Kommentar
10:51 Uhr, 30.09.2016

Immer neue Krisen?

Überraschend gute ifo Geschäftsdaten für September stellen der deutschen Wirtschaft ein stabiles Konjunkturzeugnis aus. Die Trendbestätigung in den nächsten beiden Monaten bleibt jedoch abzuwarten. Denn grundsätzlich kleben weltkonjunkturelle Risiken für die exportsensitive deutsche Industrie weiter wie Kaugummi am Schuh. Zuletzt ist auch die Bankenkrise wieder in den Anlegerfokus geraten. Auch wenn sich die Opec erstmalig seit acht Jahren auf eine Drosselung der Ölfördermenge geeinigt hat, bleibt die weltkonjunkturelle Kaufkraft der Rohstoffländer verhalten. Denn die Begrenzung ist zu gering, um einen nachhaltigen Ölpreisanstieg einzuleiten, der ohnehin durch die alternative Ölfördermethode „Fracking“ behindert wird. Auch die Frage, wer neues US-Staatsoberhaupt wird, beschäftigt die Märkte. Trotz insgesamt ausbleibender Fundamentalargumente hält immerhin die üppige internationale Geldpolitik die Risikoaversion der Anleger in Grenzen.

Goldener Wirtschafts-Herbst oder konjunkturelle Moll-Stimmung?

Es ist eine positive Überraschung, die so gar nicht in die Palette zuletzt eher ernüchternder Konjunkturdaten passen will. Laut ifo Institut steht der deutschen Wirtschaft ein „goldener Herbst“ bevor, nachdem sich die Geschäftserwartungen der von diesem Institut befragten Unternehmen mit 104,5 nach zuvor 101,1 auf ein 9-Monats-Hoch spürbar aufgehellt haben. Setzt man ifo Geschäftslage und -erwartungen zueinander in Beziehung, hat die deutsche Wirtschaft stimmungsseitig sogar die Rückkehr in die konjunkturelle Zyklusphase „Boom“ vollbracht.

In Aufschwungsstimmung scheinen auf den ersten Blick auch Deutschlands Wirtschaftsforschungsinstitute zu sein, die in ihrem Herbstgutachten die Wachstumsprognose 2016 auf 1,9 nach zuvor 1,6 Prozent angehoben haben. Dennoch ist in puncto nachhaltiger Wirtschaftserholung Skepsis angesagt. Früher wurden erst Wachstumsraten von zwei Prozent mit Aufschwung gleichgesetzt. Im Übrigen haben die Wirtschaftsforscher das Wachstum 2017 von 1,5 auf 1,4 reduziert.

Überhaupt haben ifo Geschäftsklima, -lage und -erwartungen lediglich die Rückgänge der beiden Vormonate ausgeglichen und setzen damit ihren insgesamt volatilen Seitwärtstrend seit Anfang 2015 fort.

Grundsätzlich schwelen die Sorgen vor Exporteintrübungen angesichts des in diesem Jahr schwächsten Weltwirtschaftswachstums seit 2009 (2,9 Prozent) weiter. Auch der Einkaufsmanagerindex für das weltweite Verarbeitende Gewerbe lässt mit einem Wert von 50,8 nicht auf markante Besserung hoffen. In der Detailbetrachtung befindet sich die US-Industrie bereits in der Rezession und auch der Dienstleistungssektor zeigt Abkühlungserscheinungen. Ebenso tritt die Eurozone nach der kürzlichen Einschätzung von EZB-Präsident Draghi konjunkturell auf der Stelle. Als bedeutenden Grund nennt er die Reformfeindlichkeit der Wirtschaftspolitik in fast allen Euro-Staaten. Und mit der konjunkturellen „Normalisierung“ der Schwellenländer büßt ein in der Vergangenheit bedeutender Wachstumstreiber der Weltwirtschaft ebenso an Schlagkraft ein.

In puncto Bankenkrise sollte die Politik keine schlafenden Hunde wecken
Grundsätzlich leiden die Banken massiv unter dramatischen Geschäftseinbrüchen. Das früher übliche Gewinnpolster im Brot und Butter-Zins-Geschäft ist drastisch geschmolzen. Hinzu kommen Ertragsschwächen im Provisions- und trotz Niedrigzinsen im Kreditgeschäft. In dieser globalsten aller Branchen kommt noch ein gewaltiger Konkurrenzkampf unter den Instituten hinzu. Diese Faktoren erschweren es den Banken, ihre Eigenkapitalpositionen - wie von den Regulierungsbehörden gefordert - zu verstärken. Gewaltige Kostensenkungsmaßnahmen wie Freistellungen bei der Commerzbank sind die Antwort. Zur Not sind zwar Kapitalerhöhungen möglich. Doch führen diese angesichts stark gefallener Aktienkurse nicht zu ergiebigen Zuflüssen an Finanzmittel.

