Kommentar
13:25 Uhr, 01.04.2015

Irrtümer zur Deflation

  • Zwei populäre Thesen zur Deflation: Sie kommt relativ selten vor. Wenn sie aber auftritt, ist sie eine Katastrophe.
  • Beides ist falsch. In Zukunft wird es häufiger sinkende Preise geben. Sie sind aber ge-samtwirtschaftlich nicht so schlimm.
  • Für Anleger können es sogar gute Nachrichten sein. Deflationen beflügeln Aktien- und Rentenmärkte.

Es gibt zwei Thesen zur Deflation, die man in diesen Ta­gen immer wieder hört. Die eine ist, dass sinkende Prei­se in einer Volkswirtschaft relativ selten vorkommen. Man muss sie also nicht so ernst nehmen. Die andere ist, dass Deflationen wenn sie denn kommen, gesamt­wirtschaftlich eine Katastrophe bedeuten, die unbedingt verhindert werden muss. Die EZB gibt derzeit über EUR 1.000 Mrd. aus, damit es im Euro keine Deflation gibt.

Beide Thesen sind typische Fallstricke ökonomischen Denkens. Sie klingen plausibel, sind aber falsch.

Zur ersten These. Tatsächlich war Deflation in der Ver­gangenheit selten. In den letzten sechzig Jahren war die Preissteigerung in Deutschland in gerade mal 2 % aller Fälle negativ (siehe Grafik). Das heißt aber nicht, dass das auch so bleiben wird. Es gibt nämlich eine Reihe von Gründen, dass die Preissteigerung in Zukunft häu­figer unter Null fällt.

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Ein Argument ist das langsamere Wachstum in der Welt. Wenn die Wirtschaftsleistung nur noch um 1 % bis 2 % pro Jahr zunimmt, ist es wahrscheinlicher, dass die Preissteigerung "an der Null kratzt" als wenn sie um 3 % und mehr expandiert.

Das gleiche gilt für die Geldentwertung. Die Zentralban­ken haben heute weltweit niedrigere Stabilitätsziele. Je näher die Preissteigerung aber an Null kommt, umso größer die Wahrscheinlichkeit, dass sie vorübergehend negativ wird.

Währungsunionen verstärken diesen Trend. Weil es dort keine Wechselkursveränderungen gibt, können Defizit­länder ihre Wettbewerbsfähigkeit nur durch unterdurch­schnittliche Lohn- und Preissteigerungen wieder zurück­gewinnen. Das ist die "interne Anpassung". Wenn dann die Inflation der Union insgesamt bei 2 % liegt (oder da­runter), dann sind Preissteigerungen von unter Null in Defizitländern kaum zu vermeiden. Das ist das, was wir derzeit in Südeuropa beobachten. Die Deflation dort ist kein Zeichen der Krise (und wird von der Bevölkerung auch nicht so empfunden). Es signalisiert eher Fort­schritte auf dem Weg der Gesundung.

Schließlich: Viele Menschen sind unzufrieden mit der gegenwärtigen Geldverfassung, weil sie zu Unsicherheit und Krisen führt. Manche wünschen sich deshalb eine Goldwährung zurück. Dabei übersehen sie, dass es in einer Goldwährung zwangsläufig häufiger zu Deflationen kommt. Immer dann, wenn die gesamtwirtschaftliche Nachfrage zunimmt, das Angebot an Gold aber nicht vergrößert werden kann, müssen die Preise sinken. In den USA, wo die Goldwährung noch bis 1970 herrschte, gab es Jahrzehnte, in denen es genauso oft zu Deflation wie zu Inflation kam.

Die zweite These beruht ebenfalls auf der Historie. De­flation, so sagt man, führte in Japan zu zwei "verlorenen Jahrzehnten". In der Welt löste sie vor achtzig Jahren die größte Wirtschaftskrise aus, die es je gab. Auch das darf man freilich nicht so einfach in die Zukunft projizie­ren. Das, was in Japan und in der Weltwirtschaftskrise geschah, war zwar von sinkenden Preisen begleitet.
Es hatte aber ursächlich mehr mit wirtschaftspoliti­schen Fehlern zu tun als mit Deflation.

Der Chefvolkswirt der Bank für Internationalen Zah­lungsausgleich, Claudio Borio, hat dieser Tage die wohl umfassendste Studie zur Entwicklung der Deflation in der Welt vorgelegt. Sie betrifft 38 Länder und bezieht sich auf 140 Jahre. Dabei zeigt sich, dass sinkende Kon­sumgüterpreise keineswegs zwangsläufig zu rückläufi­gem Sozialprodukt führen. Das ist auch theoretisch plau­sibel. Sinkende Preise erhöhen die Kaufkraft und stär­ken damit den privaten Verbrauch als wichtigste Nach­fragekomponente. Dafür spricht auch die Erfahrung gegenwärtig in Europa. Ausgerechnet in der Zeit, in der die Preissteigerung unter die Nulllinie fiel, hat die Kon­junktur Fahrt aufgenommen.

