Kommentar
14:02 Uhr, 08.01.2007

Interview: “Politisch betrachtet sieht in der Ukraine vieles oft dramatischer aus als es ist”

Bedingt durch zahlreiche negative Impulse aus der Politik hat die ukrainische Börse ein relatives turbulentes Jahr hinter sich. Unter dem Strich ging es aber dennoch aufwärts mit den Kursen. Und wenn im Jahr 2007 endlich weitere politische Hiobsbotschaften ausbleiben sollten, trauen viele Marktexperten dem Aktienmarkt in der Ukraine auch ein erfolgreiches Jahr 2007 zu.

Um herauszufinden, wie die Ausgangslage bei Concorde Capital, einem der drei größten Broker vor Ort, beurteilt wird, sprachen wir mit Tom Warner. Der seit Mitte 2006 als Chefstratege tätige Warner, der zuvor als Journalist bei der Financial Times arbeitete, nahm Ende November an dem von der deutschen Börse veranstalteten Eigenkapitalforum in Frankfurt teil. Anlass dafür war, dass Concorde Capital gerade zusammen mit der in Frankfurt ansässigen RG Securities versucht, einigen ukrainischen Unternehmen den Gang an die Frankfurter Börse schmackhaft zu machen.

Wie beurteilen Sie die politische Ausgangslage momentan?

Die negativen Nachrichten aus der Politik beeinflussen natürlich die Kurse. Der Effekt darf aber nicht überbewertet werden. Politisch betrachtet sieht in der Ukraine vieles oft dramatischer aus als es ist und die Marktteilnehmer haben sich inzwischen an die neue politische Konstellation gewöhnt. Ansonsten gehe ich davon aus, dass die neue Regierung bis zu den nächsten Wahlen durchhalten wird. Einige der Beteiligten dürften kein Interesse an vorgezogenen Neuwahlen haben, weil ihnen deutliche Stimmverluste drohen. Eine mögliche Teilung des Landes, über die vereinzelt im Westen spekuliert wird, halte ich nicht für eine reale Gefahr. In dieser Hinsicht waren die Gefahren im Zuge der Orangenen Revolution größer als heute.

Und wie groß sind die Risiken, die aus dem angespannten Verhältnis mit Russland resultieren können?

Das ist schwer vorherzusagen, weil die Reaktionen der Russen oft unkalkulierbar sind. Außerdem hängt die weitere Politik auch stark davon ab, wer Nachfolger von Präsident Putin wird. An einen richtigen Handelskrieg mit Russland glaube ich aber nicht. Das können und wollen sich die Russen nicht leisten.

Wie schätzen Sie die wirtschaftliche Situation ein?

Im Jahr 2005 hat das Wirtschaftswachstum stark nachgelassen. Verantwortlich dafür waren gefallene Stahlpreise, eine steigende Steuerlast und teilweise auch politisch bedingt zurückgestellte Investitionen. In diesem Jahr hat die Konjunktur aber trotz der russischen Gaspreiserhöhungen wieder beschleunigt und das Wachstum beim Bruttoinlandsprodukt könnte sogar mehr als 6,5 Prozent betragen. Und auch für 2007 bin ich zuversichtlich. Es kann mit einem Wachstum zwischen 6,0 und 6,5 Prozent gerechnet werden. Bei den zuletzt stark gestiegenen Konsumausgaben erwarte ich aber eine Beruhigung, nachdem die Realeinkommen im September und Oktober gesunken sind.

Welche Branchen favorisieren Sie?

Uns gefallen Banken, Röhrenhersteller und Kohleproduzenten. Für Bankaktien spricht unter anderem das starke Wachstum in dieser Branche. Außerdem sind die Werte günstiger bewertet als etwa die Branchenvertreter in Kasachstan, auch wenn man natürlich berücksichtigen muss, dass diese besser gemanagt werden. Auch die Röhrenhersteller überzeugen mit einem ansehnlichen und noch dazu stetigen Wachstum. Hier ist nicht zuletzt wegen des Investitionsbedarfs in Infrastrukturprojekte in den GUS-Staaten auch in den kommenden Jahren mit einer geschäftlichen Aufwärtsentwicklung zu rechnen. Und Kohle ist nach den Gaspreiserhöhungen ganz einfach eine günstigere Energiealternative geworden. So ist beispielsweise der Stahlsektor bestrebt, Gas durch Kohle zu ersetzen. Positiv auf die Nachfrage können sich zudem die geplanten Gaspreiserhöhungen in Russland auswirken. Auch hier ist mit Substitutionseffekten zu rechnen, die teilweise durch Kohle aus der Ukraine gedeckt werden dürften.