Erschwerend kommen in Deutschland für das größte Institut - die Deutsche Bank - politische Faktoren hinzu. Die USA verlangen vom deutschen Marktführer Strafzahlungen für Fehlverhalten im US-Immobiliengeschäft von 14 Mrd. US-Dollar. Unabhängig von der Berechtigung von Strafen muss man den Eindruck gewinnen, dass Amerika eine Bankenpolitik pro Inland und contra Ausland macht. Zwar mussten auch US-Banken Strafzahlungen leisten. Unmittelbar nach der Immobilienkrise wurden sie in Watte gepackt und mit unvorstellbaren Summen finanzpolitisch gerettet. Dazu hat Amerika eine dramatische US-Neuverschuldung losgetreten, die von der Fed finanziert wurde. Dabei haben sich die US-Banken durch die geldpolitischen Renditedrückungsaktionen goldene Nasen in Form von Anleihekursgewinnen und sprunghaften Anstiegen im Provisionsgeschäft verdient. Anschließend wurden sie vom amerikanischen Staat zwar zur Kasse gebeten, doch wurden sie definitiv nicht übervorteilt. Heute sind die amerikanischen Banken die stärksten der Welt. Amerika weiß natürlich auch um die geostrategische Bedeutung seiner Institute und die „beeinflussende“ Anlagekraft seiner großen Kapitalsammelstellen. Das sind die neuen Abschreckungswaffen in der Geopolitik.

Die von der Deutschen Bank geforderte Summe ist im Vergleich zu den US-Instituten nicht verhältnismäßig, sie ist zu hoch. Die US-Behörden wissen natürlich, dass solche „Schock-Summen“ für Verunsicherung sorgen. Hinzu kommt, dass sich Amerika mit der Abwicklung von Strafprozessen gegenüber der Deutschen Bank viel Zeit lässt. Damit bleiben Strafen und Skandale in den Köpfen der Anleger frisch und wird die Deutsche Bank weitgehend immer nur mit diesen Problemen in Verbindung gebracht. Operative Entwicklungen finden so kaum mehr Beachtung.

Grundsätzlich würde die Strafe von 14 Mrd. US-Dollar die Deutsche Bank finanziell schwer treffen. Denn die Deutsche Bank hat zwar Rückstellungen für Strafzahlungen in Höhe von 5,5 Mrd. Euro gebildet, die aber auch im Hinblick auf weitere Rechtstreitigkeiten knapp kalkuliert sind.

Im Übrigen sollten Verantwortliche für die US-Immobilienmisere ebenso in der US-Politik selbst gesucht werden. Die Immobilieneuphorie konnte nur deshalb so dramatische Stilblüten treiben, weil eine damalige US-Regierung der Meinung war, so ziemlich jeder Amerikaner hätte - ungeachtet seines Einkommens - Anspruch auf Wohneigentum. Und diese fixe Idee wurde dann von einer freizügigen US-Geldpolitik solange finanziert bis sie kalte Füße bekam, die Leitzinswende nach oben antrat und damit schließlich die Immobilienträume wie Seifenblasen platzen ließ. Wo bleibt das amerikanische Schuldselbsteingeständnis?

Im bilateralen Gespräch darf die kleine politische Schwester aus Deutschland dem großen politischen Bruder aus Amerika durchaus an Fairness, an Verhältnismäßigkeit erinnern.

Apropos deutsche Politik, bei uns gibt es das ungeschriebene Gesetz „ Worte zerstören, wo sie nicht hingehören“. Oft ist es tatsächlich besser, man sagt gar nichts. Niemand ist gezwungen, ohne Not überhaupt Aussagen - wie zuletzt geschehen - zu deutschen Banken oder zur Deutschen Bank zu tätigen, schon gar nicht, ob die Bundesregierung sie im hypothetischen Fall stützen wird oder nicht. Das führt nur zu Gerüchten und Verunsicherungen, die die Gegenseite zerstreuen muss. Damit werden aber oft genug erst schlafende Hunde weckt.

