Kommentar
16:00 Uhr, 30.06.2008

Inflation erhebt ihr Haupt

Sie ist wieder da, die Inflation. Schon in den letzten Jahren lag sie immer wieder – wenn auch nur leicht – über der Zielmarke von knapp unter 2 Prozent, die sich die Europäische Zentralbank gesetzt hat. Dafür gab es immer wieder Sonderanlässe, die mit falscher Geldpolitik nichts zu tun hatten. Da wurden Mineralöl- und Tabaksteuern heraufgesetzt, Studiengebühren eingeführt. Da stieg der Ölpreis oder da wurde die Mehrwertsteuer deutlich heraufgesetzt. Diese ständigen Zielverletzungen waren umso vertrauensschädigender als der neuen Währung seitens der Bürger von Anfang an ein gerüttelt Maß an Misstrauen entgegengebracht wurde. Ausdruck dieses Misstrauens waren Zweifel an der amtlichen Preisstatistik. Um ein Maß für die Zweifel zu erhalten, erfragte man regelmäßig die „gefühlte Inflation“. Sie lag zumeist über der gemessenen Inflation. Nach Einführung des Eurobargeldes lag sie 2001 und 2002 mit rund 10 Prozent himmelhoch über der amtlichen Rate von weniger als 2 ½ Prozent. Und 2008 liegt die gefühlte Inflation bei sage und schreibe 12 Prozent, während die offizielle Inflationsmessung gut 3 Prozent erreicht. Aber nicht vor allem die allgemeine Preistendenz erregt derzeit die Gemüter. Was besonders aufwühlt sind die Preistendenzen bei Heizöl und Kraftstoffen und ganz speziell jene bei Nahrungsmitteln. Milch- und Butterpreise schütteln die Nation, bringen Verbraucher, Bauern, Molkereien und Händler in Aufruhr.

Viele dieser Preistendenzen sind kein deutsches oder europäisches Phänomen. Es hat offenkundig wenig mit speziellem Verhalten europäischer Einrichtungen zu tun, wenn Milchprodukte und viele andere Nahrungsmittel weltweit im Preis explodieren, wenn Benzin rund um den Globus dramatisch teurer wird, wenn die Inflationsraten überall deutlich beschleunigt steigen, so in den USA mit über 4 Prozent, in China mit über 8 Prozent, in vielen Schwellen- und Entwicklungsländern gar mit zweistelligen Raten. Es spricht vieles dafür, dass der bis zum letzten Jahr anhaltende weltweite Boom dafür Ursache ist, teils genährt durch eine Politik billigen Geldes in den USA und eine Politik des Festhaltens an einem festen Dollarkurs ihrer Währungen in vielen Schwellen- und Entwicklungsländern.

Die speziell ausgeprägten Preissteigerungen bei Energie und Nahrungsmitteln haben mit den Entwicklungssprüngen in vielen Schwellenländern zu tun, die heute wegen der vermehrten Nutzung von Haushaltsgeräten, der Motorisierung und besserer Ernährung entstehen. Viel mehr Energie wird übrigens auch wegen des forcierten Ausbaus der Infrastruktur eingesetzt, die Stahl und Zement „verbraucht“. Die Preise für Energie (und als Energieinput genutzte Nahrungsmittel) stiegen aber auch deshalb so stark, weil die reichen, reifen Länder weiter mit wenig energieeffizienten Verhaltensweisen glänzten: Immer größere Häuser, die zu kühlen und zu heizen waren, wurden gebaut, immer schwerere und stärker beschleunigende Autos wurden gekauft. Immer mehr Kurz- und Fernreisen wurden gemacht.

Und ein weiterer wichtiger Sachverhalt begründet die hohen Energiepreise: Weder bei konventionellen Energieträgern, noch bei alternativen Energieträgern wurde global entschlossen investiert. Politische Unsicherheit (etwa in Iran und Irak) ist Teil der Erklärung. Aber auch die Überzeugung der Ölexperten über die letzten Jahre hinweg, dass die erhöhten Ölpreise nur vorübergehend seien, erklärt die Investitionszurückhaltung. Die Probleme enden hier indes noch nicht. So etwa vergrößern die Deutschen das Problem der Grundversorgung mit Elektrizität durch das beschlossene vorzeitige Abschalten funktionsfähiger und sicherer Atomkraftwerke (Nutzt man diese weiter, braucht man für einen kritischen Zeitraum keine Energie und keine weitere CO2 Emission für die Ersatzkraftwerke aufzuwenden). Zudem: Die politischen und bürokratischen Hindernisse für die Modernisierung von Energieproduktion und Kapitalbestand (zur Erhöhung der Energieeffizienz und zur Schonung der Umwelt) sind vor allem in reichen und demokratischen Ländern verbreitet. So resultiert, dass etwa Raffinerien fast nur in China oder der arabischen Welt gebaut werden, mit offenkundigen Sicherheitsimplikationen für die Versorgung mit Kraftstoffen in den USA und Europa. Unter solchen Umständen wie Rohrspatzen über so genannte „Spekulanten“ zu schimpfen, von denen behauptet wird, sie (allein) trieben die Energiepreise hoch, ist wohl genau so hilfreich wie die Ermordung des Überbringers der schlechten Nachricht in der griechischen Mythologie.

Energie und Nahrungsmittel also werden wohl für längere Zeit teuer bleiben. Und die allgemeine Inflation zu hoch. Und die Forderungen an Wirtschafts- und Lohnpolitik lassen Zweitrundeneffekte befürchten. Dies wird Geldpolitik ohne Option lassen: Niedrige Zinsen – unterhalb der Inflationsrate – werden nicht mehr vertretbar erscheinen. Eine Aufwertung der eigenen Währung ist – jedenfalls in Bezug auf Preisstabilität durchaus erwünscht. Damit ist die Hoffnung mit billigem Geld die Finanzmarktkrise zu überwinden, schal geworden. Aber alles spricht dafür, dass bei Zinssteigerung in den reichen, reifen Ländern und deutlichem Zinsanstieg in den Schwellenländern 2009 die konjunkturelle Abschwächung sich im Zweifel verstärkt. Das tut weh, gerade dann, wenn wichtige Wahlen anstehen. Aber es ist gut, weil so die Rückkehr in inflationäre Zeiten wie in den 70-er Jahren verhindert wird.

Autor: Norbert Walter - Deutsche Bank Research

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