Interview: „Das stimmt uns positiv!“
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2025 haben politische Unsicherheiten und der schnelle Fortschritt der künstlichen Intelligenz die Märkte stark beeinflusst. Während politische Entscheidungen und geopolitische Spannungen belasteten, eröffnete die neue Technologie attraktive Chancen. Nun richtet sich der Blick nach vorn: Was bedeutet all das für das Jahr 2026? Im Gespräch erläutert Philip Gisdakis, Chefanlagestratege der UniCredit Bank GmbH, welche Entwicklungen das kommende Jahr bestimmen dürften, wo er Chancen und Risiken sieht und wie seine Einschätzungen in konkrete Portfolioentscheidungen übersetzt werden können.
onemarkets: Guten Tag, Herr Gisdakis, 2025 war ein außergewöhnlich dynamisches Jahr, das uns mit teils unerwarteten Wendungen in Atem gehalten hat. Wenn Sie auf die vergangenen zwölf Monate zurückblicken: Welche makroökonomischen Erkenntnisse nehmen wir mit – und worauf sollten wir uns 2026 einstellen?
Philip Gisdakis: Das Jahr 2025 war geprägt von einer Zunahme der Unsicherheit infolge der Erhöhung der US-Zölle, die auf den höchsten Stand seit fast einem Jahrhundert gestiegen sind. Dennoch zeigten sich die Weltwirtschaft und die Finanzmärkte widerstandsfähiger als erwartet. Dies ist zum Teil darauf zurückzuführen, dass Trump nach der anfänglich sehr negativen Reaktion von Investorinnen und Investoren weltweit einen Teilrückzieher gemacht hat. Aber es gibt noch mehr. Sowohl in den USA als auch in Europa hat der Privatsektor eine hohe Anpassungsfähigkeit gezeigt, unterstützt durch die soliden Bilanzen von Haushalten und Unternehmen. Darüber hinaus wirkten die Geld- und Fiskalpolitik unterstützend. Auch die Schwellenländer haben sich gut behauptet, u.a. dank sich verbessernder Fundamentaldaten. Für 2026 gehen wir davon aus, dass sowohl die Zölle als auch die Unsicherheit auf einem strukturell hohen Niveau verharren werden, ohne jedoch wieder die Höchststände zu erreichen, die nach dem „Liberation Day” zu verzeichnen waren. Das globale Wachstum dürfte sich bei knapp über 3 Prozent einpendeln und damit im Wesentlichen auf dem Niveau von 2025 bleiben. Wir gehen davon aus, dass die USA weiterhin um etwa 2 Prozent und die Eurozone um etwa 1 Prozent wachsen werden. In China scheint sich das Wachstum zu verlangsamen und wir sehen weder eine Trendwende im Immobiliensektor noch eine Neuausrichtung des Wachstumsmodells. Die Volksrepublik wird daher weiterhin deflationäre Impulse auf globaler Ebene setzen.
Chefanlagestratege der UniCredit Bank GmbH /
HypoVereinsbank
onemarkets: Die USA scheinen um eine Rezession herumgekommen zu sein. Bleibt die US-Wirtschaft robust?
Gisdakis: Ich denke schon. Die US-Wirtschaft wird durch Trumps fiskalisches Programm, eine moderate geldpolitische Lockerung und ein insgesamt geringeres Unsicherheitsniveau unterstützt. Das stimmt uns positiv. Allerdings ist das US-Wachstum unausgewogen, was Risiken birgt. Derzeit wird der Investitionszyklus fast ausschließlich von KI angetrieben, während die Investitionen in traditionellen Sektoren stagnieren. Der Konsum ist solide, aber sein Wachstum wird vor allem von wohlhabenderen Haushalten getragen, die von erheblichen Vermögensgewinnen aufgrund stark gestiegener Aktienkurse profitieren. Der Arbeitsmarkt hält sich gut, aber umfangreiche Investitionen in KI lassen die Unternehmen bei ihrer Einstellungspolitik vorsichtiger werden. In unserem Basisszenario dürften die oben genannten unterstützenden Faktoren im nächsten Jahr auch den derzeit unter Druck stehenden Teilen der US-Wirtschaft helfen und einige der Abwärtsrisiken abmildern. Es ist jedoch wahrscheinlich, dass das robuste Wirtschaftswachstum nur einen moderaten Beschäftigungszuwachs generieren wird, da KI viele Unternehmen dazu veranlassen wird, ihre Geschäftsmodelle umzustellen. Die Unternehmensgewinne dürften hingegen vom daraus resultierenden Produktivitätsanstieg profitieren.
onemarkets: Arbeitsmarkt und Inflation – hier sollte die Fed für ein Gleichgewicht sorgen. Was erwarten Sie in Bezug auf die Geldpolitik für 2026 seitens der Fed und der EZB?
