Analyse
18:34 Uhr, 29.10.2008

Hilfsmaßnahmen bisher ohne durchschlagenden Erfolg

Externe Quelle : HSBC Trinkaus
Über die vergangenen Monate sind die Interbankenmärkte in der Eurozone ausgetrocknet. In diesem Umfeld kam es zu einer Ausweitung des Spreads zwischen der besicherten Ausleihe und den unbesicherten Interbankensätzen auf bisher nicht gesehene Niveaus. Wie ausgetrocknet der Handel der Banken untereinander ist, zeigt sich daran, dass seit Ende September dieses Jahres die Einlagefazilität und die Spitzenrefinanzierung der EZB von diesen intensiv genutzt werden. Diese nahmen die Geschäftsbanken in „normalen“ Zeiten kaum in Anspruch, da die Konditionen am Interbankenmarkt erheblich günstiger waren. Die EZB hat in den vergangenen Tagen und Wochen eine Reihe von Maßnahmen getroffen, um die Liquiditätssituation wieder in den Griff zu bekommen. Der folgende Text soll einen Überblick über die wichtigsten Maßnahmen und deren Auswirkungen geben.

Eine zentrale Maßnahme der EZB war es, am 08.10.2008 die Spanne zwischen Spitzenrefinanzierungssatz und Einlagefazilitätssatz zu reduzieren. Notierten diese zuvor 100 BP über bzw. unter dem Leitzinssatz der EZB, wurde die Differenz auf jeweils 50 BP reduziert. Mit der erfolgten Verringerung des Spreads will die EZB das „Leid“ des Bankensystems reduzieren bzw. die Ertragssituation der Finanzinstitute stützen. So bezahlen Banken, die sich in einer Liquiditätsklemme befinden, für einen „Notkredit“ bei der EZB über Nacht nur noch einen annualisierten Aufschlag von 50 BP – Voraussetzung hierfür ist, dass die Bank bei der EZB eine geeignete Sicherheit einreicht. Verfügt ein Finanzinstitut indes über zu viel Liquidität, fallen die „Zinsverluste“ bei einer Anlage bei der Notenbank jetzt um 50 BP geringer aus. Die Kosten einer Fehlallokation bzgl. der Mindestreserve reduzieren sich dadurch.

Ein weiteres Ziel der Reduzierung der Spanne ist es, die Schwankungen des Overnight-Geldmarksatzes einzudämmen. Dieser oszillierte in letzter Zeit im Vergleich zur Vergangenheit sehr stark um den EZB Reposatz. Da Spitzenrefinanzierungs- und Einlagefazilitätssatz im Regelfall eine obere und untere Begrenzung für den Overnightsatz bilden, soll durch die Einengung der Spanne zwischen beiden Sätzen auch die Volatilität des Overnightsatzes eingeengt werden. Ein solider Overnightsatz ist in unseren Augen eine Art von Anker für den gesamten Geldmarkt. Reduzieren sich hier die Schwankungsbreiten, ist zumindest die Voraussetzung dafür geschaffen, dass sich die gesamte Geldmarktkurve wieder „einpendelt“. Gelingt dies nicht, könnte die EZB in einem nächsten Schritt die Spanne zwischen Spitzenrefinanzierungssatz und Einlagefazilitätssatz weiter reduzieren.

Um Liquidität aus der Spitzenrefinanzierung oder im Rahmen von Offenmarktgeschäften zu erhalten, müssen die Banken bei der EZB Sicherheiten (Collateral) hinterlegen. Dabei muss das bei der EZB zulässige Collateral gewisse Mindestanforderungen erfüllen. Diese Standards wurden zuletzt deutlich reduziert. So können jetzt auch Fremdwährungsanleihen in USD, GBP und JPY eingereicht werden, so lange sie in der Eurozone begeben wurden. Zudem wurde die Mindestanforderung an das Rating auf „BBB-“ herabgesetzt (vorher: „A-“). Bei der Einreichung von Papieren mit schlechterer Qualität oder Fremdwährungsanleihen steigt jedoch der Sicherheitsabschlag („Haircut“) an, d. h. die Menge an Zentralbankgeld sinkt, die für das Nominal der Anleihe ausgezahlt wird – die EZB möchte im Fall eines Bankenpleite keine Verluste erleiden. Durch die Herabsetzung der Mindestanforderungen soll sichergestellt werden, dass „jede“ Bank genügend geeignete Sicherheiten hat, um ihren überlebensnotwendigen Liquiditätsbedarf zu decken.

Liquidität gibt es von der EZB derzeit reichlich: So hat die EZB das Tenderverfahren für die Wochen-, aber auch für die langfristigen Tender „adjustiert“. Zu einem vorher bekanntgegebenen fixen Satz erhalten die Banken unbegrenzt die von ihnen gewünschte Menge an Zentralbankgeld. Von einem richtigen „Tenderverfahren“ kann daher nicht mehr die Rede sein. Die Konsequenz des neuen Verfahrens ist mit Blick auf das derzeit extrem ausgeprägte Sicherheitsdenken der Banken und der brachliegenden Interbankenmärkte wenig verwunderlich: Durch die Offenmarktgeschäfte wird der Markt mit EUR-Liquidität geflutet. So ist das ausstehende Volumen im Rahmen von Offenmarktgeschäften während der letzten Tage auf über 750 Mrd. EUR explodiert. Darüber hinaus ist es der EZB durch ein Abkommen mit der US-Notenbank zudem möglich, Banken in der Eurozone mit US-Dollar und auch Schweizer Franken zu versorgen. Viele Banken in der Eurozone haben derzeit einen ausgeprägten Bedarf an Liquidität in ausländischen Währungen. Insbesondere der US-Dollar war in den letzten Monaten extrem gesucht. Dies ist dadurch zu begründen, dass kurzlaufende Finanzierungen von USDAssets auslaufen und nicht mehr über den klassischen Kapitalmarktweg erneuert werden können. Zudem ist davon auszugehen, dass viele Investoren „Margin Calls“ erhalten oder strukturierte Produkte mit „Cash Collateral“ hinterlegen müssen und aus diesem Grund US-Dollar benötigen. Dieser Bedarf kann jetzt über die EZB abgedeckt werden.