In der Finanzbranche als der sensitivsten und empfindlichsten Branche überhaupt können Verunsicherungen auch verbal-politischer Art schnell unerwünschte Nebenwirkungen haben und ein Eigenleben entfalten. Der Schmetterlingsflügelschlag kann den Vulkan zum Ausbruch bringen. Im schlimmsten Fall könnten Kunden und Investoren vorbeugend abwandern oder das Volumen von Geschäftsbeziehungen reduzieren. Dann hätte der Polit-Talk erst eine Vertrauenskrise herbeigeführt, die sich ansonsten nicht so ausgebreitet hätte. Zur Erinnerung: Das Lehman-Dilemma 2008 war nicht das auslösende Element der anschließenden Finanzkrise. Es war der anschließend rigorose Vertrauensverlust unter den Banken und die Risikoaversion selbst gegenüber langjährigen Geschäftspartnern in der Finanzindustrie. Die Bundesregierung sollte die damalige dramatische Verunsicherung von 2008 noch gut in Erinnerung haben. Die Regierungschefin von heute ist dieselbe von damals.

Grundsätzlich sollte sich die Bundesregierung vor Augen führen, dass Deutschland starke internationale Banken braucht. Man stelle sich doch einmal vor, dies wäre nicht der Fall. Wer würde diese Lücke dann wohl schließen? Richtig, die großen angelsächsischen Geldhäuser. Der Finanzplatz Deutschland würde also fremdbestimmt, vielleicht sogar durch strategische Übernahmen. Der deutsche Einfluss würde schwinden. In puncto zukünftige Börsengänge oder generell im Konsortialgeschäft bezüglich unserer bedeutenden deutschen Industriekultur würde man nicht mit uns, sondern über uns sprechen. Das sollte die Politik trotz eines nahenden Bundestagswahlkampfes mit einem vermeintlich attraktiven Reizthema „Banken“ immer im Hinterkopf behalten. Wirtschaftssachverstand sollte wichtiger als Populismus sein.

Überhaupt, käme es im rein hypothetischen Fall hart auf hart, würde der deutsche Staat natürlich stützend zugunsten der deutschen Bankenindustrie eingreifen. Ansonsten würde die Regierung die gesamte Finanzwelt über politische Fehler an den Rand des Ruins bringen. Dass derzeit in diversen Print-Medien über staatliche Stützungsaktionen zugunsten deutscher Banken berichtet wird, sollte nicht wirklich verwundern. Nach 2008 ist jede Regierung, in dessen Land systemrelevante Banken ansässig sind, gut beraten, Notfallpläne - wie z.B. den Verkauf von Geschäftszweigen und Staatsbeteiligungen - bereitzuhalten. In jedem Banken-Land liegt ein Plan B in der Schublade. Alles andere wäre grob fahrlässig.

Um allen hypothetischen Eventualitäten entgegenzuwirken, sollte die deutsche Politik dem schönen deutschen Sprichwort folgen „Reden ist Silber, Schweigen ist Gold“.

Tatsächlich ist die steigende Risikowahrnehmung gegenüber dem gesamten europäischen Bankensektor bereits in einer sprunghaften Ausweitung des Risikoaufschlags fünfjähriger Euro-Bankanleihen mit A-Bonität zu deutschen Staatstiteln erkennbar. Spiegelbildlich werden europäische Banken an den Aktienmärkten abgestraft, was in einer spürbaren Underperformance des EuroStoxx Banks Index gegenüber dem Leitindex EuroStoxx zum Ausdruck kommt.

GRAFIK DER WOCHE
Risikoaufschlag Euro-Bankanleihen (A) zu deutschen Staatsanleihen, Laufzeit 5 Jahre und Euro Bankenindex relativ zum Aktienindex der Eurozone (Euro Stoxx)

Niemand sollte jedoch die EZB in ihrer grenzenlosen Flexibilität unterschätzen, zur Vorbeugung einer erneuten Bankenkrise mit dann folgenden, unkontrollierbaren System- und politischen Risiken, alle Register zu ziehen.

Opec - Und sie bewegt sich doch?
Auf dem Treffen wichtiger Ölproduzenten im Rahmen des Internationalen Energieforums in Algier hat man sich zwar auf eine Produktionsdrosselung um bis zu 800 Tsd. Barrel täglich auf das Niveau von Anfang 2016 einigen können. Als Akt der Stärke ist dieses Verhandlungsergebnis jedoch nicht zu betrachten. Man gehorcht eher der nackten Not schwacher Staatseinnahmen durch schwache Ölpreise. Insbesondere Saudi-Arabien ist offensichtlich bereit, die Hauptlast der Förderkürzung auf sich zu nehmen und die Ölkonkurrenz - auch dem Erzfeind Iran - Förderungen am Limit zu gestatten. Allerdings lässt sich die Förderkürzung nicht wirklich kontrollieren, so dass das Problem des weltweiten Ölüberschusses nicht gelöst ist.