Gisdakis: In dieser Frage hat zweifellos die Fed die schwierigere Aufgabe. Das doppelte Mandat zwingt sie zur Vorsicht. Zwar verlangsamt sich das Beschäftigungswachstum, doch verharrt die Inflation hartnäckig bei rund 3 Prozent und könnte in den kommenden Monaten weiter zunehmen, wenn Unternehmen einen größeren Teil der Zölle an die Verbraucherinnen und Verbraucher weitergeben. Hinzu kommt, dass die Schwäche am Arbeitsmarkt nicht nur auf nachfrageseitige Faktoren zurückzuführen ist, auf die die Geldpolitik einwirken kann. Auch angebotsseitige Faktoren – insbesondere restriktivere Einwanderungspolitik – reduzieren das Arbeitskräfteangebot. Infolgedessen steigt die Arbeitslosenquote in den USA zwar langsam, bleibt aber auf einem Niveau, das die Fed als im Wesentlichen ausgewogen ansieht. Sollte die US-Wirtschaft tatsächlich unseren Prognosen entsprechend wachsen, sehe ich wenig Spielraum für weitere Zinssenkungen. Wir erwarten, dass die Fed die Zinsen im kommenden Jahr um weitere 50 Basispunkte senken kann – von derzeit 4 auf 3,5 Prozent. Diese Prognose geht davon aus, dass makroökonomische Faktoren und nicht politischer Druck aus dem Weißen Haus den Kurs der Fed bestimmen. Im Euroraum scheint die EZB mit dem aktuellen geldpolitischen Kurs zufrieden zu sein. Das Wirtschaftswachstum ist schwach, aber das Rezessionsrisiko ist gering und der Arbeitsmarkt hält sich gut. Darüber hinaus dürfte die Konjunktur im Laufe des nächsten Jahres aufgrund der fiskalischen Impulse in Deutschland wieder anziehen. Die Inflation dürfte sich auf absehbare Zeit bei etwa 2 Prozent einpendeln. Bleibt ein neuer großer Schock aus, sollten die Zinsen das ganze nächste Jahr über ebenfalls bei 2 Prozent verharren.
onemarkets: Welche Allokation empfehlen Sie an den Märkten und was ist für 2026 zu erwarten?
Gisdakis: Die Entwicklung der Aktienmärkte wurde weitgehend von guten Unternehmensergebnissen getragen und hat daher eine solide Grundlage. Das geopolitische Umfeld bleibt zwar unsicher, doch weltweit fallende oder stabile Leitzinsen und eine unterstützende Industriepolitik dämpfen diese Risiken. Wir setzen weiterhin auf global diversifizierte Aktienportfolios: USA, Europa und Schwellenländer – um sowohl in die heutigen Marktführer investiert zu bleiben als auch Positionen in potenzielle Herausforderer der Zukunft aufzubauen. Besonders Schwellenländer bieten zusätzliche Diversifizierung im Technologiesektor sowie Aufwärtspotenzial durch mögliche Währungsaufwertungen in Asien.
onemarkets: Technologieaktien sind hoch bewertet und es wird von einer möglichen Spekulationsblase gesprochen. Wie schätzen Sie das ein?
Gisdakis: Der Technologiesektor hat den Markt aufgrund stark steigender Umsätze und Gewinne angetrieben. Seine Bewertungen sind strukturell höher als die traditioneller oder reiferer Sektoren. Der Grund dafür ist, dass Investorinnen und Investoren in der Vergangenheit immer einen Aufschlag für Unternehmen gezahlt haben, die nicht nur den Wirtschaftsbereich neu definiert, sondern auch unseren Lebensstil revolutioniert haben. Daher sprechen wir nicht von einer Blase. Wir erkennen jedoch an, dass einige dieser Unternehmen – insbesondere die „Magnificent Seven“ – mittlerweile beinahe monopolartige Marktpositionen haben. Dieser Vorteil wird in den kommenden Jahren wahrscheinlich durch zunehmenden globalen Wettbewerb erodieren. Deshalb sind wir im Technologiesektor investiert, verfolgen jedoch Strategien zur Reduzierung der Konzentration.
onemarkets: Das Thema künstliche Intelligenz ist weiterhin das Leitmotiv der Märkte. Ist hier mehr Vorsicht geboten?
Gisdakis: Es handelt sich um ein langfristiges Anlagethema, in das wir weiterhin investieren wollen. Aber auf der Grundlage des oben genannten Diversifizierungsprinzips bauen wir auch Positionen in den Sektoren und Unternehmen der traditionellen Wirtschaft auf, die natürliche Ergänzungen darstellen. Industrie- und Versorgeraktien sind essenziell für den Aufbau der physischen und digitalen Infrastruktur, die für die breite Anwendung neuer Technologien erforderlich sind. Der Bau und die Kühlung von Rechenzentren sowie die Produktion und Verteilung größerer Energiemengen sind nur einige Beispiele, wie sich das KI-Thema erfolgreich erschließen lässt.
onemarkets: Herr Gisdakis, haben Sie vielen Dank für das Gespräch.
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