Und welche Sektoren meiden sie momentan lieber?

Das sind ganz klar die Düngemittelhersteller. Durch die Gaspreiserhöhungen sind diese Unternehmen nicht mehr so wettbewerbsfähig und nicht mehr effizient genug.

Wie lauten Ihre Favoriten auf Einzelwerteebene?

Wie schon erwähnt gefallen uns praktisch alle Röhrenhersteller. Werte wie Novomoskovsk Pipe wurden lange vernachlässigt, obwohl sie ihre Produktion stark ausweiten. Unter den ebenfalls generell von uns bevorzugten Bankaktien setzen wir vor allem auf Ukrsotsbank. Diese Aktie notiert noch immer unter dem von der Banka Intesa gebotenen Übernahmepreis. Nachdem sich der Verkauf von zu vielen Aktien über die Börse durch den Staat kursbelastend bemerkbar gemacht hat, halten wir zudem Metall Steel Kyri….. für ziemlich günstig bewertet.

Lassen sich an der ukrainischen Börse noch wirklich günstig bewertete Aktien finden?

Gemessen am eigentlichen Wert ihrer Geschäfte sind viele Gesellschaften noch unterbewertet. Das gilt beispielsweise für die Unternehmen aus dem Bereich Metallurgie. Die hier bislang zumeist fehlende Transparenz wird mit Bewertungsabschlägen bestraft und dadurch, dass Anleger die Aktien aus diesem Sektor meiden. Mittel- und langfristig wird sich aber auch hier die Transparenz erhöhen und das wird sich dann positiv auf die Kurse auswirken.

Wie erklären sie das Interesse ukrainischer Aktien am deutschen Aktienmarkt?

Allgemein hat in der Ukraine ein Sinneswandel eingesetzt. Die Börse wird von den Unternehmen jetzt als echte Alternative zur Kapitalbeschaffung erkannt. Für ein Listing in Deutschland sprechen die dort höhere Liquidität und das Fehlen eines richtigen Retailmarktes in der Ukraine.

Dieses Interview ist erschienen im Dezember im Ostbörsen-Report. Kostenlose Anmeldung zum Ostbörsen-Report möglich unter

www.ostboersen-report.de

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Über den Experten

Jochen Stanzl
Jochen Stanzl
Chefmarktanalyst CMC Markets

Jochen Stanzl begann seine Karriere in der Finanzdienstleistungsbranche als Mitbegründer der BörseGo AG (jetzt stock3 AG), wo er 18 Jahre lang mit den Marken GodmodeTrader sowie Guidants arbeitete und Marktkommentare und Finanzanalysen erstellte.

Er kam im Jahr 2015 nach Frankfurt zu CMC Markets Deutschland, um seine langjährige Erfahrung einzubringen, mit deren Hilfe er die Finanzmärkte analysiert und aufschlussreiche Stellungnahmen für Medien wie auch für Kunden verfasst. Er ist zu Gast bei TV-Sendern wie Welt, Tagesschau oder n-tv, wird zitiert von Reuters, Handelsblatt oder DPA und sendet seine Einschätzungen über Livestreams auf CMC TV.

Jochen Stanzl verfolgt einen kombinierten Ansatz, der technische und fundamentale Analysen einbezieht. Dabei steht das 123-Muster, Kerzencharts und das Preisverhalten an wichtigen, neuralgischen Punkten im Vordergrund. Jochen Stanzl ist Certified Financial Technician” (CFTe) beim Internationalen Verband der technischen Analysten IFTA.

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