Grundsätzlich hat die Opec für alle Zeiten ihre Preisfestsetzungsmacht verloren. Denn jede Ölpreissteigerung ist ein gefundenes Fressen für die unkonventionelle Ölförderung der Fracking-Industrie, die bei Preisen um 50 US-Dollar pro Barrel ihre Gewinnschwelle erreicht. Schon seit Juni werden geschlossene Bohrlöcher wieder in Betrieb genommen, was bereits zu einer leichten Stabilisierung der US-Rohölproduktion beigetragen hat. Insgesamt bleibt der Ölmarkt überversorgt. Dieser Zustand hält laut Internationaler Energieagentur (IEA) bis mindestens Mitte 2017 an. Eine nachhaltige Ölpreissteigerung ist damit nicht zu erwarten. Damit verbunden hält sich die Kaufkraft der Rohölländer zugunsten der Weltkonjunktur und speziell der Exportnationen in Grenzen.

Aktuelle Marktlage und Anlegerstimmung - Jahresend-Rallye ja, wenn…
Angesichts mangelnder Fundamentalargumente zeigen sich Aktienanleger zwar verhalten. Mit Blick auf die ultralockere Geldpolitik bleibt breite Skepsis jedoch aus. Denn angesichts des nachhaltigen Ausfalls von Zinsvermögen als attraktive Alternativanlageklasse müssen Vermögensverwalter und Kapitalsammelstellen ihren bestehenden liquiditäts- und renditeorientierten Anlagenotstand auch zukünftig durch Aktienengagements befriedigen.

Unter der Bedingung, dass eine gemäß Börsenmeinung berechenbarere Frau Clinton am 8. November zum neuen US-Staatsoberhaupt gewählt wird, die Fed keinen Zinserhöhungsfehler macht und die Politik eine zweite Bankenkrise verhindert, ist insgesamt eine Jahresend-Rallye zu erwarten. Der Blick auf die Schwankungsbreite zeigt ein risikoentspanntes Aktienbild. Der VDAX-NEW Volatility Index, der die Schwankungsbreite für die nächsten 30 Handelstage misst, liegt trotz der Inflation an Risiken mit einem aktuellen Wert von knapp 18 auf historisch vergleichsweise niedrigem Niveau.

Charttechnik DAX und Euro Stoxx 50 - Die Richtungssuche geht weiter
Charttechnisch findet der DAX auf der Unterseite die nächste Unterstützung im Bereich zwischen 10.507 und 10.427 Punkten. Darunter gibt der mittelfristige Abwärtstrend bei zurzeit 10.330 Halt. Auf dem Weg nach oben trifft der Index zwischen 10.743 und 10.802 Punkten auf erste Widerstände. Darüber warten weitere Barrieren bei 11.154 und 11.430.

Im Euro Stoxx 50 liegen auf dem Weg nach unten erste schwache Unterstützungen bei rund 2.970 und zwischen 2.950 und 2.929 Punkten. Darunter stabilisiert die Zone um 2.900. Wird auch diese unterschritten, ist mit Kursrückgängen in Richtung der relativ starken Unterstützung bei 2.673 zu rechnen. Auf der Oberseite stößt der Index dagegen im Bereich zwischen 3.043 und 3.063 Punkten auf Widerstand. Darüber warten weitere Hürden bei 3.106 sowie zwischen 3.137 und 3.156.

Der Wochenausblick für die KW 40 - US-Arbeitsmarktdaten sind zinserhöhungsunkritisch
In China signalisieren die offiziellen Einkaufsmanagerindices sowohl für das Verarbeitende Gewerbe als auch den Dienstleistungssektor eine Stabilisierung der Wirtschaft auf niedrigem Niveau.

In den USA weist ein etwas freundlicherer ISM Index für das Verarbeitende und auch Dienstleistungsgewerbe auf eine sich stabilisierende, wenn auch blutleere Konjunkturentwicklung hin. Das unterstreicht ein wieder schwächerer Auftragseingang in der Industrie. Die Daten zum monatlichen Stellenaufbau am US-Arbeitsmarkt dürften zinserhöhungsunkritisch ausfallen.

In Deutschland können die August-Daten zu Produktion und Auftragseingängen in der Industrie sowie Exporten ihre Delle aus dem Vormonat zwar ausgleichen, wecken gleichzeitig jedoch keine Hoffnungen auf eine nachhaltige Dynamisierung.

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