der Rat der Wirtschafts- und Finanzminister (Ecofin-Rat) über die Einhaltung des SWP selbst entscheiden. Zwar ist das Land nicht stimmberechtigt, über dessen Haushaltsdefizit beraten werden muss. Es dürfen aber der deutsche Finanzminister über das französische Defizit und der französische über das deutsche Defizit abstimmen. Haben, wie im aktuellen Fall, beide das gleiche Haushaltsproblem, können Koalitionen entstehen, die ein regelgemäßes Sanktionsverfahren verhindern.

7. Fazit: Der Stabilitäts- und Wachstumspakt sollte so bleiben wie er ist. Die Diskussion der Kritikpunkte hat gezeigt, dass die Argumente für ein Aufweichen des SWP einer Überprüfung nicht standhalten. Zwar ist es bedauerlich - und die heutigen Entscheidungen der Eurogruppe unterstreichen das Problem - , dass der Ecofinrat über Sanktionen selbst entscheiden kann (Kritikpunkt 9) und dass es keine Sanktion für den Fall gibt, dass ein Land in der Hochkonjunktur keinen Haushaltsüberschuss aufbaut. Beides würde aber eher für einen schärferen SWP als eine Lockerung sprechen.

Der Kompromissvorschlag der EU-Kommission hätte vom Ecofinrat akzeptiert werden sollen. Die EUKommission hat einen sehr pragmatischen Vorschlag für die Defizitverfahren gegen Deutschland und Frankreich gemacht. Danach hätten beide Länder in 2004 zusätzliche Sparanstrengungen unternehmen müssen, die Defizite aber erst in 2005 unter die 3-%-Defizitgrenze zu drücken brauchen. Für diesen Kompromissvorschlag sprach, dass die Konjunkturprognosen für das nächste Jahr gar nicht so schlecht sind. Aber selbst wenn es der falsche Zeitpunkt zum Sparen wäre, wäre eine Anwendung des SWP das richtige Signal. Kosten treten durch die zu expansive Fiskalpolitik nämlich in jedem Fall auf, wie die Diskussion um die Beziehung von Fiskalpolitik und Geldpolitik gezeigt hat. Es stellt sich nur die Frage, ob die Kosten stärker bei den Ländern auftreten sollen, die die Ziele des SWP eingehalten haben, oder bei denen, die dies nicht getan haben. Überraschen dürften die fiskalpolitischen Probleme die Regierenden jedenfalls nicht. Bereits im EZB-Monatsbericht Mai 1999 (S. 49-80), in dem die EZB die Umsetzung des SWP darstellte, wies sie darauf hin, dass einige Länder sich nicht ausreichend um eine Konsolidierung der Haushalte bemühen und Wirtschaftsprognosen erstellen, die sich als zu optimistisch herausstellen könnten. Das Aufweichen des SWP bringt die Gefahr mit sich, dass die EZB sich genötigt sieht, ihre Leitzinsen schneller zu erhöhen. Die größten gesamtwirtschaftlichen Kosten liegen aber in einer institutionellen Schwächung der EWU.

>>>[Link "Die gesamte Studie und die Schaubilder können Sie hier downloaden!" auf www.boerse-go.de/... nicht mehr verfügbar]

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