Die Flutung der Märkte mit EUR-Liquidität schlägt sich auf die Menge des Geldes in der Einlagefazilität nieder, die während der letzten Tage emporgeschnellt ist. Diese Explosion ist in unseren Augen nicht zwangsläufig ein Indiz dafür, dass sich die Verspannungen weiter verschärft haben – der Interbankenmarkt war schon zuvor kaum mehr existent. Die Banken sitzen derzeit vielmehr auf den Liquiditätsbergen aus den Tendern und wollen das Geld nicht weiter in den Geldmarkt geben bzw. finden keinen Abnehmer, da viele Banken genau das gleiche Problem haben. Dies hat zur Konsequenz, dass Finanzinstitute ihre Überschussliquidität bei der EZB parken. Dadurch nehmen sie zwar einen Verlust von 0,5 %-Punkten in Kauf (Annahme: Das Geld wurde zu einem Satz von 3,75 % von der EZB bezogen). Die Banken nehmen dies in volatilen Zeiten hin, da sie nicht wissen, wie groß der Liquiditätsbedarf, z. B. aufgrund des Abzugs von Einlagen, in den kommenden Tagen ist. Man könnte argumentieren, dass durch eine Herabsetzung des Einlagefazilitätssatzes ein Anreiz generiert wird, das Geld im Markt auszuleihen. Dies würde aber zum einen dazu führen, dass die Volatilitäten des Overnightsatzes wieder anziehen würden. Zum anderen zeigt das Beispiel USA, dass ein niedriger Einlagensatz nicht zwingend einen Impuls zur Belebung der Geldmärkte gibt. Bis zum 6. Oktober erhielten Banken für Einlagen bei der US-Notenbank keinen Zins, und die Interbankenmärkte in den USA waren trotzdem genauso ausgetrocknet wie in der Eurozone.

Vielmehr gab es während der letzten Tage erste Anzeichen dafür, dass sich die Verspannungen an den Geldmärkten gelöst haben. Neben den Maßnahmen der EZB wirkt sich wohl auch die Bekanntgabe des gemeinsamen Vorgehens der Euroland-Staaten bei der Bekämpfung der Krise stützend aus. Die Maßnahmenpakete in den einzelnen Ländern unterscheiden sich zwar voneinander. Durch die vorherige Absprache ist jedoch ein gemeinsamer Rahmen gegeben: So wird den Finanzinstituten bei Bedarf Eigenkapital zur Verfügung gestellt und Banken können Schuldverschreibungen mit einer Staatsgarantie versehen. Zudem haben die verschiedenen Staaten signalisiert, dass auf jeden Fall verhindert werden soll, dass weitere „systemrelevante“ Banken Pleite gehen.

Dieses „Versprechen“ und die getroffenen Maßnahmen sollen dazu beitragen, dass die Banken sich untereinander wieder mehr vertrauen – das Kontrahentenrisiko hat sich damit reduziert. Erhöht sich das Vertrauen, beleben sich auch die Interbankenmärkte peu à peu. Die Geldmarktsätze haben sich während der letzten Tage reduziert – der Spread zur besicherten Ausleihe hat sich aber nicht signifikant verbessert. Es ist aber fraglich, ob zu den entsprechenden Kursen tatsächlich gehandelt und wie viele Umsätze getätigt wurden, da die Berechnung nicht auf tatsächlichen Umsätzen erfolgt, sondern auf einer täglichen Meldung bei der European Banking Federation beruht. Insofern kann nicht zwingend davon ausgegangen werden, dass sich die Refinanzierungsbedingungen für die Banken tatsächlich verbessert haben. Dagegen können jedoch Unternehmen und Privatpersonen von fallenden Interbankensätzen profitieren, deren Verbindlichkeiten an die Geldmarktzinsen gekoppelt sind. Ein Beispiel ist der spanische Hausbauer. Im Gegensatz zu Deutschland wird in Spanien sehr aktiv eine variable Verzinsung genutzt, die sich an den Interbankenmärkten orientiert. Sinkt der Geldmarktzins, reduziert sich die Zinsbelastung der Konsumenten.

Mit Blick auf die Auswirkung der geldpolitischen Maßnahmen wird insbesondere die Reaktion auf den anstehenden 3-Monatstender zu einem fixen Satz von 3,75 % von Interesse sein. Dieser wird heute (Mittwoch der 29. Oktober) durchgeführt, das Settlement erfolgt morgen. Als Reaktion auf den Tender sollte es zu einem weiteren Absinken der Interbankensätze kommen – das 3-Monats-Euribor-Fixing vom 29. Oktober lag bei 4,83 %. Lässt sich in den kommenden Wochen keine Verbesserung der Lage erkennen, könnte die EZB in einem nächsten Schritt dazu übergehen, auch bei den längeren Laufzeiten eine aktive Market-Maker Rolle zu übernehmen, ähnlich wie es jetzt schon bei der Overnightsätzen der Fall ist.

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