IW: 2024 droht Rekordstreikjahr zu werden
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Von Andreas Kißler
BERLIN (Dow Jones) - Wenn in den noch ausstehenden Tarifrunden ähnlich hart verhandelt wird wie in den ersten Monaten dieses Jahres, droht 2024 nach neuen Zahlen des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) "ein Rekordstreikjahr zu werden". Deutschland befinde sich "im Dauerstreik", erklärte das arbeitgebernahe Institut. Gleich mehrere Streiks hätten allein in der vergangenen Woche stattgefunden. "Züge standen wieder still, Flugzeuge blieben am Boden und Postbankfilialen geschlossen." Auch in anderen Branchen liefen aktuell Tarifverhandlungen. So gebe es bisher noch keine Einigung im Einzelhandel, den Universitätskliniken oder dem Baugewerbe.
Das IW hat nach eigenen Angaben berechnet, dass die Konflikte in den ersten Monaten dieses Jahres im Schnitt bereits einen Wert von 4,3 auf der Eskalationsskala erreicht hätten. Die siebenstufige Skala gebe an, bis zu welcher Stufe sich ein Konflikt zugespitzt hat: Von Stufe 0, in der am Tisch verhandelt wird bis zur Stufe 7, in der gestreikt wird. Je nachdem, wie sich diese und neue Konflikte entwickelten, könnte dies den Wert im Jahresverlauf noch beeinflussen, schließlich ständen in der ersten Jahreshälfte weitere wichtige Verhandlungen in zentralen Branchen wie in der Chemie- und der Druckindustrie an. Zum Vergleich habe im gesamten Jahr 2023 die Eskalation bei 3,0 gelegen, was der höchste Wert gewesen sei, der seit 2000 gemessen wurde.
Auch die Konfliktintensität - die Summe aller im Laufe einer Tarifverhandlung genutzten Konflikthandlungen - sei mit durchschnittlich 11,3 Punkten für den Zeitraum 1. Januar bis 11. März 2024 sehr hoch. Mit Blick auf die weiteren Verhandlungen und auf die noch ausstehenden Tarifrunden könne sich auch dieser Wert noch verändern. Am konfliktreichsten sei es bis Anfang März bei der Lokführergewerkschaft GDL zugegangen, hier ergebe sich ein Wert von 38 Punkten, gefolgt vom Lufthansa-Bodenpersonal mit 22 und den Eurowings-Discover-Piloten mit 16 Punkten.
Um Eskalationen zukünftig besser einzudämmen, müssten die Spielregeln von Tarifauseinandersetzungen überprüft werden, forderte IW-Tarifexperte Hagen Lesch. Eine Möglichkeit könnte eine obligatorische Schlichtung sein. "Der Streik ist das letzte Mittel in Tarifauseinandersetzungen und muss es auch bleiben", sagte er. Darüber hinaus sei es unverzichtbar, Streiks rechtzeitig anzukündigen, um eine Notfallversorgung sicherzustellen. Die Tarifparteien sollten daher feste Schlichtungsverfahren etablieren. Täten sie das nicht, werde der Gesetzgeber darüber nachdenken müssen.
Kontakt zum Autor: andreas.kissler@wsj.com
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