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14:45 Uhr, 21.02.2024

Habeck sieht deutsche Wirtschaft in "schwerem Fahrwasser" und fordert "Reformbooster"

Von Andrea Thomas

BERLIN (Dow Jones) - Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) sieht die deutsche Konjunktur in "schwerem Fahrwasser" und fordert für Deutschland einen "Reformbooster". Zuvor war bereits bekannt geworden, dass die Bundesregierung ihre Wachstumsprognose für dieses Jahr deutlich gesenkt hat. Sie erwartet für 2024 nur noch einen Anstieg des Bruttoinlandsproduktes (BIP) um 0,2 Prozent und damit deutlich weniger als das noch im Oktober erwartete Wachstum von 1,3 Prozent. Habeck machte für die schwache Konjunktur neben den labilen weltwirtschaftlichen Bedingungen, den hohen Zinsen und die durch das Haushaltsurteil notwendigen Ausgabenpriorisierungen auch die seit Jahren vorherrschenden strukturellen Probleme verantwortlich.

"Wir kommen langsamer aus der Krise als gehofft", erklärte Habeck in einer Pressemitteilung zum neuen Jahreswirtschaftsbericht der Bundesregierung. "Was wir jetzt brauchen ist ein Reformbooster. Daran müssen wir als Bundesregierung arbeiten. Es geht um nichts Geringeres, als die Wettbewerbsfähigkeit des deutschen Industriestandortes zu verteidigen."

Als größte Herausforderung für Deutschland identifizierte Habeck den Arbeitskräftemangel. Dieser werde sich in den nächsten Jahren verschärfen und das Potenzialwachstum dämpfen. Deutschland brauche daher alles Wissen und Können, alle Hände und Köpfe, alle Talente und Fähigkeiten. "Alles, was wir tun können, um Menschen in Arbeit zu bringen, sollten wir tun", so Habeck.

Der Minister sah aber auch positive Entwicklungen. So sei die Energieversorgung in Deutschland gesichert und die Energiepreise seien wieder "sehr deutlich" gesunken. Die Inflation sei "gezähmt". Die Lohnzuwächse seien spürbar und würden in diesem Jahr oberhalb der Inflationsrate liegen. "Neue Rekordzahlen bei der Beschäftigung sowie beim Zubau und Anteil von erneuerbaren Energien sind wichtige Hoffnungszeichen", so Habeck.

   Binnenwirtschaftliche Erholung im Laufe des Jahres 

Die Regierung erwartet, dass wieder steigende Reallöhne und die robuste Arbeitsmarktentwicklung im Jahresverlauf eine binnenwirtschaftliche Erholung einleitet. Der Anstieg der Verbraucherpreise wird sich laut Prognose auf 2,8 Prozent verlangsamen, nach einem Anstieg um 5,9 Prozent im Vorjahr.

Die Konsumausgaben der privaten Haushalte und privaten Organisationen werden laut neuer Prognose in diesem Jahr real, also preisbereinigt, um 1,1 Prozent zulegen, nach einem Rückgang um 0,8 Prozent in 2023. Exporte dürften 2024 um 0,6 Prozent wachsen, nach einem Minus von 1,8 Prozent in 2023, und die Importe werden der Prognose zufolge um 0,8 Prozent zulegen, nach einem Rückgang von 3,0 Prozent in 2023.

Der Beschäftigungsaufbau wird sich in diesem Jahr laut Regierung mit einem Zuwachs von 110.000 Personen fortsetzen, die Arbeitslosigkeit werde allerdings aufgrund eines statistischen Überhangs aus dem Jahr 2023 um etwa 85.000 Personen ansteigen.

Mit ihren Konjunkturerwartungen ist die Bundesregierung etwas pessimistischer als der Internationale Währungsfonds (IWF). Dieser hatte Ende Januar ein Wachstum des deutschen BIP um 0,5 Prozent für dieses Jahr und ein Wachstum von 1,6 Prozent für 2025 vorausgesagt. Im vergangenen Jahr war das BIP um 0,3 Prozent geschrumpft. Sie Prognose der Bundesregierung deckt sich aber mit der der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) vom 5. Februar.

   Regierung will mit zehn Handlungsfeldern Wettbewerbsfähigkeit stärken 

In dem Jahreswirtschaftsbericht unter dem Titel "Wettbewerbsfähigkeit nachhaltig stärken" identifiziert die Bundesregierung zudem zehn spezifische Handlungsfelder zur nachhaltigen Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit. Dazu gehört die Stärkung der Investitionstätigkeit, wozu die Bundesregierung das geplante Wachstumschancengesetz zählt. Außerdem sei zur Unterstützung der Innovationsfähigkeit die Stärkung der Forschungszulage vorgesehen. Der Bericht verweist auch auf den von der Bundesregierung geförderten Ausbau von Wertschöpfung in Schlüsselbereichen wie Batterien und Halbleitern.

Gleichzeitig setze die Bundesregierung zur Diversifizierung von Handels- und Lieferketten auf breitere Handelsbeziehungen. Für die Stärkung des Wirtschaftsstandortes stellt die Ausweitung des Angebots erneuerbarer Energien eine zentrale Voraussetzung dar. Daher habe die Bundesregierung mit Gesetzesvorhaben, etwa des Erneuerbaren-Energien-Gesetzes, substanzielle Hürden für den Zubau von Erneuerbaren und Netzinfrastruktur reduziert.

Die Konjunkturprognosen der Bundesregierung sind für die Steuerschätzungen wichtig, die wiederum Grundlage für den Bundeshaushalt 2024 und die mittelfristige Finanzplanung sein werden. Eine schlechtere Konjunktur bedeuten weniger Steuereinnahmen als zuvor geplant und damit einen geringeren finanziellen Spielraum für die Vorhaben der Ampel-Regierung.

Kontakt zur Autorin: andrea.thomas@wsj.com

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