Kommentar
13:30 Uhr, 16.07.2007

Indien versus China: Das asiatische Jahrhundert hat begonnen

In unserem heutigen Leitthema möchten wir einen Blick auf Indien werfen, einen Staat der viel besagten BRIC-Länder, die neben Indien mit Russland, China und Brasilien jene Schwellenländer umfassen, die am stärksten und schnellsten wachsen. Dass Indien als Anwärter gilt, mit seiner Wirtschaftsleistung in 15 Jahren China überholen zu können, ist den wenigsten bekannt. Für uns ist es Grund genug, einen genaueren Blick auf das Milliardenvolk und seine wieder gewonnene Bedeutung in der Weltwirtschaft und im Rohstoffhandel zu werfen.

2 von 5 Menschen auf der Erde sind heute Inder oder Chinesen. In der indischen Hauptstadt Bombay – die nun Mumbay heißt – leben 19 Millionen Menschen und damit fast so viele wie auf dem gesamten australischen Kontinent oder in Skandinavien. Seitdem Indien am 14. August 1947 nach fast hundertfünfzigjähriger britischer Kolionalzeit seine Souveränität wiedererlangte, schaffte es das Land in fast unvergleichbarer Geschwindigkeit, weltweit an Bedeutung zu gewinnen. Damals lebten in Indien 350 Millionen Menschen, heute sind es 1,1 Milliarden. Indien ist heute führend in vielen Branchen der Hochtechnologie, die größten westlichen Firmen lagern ihre IT-Abteilungen nach Indien aus oder kämpfen händeringend um gut ausgebildete indische Fachkräfte. Täten sich China und Indien heute in einer strategischen Allianz zusammen, so könnte der Rest der Welt diesen beiden Völkern wirtschaftlich wie militärisch nichts mehr entgegensetzen. Die Kombination der Werkstatt der Welt in China mit dem technologischen Wissen Indiens würde die beiden Staaten umschlagbar machen.

Wie jedoch die Realität zeigt, ist ein solcher strategischer Zusammenschluss eher unwahrscheinlich. Kaum vorstellbar ist, wie die restriktive Zentralregierung Pekings mit der vom Volk gewählten freien Demokratie Indiens zusammen funktionieren könnte. Die enge wirtschaftliche Bindung Indiens an Japan schmeckt den Chinesen außerdem genauso wenig, wie freie Meinungsäußerung. Doch gibt es Gemeinsamkeiten und Synergien, die auch von Peking erkannt werden. Längst ist Indien für sie ein bedeutender Absatzmarkt geworden – in Indien wird die konsumfreudige Mittelschicht, die vor allem in den Großstädten zu finden ist, auf 250 Millionen geschätzt – das ist ein Absatzpotential, das jenem Gesamteuropas entspricht. Auch im Rohstoffbereich will und kann China nicht auf Indien verzichten. Indien ist heute ein wichtiger Rohstofflieferant für China, besonders bei Metallen und Nahrungsmitteln.

Die indische Regierung zeigt sich mit den Rohstoffexporten, die im großen Stil nach China gehen, aber nicht gerade einverstanden und versucht durch die Anhebung von Exportzöllen die Rohstoffexporte an den hungrigen Nachbarn zu bremsen. Sie ist sich darüber bewusst, dass die Rohstoffe im eigenen Land bald dringend benötigt werden. Denn Indien gilt als Hightech-Land – das beeindruckende Wachstum des Landes basiert größtenteils auf dem IT-Sektor und Rohstoffen, bei der Industrie und Infrastruktur ist Indien weiterhin ein zurückgebliebenes Entwicklungsland.

Die Infrastruktur Indiens ist zu rückständig, um internationale Konzerne von Investitionen für industrielle Fertigungsstätten zu überzeugen. In den letzten Jahrzehnten investierte Indien in die Informationstechnologie und Hightech und besetzte damit eine Nische, die China nicht besetzt hatte.

Die Infrastruktur soll nun geschaffen werden. Im letzten Jahr kündigte die indische Regierung umfassende Investitionsprogramme an, um das Schienen- und Straßennetz zu modernisieren. Damit sollen weitere ausländische Investoren angelockt werden. Heute ist nur ein Viertel der indischen Wirtschaft getragen von der Industrie, gegenüber 53% in China.

Der Ausbau der Infrastruktur hat außerdem die Bewandtnis, die Schere zwischen Arm und Reich, die wie in China unerträglich weiter auseinanderklafft, zu schließen. Der Wohlstand Indiens ist zu 60% getragen durch den Wirtschaftsboom in den Küstenstädten, das Land blieb davon unberührt. 26% der Inder, oder fast 300 Millionen Menschen, leben unter der Armutsgrenze, verdienen also weniger als einen Dollar pro Tag. Es wird geschätzt, dass das Einkommen der Mehrheit dieser 300 Millionen Menschen bei nur 25-35 cents liegen dürfte. Um den Wohlstand aus den Städten ins Landesinnere zu tragen, braucht es Straßen und ein ausgebautes Schienennetz.