Die Japaner, die zwanzig Jahre mit Deflation gelebt ha­ben und es daher wissen müssen, sehen sinkende Prei­se keineswegs negativ. Laut einer Umfrage der Bank of Japan äußerten sich 44 % der Befragten positiv zu De­flation und nur 20 % negativ (36 % waren unentschie­den). Gillian Tett schrieb dazu vor Kurzem in der Finan­cial Times "How deflation gave lower prices a bad name" (Wie Deflation niedrigeren Preisen einen schlechten Namen gab). Es ist also nur der Name, der schlecht ist, nicht die Sache selbst. Das hat sich bei uns nur noch nicht herumgesprochen.

Was schädlich ist, ist ein Rückgang der Vermögensgü­terpreise, vor allem im Bereich der Immobilien. Aber das nennt man normalerweise nicht Deflation. Davon sind wir im Übrigen derzeit glücklicherweise weit entfernt. Gefährlich ist auch, wenn es eine kumulative Abwärtsbe­wegung von Löhnen und Preisen gibt. Das hat es aber nicht einmal in den schlimmsten Zeiten in Japan gege­ben.

Für den Anleger

Lassen Sie sich von der Deflationsdebatte nicht verun­sichern. Deflation ist nicht so schlecht, wie viele meinen. Vor allem schadet sie nicht den Aktien- und Rentenkur­sen. Sie kann sie im Gegenteil beflügeln. In den USA sind die Aktienkurse in den wenigen Zeiten der Deflation nach dem Zweiten Weltkrieg nicht gefallen, sondern ge­stiegen. Sinkende Preise treiben die Rentenkurse. Es ist für den Investor daher keine schlechte Nachricht, wenn die Preise in Zukunft häufiger sinken als in der Vergan­genheit.

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2 Kommentare

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  • Brainbow
    Brainbow

    Sehr geehrter Herr Hüfner,

    zunächst ein mal danke für Ihren Artikel, den ich mit Interesse gelesen habe.

    Allerdings habe ich hierzu ein paar kritische Anmerkungen.

    Die zwei populären Thesen die Sie anführen sind keine Thesen sondern Fakten die absolut zutreffend sind. Ich vermute, dass Sie sich im Vorfeld des Artikel nicht genauer über die Definition von "Deflation" informiert haben.

    Unter Deflation versteht man einen allgemeinen, signifikanten und anhaltenden Rückgang des Preisniveaus für Waren und Dienstleistungen.

    Die Betonung liegt hierbei auf signifikant und anhaltend. Inflationsraten knapp unter der Null für ein, zwei oder drei Quartale sind hierbei nicht gemeint. Darüber hinaus wird von Waren und Dienstleistungen gesprochen, nicht nur Konsumgüter.

    Eine per Definition echte Deflation ist somit sehr selten und hat eben genau die Folgen die Sie in der zweiten "These" beschreiben. Ich möchte den Unterschied an einem kurzen Beispiel verdeutlichen.

    Wir leben im Jahr 2015 und in Ihrem Wohnzimmer steht eine ältere, schon etwas durchgesessene Couch, die aber gut und gerne noch zwei Jahre durchhalten würde. Die Ölpreise haben stark nachgegeben, Benzin ist günstig, den Heizöltank haben sie erst voll gemacht und dabei ordentlich Geld gespart. Sie haben einen festen Job, die Arbeitslosigkeit ist gering und Sie haben mehr Geld in der Tasche als ursprünglich geplant. Sie entscheiden sich schon jetzt eine neue Couch zu kaufen. Der springende Punkt ist hierbei, dass Sie in diesem Szenario was wir gerade tatsächlich vorfinden nicht davon ausgehen, dass die Preise für Waren und Dienstleistungen über längere Zeit und signifikant nach unten gehen.

    Versetzen wir uns ins Jahr 1930, Weltwirtschaftskrise, in die gleiche Situation. Die Preise in allen Bereichen sind bereits deutlich gefallen. Ihr Job steht auf der Kippe und sie haben nur ein paar Monatsgehäter an Erspartem. Sie entscheiden sich die Couch nicht vorzeitig zu ersetzen, da Sie davon ausgehen, dass in der prekären Wirtschaftslage die Preise weiter fallen werden. Sie müssen ihr Erspartes schützen und schieben den Kauf so lange auf wie möglich. --> Das Möbelhaus geht pleite, dieArbeitslosigkeit steigt weiter, es gibt noch weniger Konsumnachfrage etc. pp (Achtung überspitzt dargestellt)

    Es sind also nur die signifikanten und anhaltenden Preisrückgänge die zu einer Verhaltensänderung der Bevölkerung beim Konsum und somit zu einer echten Deflation führen (= Initiierung einer Negativspirale mit all ihren katastrophalen Auswirkungen). Die 2% der Fälle die Sie anführen in denen die Inflation kurzzeitig unter Null lag gehören hier sicher nicht dazu. Die positiven Effekte solcher kurzen Phasen niedriger Inflationsraten beschreiben Sie richtig, ziehen am Ende aufgrund einer falschen Definitionsgrundlage die absolut falschen Schlüsse.

    Brainbow

    19:59 Uhr, 01.04. 2015
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