Hohes Potenzial für "grüne Erholung" bei asiatischen Schwellenländern
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Nach dem Ersten Weltkrieg (1914–1918) verzeichnete die Weltwirtschaft kräftige Wachstumsschübe, da aufgestautes Privatkapital mit Elan an die Märkte strömte. Infolge der Spanischen Grippe-Pandemie gingen die daraus resultierenden Gewinne teilweise wieder verloren. Anschließend litt die Nachkriegswelt unter Problemen, die schließlich zur Weltwirtschaftskrise führten. Die USA reagierten seinerzeit mit einer protektionistischen internationalen Handelspolitik auf Kosten anderer Länder. Betrachtet man die Situation nach dem anfänglichen wirtschaftlichen Schock der potenziell ersten Phase der aktuellen Pandemie (Covid-19), stellt man fest, dass die USA getreu dem Trump-Motto «America first» erneut protektionistisch handeln. Was kann man nun für die Weltwirtschaft erwarten? Kann ein proaktiver, ESG-orientierter und verantwortungsbewusster Anleger unsere Wirtschaft mitgestalten? Welche Rolle nehmen künftig die asiatischen Märkte bei der Bekämpfung des Klimawandels ein?
Was treibt die Wirtschaft in diesen Zeiten?
Anleger in asiatischen Schwellenländern (EM) sollten einige wichtige Faktoren beachten, wenn sie die Frage untersuchen, was die Wirtschaft derzeit beeinflusst. Die USA, wo im November 2020 Präsidentschaftswahlen anstehen, treiben ihre Bemühungen zur Umgestaltung der globalen Versorgungsketten derzeit mit «Turbokraft» voran. Die Regierung Trump drängt darauf, globale Lieferketten aus China abzuziehen und die Produktion in die USA zurückzuholen. Die «Hardliner» in Washington ziehen den Umgang Chinas mit der Pandemie als Beleg dafür heran, dass ihre Befürchtungen in Bezug auf die Geschäftsbeziehungen zu China berechtigt sind.
China strebt hingegen nach technologischer Unabhängigkeit. Die Nation versucht, aus seiner jüngeren Vergangenheit zu lernen: In den 1980er Jahren bauten Taiwan und die USA enormes Wissen und intellektuelles Eigentum im Elektronikbereich auf, während China mit anderen Dingen beschäftigt war. Dies führte zur wirtschaftlichen Anfälligkeit Chinas sowie zur derzeit starken wirtschaftlichen Abhängigkeit von den USA. Aus diesem Grund suchen die politischen Entscheidungsträger in Peking nun nach Wegen, um mit der unausweichlichen fortgesetzten Abkopplung der technologischen Lieferketten beider Länder zurechtzukommen.
Auch an den asiatischen Märkten kam es im März 2020 kurzfristig zu Turbulenzen. Die erste Etappe des Konjunkturabschwungs wurde durch die Ausbreitung des Coronavirus ausgelöst. Mit dem Einbruch der Ölpreise verschärfte sich die Krise zusätzlich und risikobehaftete Kapitalanlagen gerieten massiv unter Druck. Erst als die Zentralbanken Anfang März entschlossen eingriffen, setzte eine Bodenbildung ein und die Märkte begannen sich zu erholen. Derzeit bemühen sich die politischen Entscheidungsträger nach Kräften, die Rückkehr zur Normalität zu fördern. Dennoch wird sich das Leben in der Welt nach Covid-19 mit Sicherheit verändern. Daher muss auch jeder kurzfristige Lösungsansatz zumindest in seinen Grundzügen nachhaltig angelegt sein.