Insofern ähnelt Indien dem chinesischen Nachbarn. Dort fürchtet die Zentralregierung in Peking nichts mehr als einen Aufstand der wohl zu Recht unzufriedenen Landesbevölkerung, die von dem sagenumwobenen Boom in den Küstenstädten merklich wenig mit bekommt. Peking fürchtet außerdem, dass die westlichen Einflüsse aus der Globalisierung zu einem Umdenken und einem Anlehnen gegen die zentralistischen und kommunistischen Systeme führen könnten. Einige Auguren aus dem Westen sehen China vor einer tief greifenden Revolution. Letztendlich hat aber Peking wie auch die Regierung in Mumbay erkannt, dass sie mehr tun müssen für die verelendeten Massen. Unter dem National Rural Employment Gurantee Act führte Indiens Regierung nun eine Art Arbeitslosengeld für die ländliche Bevölkerung ein, die den empfängnisberechtigten Personen einen Mindestlohn für eine bestimmte Wochenstundenzahl garantiert. Indische Unternehmen packen mit an und investieren freiwillig Milliardensummen in die Bildung und Wohlfahrt des Landes.

Neben der Armut und der schlechten Infrastruktur gibt es andere Schattenseiten. Der Energiesektor Indiens ist auf dem Stand eines zurückgebliebenen Drittweltlandes, und nicht mal die Hälfte der Bevölkerung hat Zugang zu sauberem Trinkwasser oder Strom. In den Sommermonaten gibt es vor allem in den Städten stunden- und gar tagelange Stromausfälle und Firmen müssen auf eigene Aggregate setzen, um überhaupt vernünftig produzieren zu können. Das soll sich nun mit amerikanischer Hilfe ändern. US-Präsident Bush sagte Indien umfassende Lieferungen von Technologie beim Bau von Kernkraftwerken und Urantechnologie zu, wohl nicht ohne Hintergedanken. Denn Amerika versucht Indien möglichst stark an den Westen zu binden, und zahlt dafür auch den Preis der Lieferung von Urantechnologie, obwohl Indien den Atomwaffensperrvertrag nicht unterzeichnet hat. Die USA wollen um jeden Preis, so scheint es, eine allzu starke Allianz Indiens mit China verhindern. Ob dies gelingen wird, wird die Zukunft, also die Geschichte zeigen.

Indien setzt auf Bildung. Das McKinsey Global Institute schätzt, dass Indiens Pool an hochqualifizierten Hochschulabsolventen schon 2008 zweimal so hoch sein wird wie in China. Damit wächst auch das potentielle Risiko für China. Die roten Nachbarn könnten durch Indien einen neuen Konkurrenten erhalten, und einst wie die Tigerstaaten in den 90er Jahren durch den Aufschwung Chinas erfahren mussten, dass das globalisierte Kapital immer dort angelegt wird, wo es am lukrativsten arbeitet.

Für Rohstoffanleger bedeutet das Wettrennen des chinesischen Drachens mit dem indischen Elefanten auf Jahre, ja gar Jahrzehnte in die Zukunft gute Geschäfte. Die Kapazitäten zur Förderung von Rohstoffen wurden in den letzten Jahrzehnten für 1,2 Milliarden Menschen der Industrieländer geschaffen, nicht für die dreifache Anzahl, die jetzt durch den Wirtschaftsboom in Asien hinzukommt. 3,6 Milliarden Menschen, und rechnet man die Tigerstaaten hinzu noch mehr – stehen jetzt als Nachfrager nach Rohstoffen an und kaufen sprichwörtlich alles, was sie bekommen können. Man muss sich nur vorstellen, welch immense Mengen an Beton, Stahl, Energie und anderen Metallen benötigt werden, um das Schienennetz in Indien zu modernisieren oder Straßen und Autobahnen für das Milliardenvolk neu aufzubauen. Das Geld ist da, sowohl die ausländischen Investoren wie auch die indische Regierung haben die Mittel, um große Investitionen zu tätigen. Bis die Förder- und Produktionskapazitäten für die dafür benötigten Rohstoffe allerdings geschaffen sind, dauert es noch viele Jahre, ja gar Jahrzehnte. Bis dahin dürften die Rohstoffpreise selbst, aber auch die Aktienkurse der Unternehmen im Sektor weiter steigen. Ein Unternehmen, dass von diesem Trend profitieren wird, stellen wir Ihnen heute in unserer Aktienanalyse vor.

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Über den Experten

Harald Weygand
Harald Weygand
Head of Trading

Harald Weygand entschied sich nach dem Zweiten Staatsexamen in Medizin, einer weiteren wirklichen Leidenschaft, dem charttechnischen Analysieren der Märkte und dem Trading, nachzugehen. Nach längerem, intensivem Studium der Theorie ist Weygand als Profi-Trader seit 1998 am Markt aktiv. Im Jahr 2000 war er einer der Gründer der stock3 AG und des Portals www.stock3.com. Dort ist er für die charttechnische Analyse von Aktien, Indizes, Rohstoffen, Devisen und Anleihen zuständig. Über die Branche hinaus bekannt ist der Profi-Trader für seine Finanzmarktanalysen sowie aufgrund seiner Live-Analysen auf Anlegerveranstaltungen und Messen.

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