Kommentar
08:59 Uhr, 09.03.2017

Irrationale Zuversicht?

Es ist fast zwei Jahrzehnte her, als der ehemalige Notenbankchef Alan Greenspan mit dem Begriff des “irrationalen Überschwangs” auf Überbewertungen bei Aktien hingewiesen hat.

Ähnlich könnte heute auf die Zuversicht verwiesen werden, mit der Anleger in fast irrationaler Weise auf kommende politische Veränderungen blicken und damit – einmal mehr – bei Risiken Scheuklappen aufsetzen.

Umfragen belegen, dass Vermögensverwalter US-Aktienquoten seit Jahresbeginn wieder leicht senkten, womit sich der Schluss aufdrängt, dass Privatanleger hinter der Aktienrally der vergangenen Monate stecken. Sie sind bereit, immer genau am Hoch einzusteigen, ohne eine Korrektur abzuwarten. Diese hat es an der Wall Street seit Monaten nicht mehr gegeben. Prämien für Depotabsicherungen sind auf ein tiefes Niveau gesunken, was den Schluss nahelegt, dass ein großer Teil der Buchgewinne der Rally auf keine Art abgesichert sind.

Das liegt auch daran, dass sich aktiv verwaltete Fonds einem enormen Performance-Druck stellen müssen. Viele Anleger greifen zu kostengünstigen ETFs und geben sich mit der Wertentwicklung des Index zufrieden, anstatt zu versuchen, einen Fondsmanager zu finden, der die Benchmark (den Index) schlagen kann. Um möglichst gut dazustehen, vermeiden Fondsmanager den Kauf von Absicherungen, da diese die Wertentwicklung schmälern würden. Am Ende des steilen Anstiegs seit der Trump-Wahl könnte also das Phänomen auftreten, dass plötzlich alle gleichzeitig zum Ausgang rennen. Ein blitzartiger Kursverfall wäre die Folge.

Am Ende könnten es wieder die Privatanleger sein, die die rote Laterne halten. Die Hoffnungen auf Trump sind auf einem hohen Niveau angekommen. Das ist insofern bemerkenswert, als dass sich die Kampagne im Wahlkampf zu zwei Dritteln auf die Neuverhandlung von Handelsabkommen stützte, um die Einnahmen zu generieren, die notwendig sein würden, um die Unternehmenssteuern zu senken und schnelle Abschreibungen für jene Unternehmen zu finanzieren, die Infrastrukturinvestitionen tätigen. Ansonsten muss alles schuldenfinanziert geschehen. Es ist bezeichnend, dass die erste Sitzung des Kongresses im neuen Jahr der Festlegung der Ausgabenseite des Haushalts bis zum Jahr 2029 galt. Es ist bereits jetzt das Hauptszenario der Republikaner, dass die Schuldenlast der amerikanischen Regierung in zehn Jahren auf 29 Billionen Dollar ansteigen wird. Nur bewilligt ist dies noch nicht.

Hierzu wird es notwendig sein, die Schuldengrenze erneut anzuheben. Ein Gesetz, das vor fast zwei Jahren von der Obama-Regierung beschlossen wurde und die Schuldengrenze technisch betrachtet außer Kraft setzte, wird am 15. März auslaufen. Dann steht Trump vor dem gleichen Problem, das vor zwei Jahren einen monatelangen lähmenden politischen Grabenkampf zur Folge hatte, geschlossene Ämter und Behörden inklusive. Wer auf eine schnelle Umsetzung der Wahlversprechen Trumps spekuliert, muss auf eine schnelle Anhebung der Schuldengrenze hoffen und darauf setzen, dass es Washington gutheißt, dass die Schulden der US-Regierung demnächst in schnellen Schritten die 20-Billionen-Grenze überschreiten werden. Dass die Börsen darüber bislang überhaupt nicht nachgedacht haben, ist erstaunlich - vielleicht sogar irrational erstaunlich und bedarf einer baldigen Korrektur.

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Über den Experten

Jochen Stanzl
Jochen Stanzl
Chefmarktanalyst CMC Markets

Jochen Stanzl begann seine Karriere in der Finanzdienstleistungsbranche als Mitbegründer der BörseGo AG (jetzt stock3 AG), wo er 18 Jahre lang mit den Marken GodmodeTrader sowie Guidants arbeitete und Marktkommentare und Finanzanalysen erstellte.

Er kam im Jahr 2015 nach Frankfurt zu CMC Markets Deutschland, um seine langjährige Erfahrung einzubringen, mit deren Hilfe er die Finanzmärkte analysiert und aufschlussreiche Stellungnahmen für Medien wie auch für Kunden verfasst. Er ist zu Gast bei TV-Sendern wie Welt, Tagesschau oder n-tv, wird zitiert von Reuters, Handelsblatt oder DPA und sendet seine Einschätzungen über Livestreams auf CMC TV.

Jochen Stanzl verfolgt einen kombinierten Ansatz, der technische und fundamentale Analysen einbezieht. Dabei steht das 123-Muster, Kerzencharts und das Preisverhalten an wichtigen, neuralgischen Punkten im Vordergrund. Jochen Stanzl ist Certified Financial Technician” (CFTe) beim Internationalen Verband der technischen Analysten IFTA.

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