Asiatischer Anleihenmarkt in guter Ausgangsposition
Es ist wichtig, dass die 17 Ziele der Vereinten Nationen für nachhaltige Entwicklung (SDGs) in ein stimmiges und einheitliches globales Rahmenkonzept einbezogen werden. Die Ziele umfassen ein globales Engagement zur Beendigung der Armut, Verringerung von Ungleichheiten und Bekämpfung des Klimawandels bis zum Jahr 2030. Wir begrüßen die jüngste Initiative der International Capital Markets Association (ICMA) zur Gliederung der SDGs, die Emittenten, Anlegern und Akteuren am Anleihenmarkt einen Referenzrahmen für die Beurteilung der Finanzierungsziele eines bestimmten Programms für «Green Bonds», Sozial- oder Nachhaltigkeitsanleihen an die Hand gibt.
Das vollständige Ausmaß des von Covid-19 verursachten Konjunkturschocks wird sich erst sukzessiv abzeichnen. Dennoch sind wir davon überzeugt, dass sich die Anlageklasse der asiatischen Anleihen derzeit an einem vorteilhaften Punkt befindet. Die asiatischen Länder erhalten umfassende Unterstützung von den politischen Entscheidungsträgern und Zentralbanken, um einen unmittelbaren Liquiditätsengpass zu vermeiden. Um sich neu aufzustellen, ihr Wachstumspotenzial zu realisieren und sicherzustellen, dass dieses Wachstum nachhaltig ist, müssen sie jedoch möglicherweise vergleichbare Maßnahmen wie zur Bekämpfung des Klimawandels ergreifen. Das würde bedeuten, die Nachhaltigkeitswerte zu respektieren und umweltgerechte Investitionen voranzutreiben, wie etwa den Ausbau von Radwegen zur Reduzierung der Anzahl von Bussen und Autos, den Bau von intelligenten Gebäuden und die Nutzung erneuerbarer Energieträger.
Ich bin davon überzeugt, dass eine auf Nachhaltigkeit ausgerichtete Wirtschaft für die Schwellenländer von entscheidender Bedeutung ist. Asien verfügt über alle Komponenten und das gesamte Spektrum an Ressourcen, um daraus ein potenzielles Angebot mit einem attraktiven Risiko-Ertrags-Profil zu formen.
Es obliegt aber auch dem verantwortungsbewussten ESG-Anleger, nicht nur auf die Erträge, sondern – mehr als je zuvor – auch darauf zu achten, proaktiv Ressourcen in nachhaltige Projekte zu investieren, um zu einer nachhaltigen Wirtschaft in Asien beizutragen. Entgegen der herrschenden Meinung, Anleihenanleger könnten die Entscheidungen der Emittenten nicht beeinflussen, haben wir die Erfahrung gemacht, dass eine kontinuierliche Kommunikation zwischen Anlegern und Emittenten durchaus das Verhalten von Unternehmen beeinflussen kann.
Herausforderungen bei ESG-Investments für Anleiheninvestoren
Im Garten der ESG-Anleihen ist aber nicht alles eitel Sonnenschein. Einige Studien beharren auf der Behauptung, dass sich Kapitalanlagen unter Beachtung ökologischer («E») und sozialer Aspekte («S») nicht rentieren. Nach dieser Auffassung bieten «E» und «S» Anleihenanlegern vermutlich aufgrund der unterschiedlichen Anlagehorizonte (Fälligkeit der Anleihen gegenüber der Projektlaufzeit) keine Überschussrenditen. Tatsächlich handelt es sich um eine langfristige Strategie. Unseres Erachtens werden Nachhaltigkeitsaspekte einen anhaltenden Trend begünstigen, der zu einer langfristigen Outperformance für Anleger und zu einer günstigeren Finanzierung für «grüne» Unternehmen führen wird.
Darüber hinaus beobachten wir eine zunehmende Emission von «Sozialanleihen» nach dem Covid-19-Ausbruch, insbesondere von Ländern mit hohem Industrialisierungsgrad. Es ist eine schmerzhafte Ironie, dass Länder, in denen ein bedeutender Prozentsatz der Bevölkerung unterhalb der Armutsschwelle lebt und etwa 70 Prozent der Erwerbsbevölkerung als Tagelöhner arbeiten oder in ähnlich prekären Beschäftigungsverhältnissen stehen, Sozialanleihen benötigen, um ihre Herausforderungen zu bewältigen, jedoch derzeit durch konkurrierende Angebote aus dem Markt gedrängt werden. «Sozialanleihen» sind eine jüngere und wenig etablierte Säule unter dem ESG-Dach. Hier sehen wir Bedarf für Anerkennung und Einigung auf einen einheitlichen Rahmen.
