Ist die Demokratie in Gefahr?
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Am Mittwoch sollen Bundestag und Bundesrat nach dem Wunsch von Union und SPD das "Dritte Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite beschließen". Kritik an dem Gesetz kommt nicht nur von Gegnern der Corona-Maßnahmen, sondern auch von Verfassungsrechtlern. Mehr als 200.000 Menschen haben zudem innerhalb weniger Tage bereits eine Online-Petition unterzeichnet, mit der das Gesetz noch gestoppt werden soll.
Die Kritik an dem neuen Gesetz ist in weiten Teilen gerechtfertigt. Denn mit dem Gesetz wird die aktuelle Realität, in der Kanzlerin und Ministerpräsidenten völlig ohne Zustimmung der Parlamente weitereichende Grundrechtseingriffe beschließen können, gewissermaßen für die Dauer der Pandemie zementiert und auf eine neue rechtliche Grundlage gestellt. Denn die bisherige rechtliche Grundlage war nach Einschätzung vieler Gerichte sowie von Experten mehr als löchrig.
Durch das Gesetz wird ein neuer Paragraph 28a im Infektionsschutzgesetz eingefügt, in dem explizit aufgeführt wird, was Bundes- und Landesregierungen alles ohne parlamentarische Zustimmung künftig zum Schutz vor einer Ansteckung mit Covid-19 beschließen sollen dürfen. Auch wenn ein Großteil davon bereits bisher Realität war, liest sich diese Auflistung doch wie ein "Instrumentarium des Schreckens":
Die Auflistung ist nicht einmal abschließend, denn das Gesetz lässt die Hintertür offen, dass auch noch andere Einschränkungen beschlossen werden können. Die Maßnahmen sollen solange von den Regierungen ohne Parlament beschlossen werden dürfen, solange der Bundestag feststellt, dass weiter eine "epidemische Lage von nationaler Tragweite" vorliegt.
Zu den grundlegenden Spielregeln einer Demokratie gehört, dass weitreichende Entscheidungen nicht nach Gutdünken von einer Regierung, sondern nach einer breiten gesellschaftlichen Diskussion vom Parlament, also den gewählten Volksvertretern, beschlossen werden. Ganz besonders gilt das für Entscheidungen, mit denen die in der Verfassung verbürgten Grundrechte ausgehebelt werden. Doch durch das neue Gesetz erhält die Exekutive gewissermaßen eine Blankovollmacht, immer die Maßnahmen zu beschließen, die sie gerade für angemessen hält. Für konkrete Beschlüsse, wie sie Bundeskanzlerin und Ministerpräsidentin wohl auch in der kommenden Woche wieder fassen werden, ist keine Zustimmung des Parlaments mehr notwendig.
In Deutschland gilt eigentlich ein Gesetzesvorbehalt: Grundrechtseingriffe dürfen nur auf Basis eines Gesetzes, nicht aber durch Verordnungen der Regierung beschlossen werden. Im Infektionsschutzgesetz wird das bisher schon und auch künftig dadurch umgangen, dass einfach im Gesetz Bundes- und Landesregierungen dazu ermächtigt werden, im Rahmen von Verordnungen die Grundrechte einzuschränken. Ob dies zulässig ist, daran gibt es große Zweifel. Zumindest aber widerspricht es dem freiheitlichen Geist des Grundgesetzes, wonach Grundrechtseingriffe eben nur vom Parlament, nicht aber von der Regierung beschlossen werden dürfen. Und zwar nur ganz konkret und nicht allgemein.
Das Gesetz soll am Mittwoch ohne große gesellschaftliche Debatte von Bundestag und Bundesrat durchgewunken werden. Sogar die Parlamentarier wurden lange Zeit im Dunkeln gelassen. "Die zuständigen Ausschüsse im Bundestag erhielten das Gesetz am Montag erst kurz vor Beginn der Sitzung", berichtete das ZDF. Anschließend gab es sogar noch Änderungsanträge am eigenen Gesetz. Am Mittwoch soll bereits abgestimmt werden. Wie in der Finanzkrise will die Regierung eine breite parlamentarische und gesellschaftliche Debatte verhindern und im Rahmen von Nacht- und Nebel-Aktionen Gesetze durchs Parlament peitschen. Das weckt Misstrauen und widerspricht klar den demokratischen Gepflogenheiten.
Es bleibt zu hoffen, dass am Mittwoch genügend Parlamentarier ihrem Gewissen folgen und die eigene Entmachtung in Sachen Pandemiebekämpfung nicht hinnehmen werden. Durch die Einschränkung von Grundrechten bekämpft man kein Virus.