Im weiteren Sinne besitzt die Anlageklasse asiatischer Hartwährungsanleihen im Hinblick auf den Portfolioaufbau zahlreiche attraktive Eigenschaften. Dazu zählen ihre Größe, ihre Liquidität, ihr durchschnittliches Investment-Grade-Rating, die niedrige Korrelation zu Rohöl- und Rohstoffpreisen und das gesamte Spektrum unterschiedlicher Volkswirtschaften – von Singapur in der Ratingkategorie AAA bis zu Pakistan in der Ratinggruppe B. Asien zeichnet sich jedoch durch einige spezifische und zusammenhängende Herausforderungen aus:
- Notwendigkeit einer sicheren Energieversorgung
- Infrastrukturbedarf
- Großer Anteil der Bevölkerung mit geringem und mittlerem Einkommen
- Governance – die Wahrnehmung potenzieller Probleme mit der Rechenschaftslegung und Kapitalverwendung
Asien mit Potenzial zum weltweiten Wachstumsmotor
Ungeachtet dieser Herausforderungen liegen bedeutende Chancen in dieser Region. Wachstum ist vermutlich der einzige Ausweg aus einer noch höheren Verschuldung im Zuge des Kampfes gegen Covid-19. Asien verfügt über die besten Aussichten als Wachstumsmotor der Welt zu fungieren. Mit einer nachweislich relativ geringen Volatilität hat diese Region gute Aussichten, die attraktivsten risikobereinigten Erträge zu bieten. Zugleich besteht ein enormer Spielraum für positive Klimaeffekte. ESG-orientiertes Investieren dürfte die einzige Chance für eine nachhaltige Zukunft sein, da der Klimawandel mittlerweile nicht mehr als extremer Schock mit geringer Wahrscheinlichkeit («tail risk») eingestuft wird.
Covid-19 hat Anlass für grundlegende Fragen über den Zweck der Wirtschaft gegeben. Die zunehmenden staatlichen Interventionen lösen Debatten über die Effizienz der Kapitalverwendung, moralische Gefahren sowie politische und geopolitische Risiken aus. Abstandsregeln, landesweite Lockdowns und die Arbeit im Home Office haben unseren Lebensstil verändert und stellen das Wirtschaftsmodell infrage, mit dem wir zukünftig leben möchten. Die aktuellen Interventionen weisen aber auch signifikante Parallelen zu den Maßnahmen auf, die zur Eindämmung des Klimawandels nötig sind: Beides erfordert eine globale Koordination, beides ist mit widersprüchlichen Anschauungen unter den Generationen verbunden und beides erfordert kurzfristige Maßnahmen, die durch langfristige Ziele untermauert werden. Im Falle von Covid-19 versuchen die Regierungen, Maßnahmen durchzusetzen, die die Zukunft prägen und die Parameter, auf denen Unternehmen ihre Geschäftsmodelle aufbauen, dramatisch verändern können. Wir hoffen unverändert, dass dies mit der Förderung von ESG-Aspekten und dem Kampf gegen den Klimawandel auf globaler, regionaler, länderspezifischer, unternehmerischer und individueller Ebene einhergeht.
Auch die Vereinten Nationen mahnen, dass die Erholung den Charakter einer «grünen Erholung» haben sollte und ein «besserer Wiederaufbau» mit dem Ende der Schädigung des Planeten und einer Reduzierung der Ungleichheit einhergehen würde. Sie warnen zudem, dass wir «die Rechnung viele Male zahlen müssen, [...] wenn wir versuchen, ohne entsprechende Richtungsänderung zur Tagesordnung zurückzukehren».
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