Kommentar
10:05 Uhr, 10.05.2007

Growth? Value? Income!

Income-Investing, also die systematische Auswahl von Unternehmen mit hohen Dividendenrenditen, kann zu überdurchschnittlichen Erträgen führen. Dafür gibt es zwei wichtige Gründe: die Unvorhersehbarkeit zukünftiger Ereignisse und die Funktionsweise des Kapitalzyklus.

Wir leben in einer komplexen Welt, in der alles mit allem zusammenhängt und jeder nach immer mehr Informationen verlangt. Manchmal ist das recht verwirrend. Viele halten die Naturwissenschaften für das Maß aller Dinge. Je mehr Informationen den Wissenschaftlern zur Verfügung standen, desto größer war das Vertrauen in ihre Erkenntnisse. Auch heute noch wird in den unterschiedlichsten Bereichen geglaubt, dass man eine Sache umso besser versteht, je mehr Informationen man über sie hat. Mittlerweile produzieren wir aber so viele Informationen, dass sie alles andere als nützlich sind. Der Autor John Updike soll dazu einmal in einem Radiointerview gesagt haben: „Ich denke, das meiste Zeug auf der Datenautobahn ist ohnehin nichts anderes als totes Kleingetier“.

Vieles spricht dafür, dass Prognosen deshalb auf Basis von nicht besonders verlässlichen Informationen erstellt werden. Aber zumeist hält uns dies nicht davon ab, uns für sie zu interessieren. Wir sollten aber auch nicht zu streng sein, denn bei vielen Prognosen müssen so viele Variablen berücksichtigt werden, dass es noch eine ganze Weile sehr schwierig sein wird, Fehler zu vermeiden – das gilt für medizinische Diagnosen ebenso wie für Konjunktur- und Unternehmensanalysen, um die es hier geht.

Income-Investing und das Problem mit der Genauigkeit

Unserer Meinung nach lässt sich das Problem der mangelnden Genauigkeit sehr gut durch den Einsatz einer Investmentmethode beheben, die man Income-Investing nennt. Sie ist eine besonders kritische Variante des antizyklischen bzw. wertorientierten Investmentansatzes. Wachstumsorientierte Anleger lassen sich auf die Hoffnung ein, dass ein hoch bewertetes Unternehmen zukünftig hohe Erträge erzielen wird. Wertorientierte Anleger sind hingegen mehr an Firmen interessiert, deren Unternehmenswert zum größten Teil von weniger abstrakten und von zeitnahen Dingen abhängt, beispielsweise vom Unternehmensvermögen oder den in naher Zukunft erwarteten Gewinnen. Income- Investoren gehen noch einen Schritt weiter: Sie achten darauf, dass ein größerer Anteil der Unternehmensgewinne unmittelbar in Form von Dividenden an sie weitergegeben wird. Während wertorientierte Anleger wohl in erster Linie auf ein niedriges Kurs-Gewinn-Verhältnis achten, wollen einkommensorientierte Investoren darüber hinaus ein niedriges Kurs-Dividenden-Verhältnis, also eine hohe Dividendenrendite. Zwar besteht durchaus ein gewisser Zusammenhang zwischen Unternehmensgewinnen und Ausschüttungen an Aktionäre, doch sind die beiden Kennziffern keineswegs identisch, da das Unternehmen seine Gewinne ebenso ausschütten wie einbehalten kann.

Wenn wir uns an unser Prognoseproblem erinnern, wird schnell deutlich, wie wichtig dieser kleine Unterschied ist. Die kleineren Prognoseungenauigkeiten, die es in den meisten Lebensbereichen gibt, kann man durchaus akzeptieren. Für die Finanzanalyse, gibt es jedoch Studien, die besagen, dass die Wahrscheinlichkeit, dass eine Unternehmensprognose auf Sicht von fünf Jahren eintrifft, bei 1 zu 200.000 liegt. Das entspricht etwa der Chance, in der New Yorker Lotterie zu gewinnen. Selbst bei einem Analysten mit einer deutlich besseren Prognosequalität bleibt da noch genug Raum für Irrtümer.

Ein wachstumsorientierter Investor, der bei einem Kurs-Gewinn-Verhältnis von beispielsweise 22 kauft, ist offenbar bereit, 22 Jahre zu warten, bis der kumulierte Unternehmensgewinn seinem ursprünglichen Investment entspricht. Gemäß der Studie zur Fehlbarkeit von Prognosen werden sich die Annahmen, auf die sich die Unternehmensbewertung stützt, früher oder später als falsch erweisen. Wenn es also 22 Jahre dauert, bis sich eine Investition amortisiert, müssen Investoren schon sehr stark von ihrer Prognosefähigkeit überzeugt sein, um ein solches Risiko einzugehen. Wenn die Anleger irgendwann ihren Irrtum bemerken, kommt es möglicherweise zu einer heftigen Reaktion des Aktienkurses – und das kann teuer werden. Eine kleine Abwärtskorrektur der Gewinnprognosen kann gut und gerne zu einem zweistelligen Aktienkursrückgang führen, denn die Bewertung schwindet ebenso schnell wie der Grad der Überzeugung.

Ein Unternehmen mit einem niedrigeren Kurs- Gewinn-Verhältnis bzw. einem niedrigeren Kurs- Dividenden-Verhältnis dürfte hingegen ganz anders reagieren, wenn sich eine Prognose als fehlerhaft erweist. Wenn eine Aktie z.B. ein Kurs- Gewinn-Verhältnis von 12 hat, können Anleger davon ausgehen, dass die kumulierten Gewinne doppelt so schnell den Wert des ursprünglichen Investments erreichen wie im ersten Beispiel. Sie müssen sich also ein bisschen weniger Gedanken um ihre Prognosefähigkeit machen. Wenn sie darüber hinaus auch noch jedes Jahr mit soliden Dividenden bedacht werden (z.B. 3,8% p.a.), amortisiert sich ihre Investition sogar noch schneller und die Prognosefehler der Analysten fallen noch weniger ins Gewicht. Ein Problem bleibt aber: Je niedriger das KGV und je höher die Dividendenrendite ist, desto geringer sind üblicherweise die Gewinnerwartungen für ein Unternehmen. Ein Prognosefehler kann dann durchaus bedeuten, dass man den Gewinn zu niedrig einschätzt. Wenn ein solcher Fehler korrigiert wird, hat das positive Auswirkungen auf den Aktienkurs. Bei den meisten Unternehmen mit hohen KGVs erweisen sich die Prognosen jedoch als zu optimistisch, so dass deren Korrektur zu fallenden Aktienkursen führt.

Viele wissenschaftliche Studien sind zu diesem Ergebnis gekommen. Am deutlichsten ist vermutlich die Analyse von David Dreman and Associates. Für die 23 Jahre von 1973 bis 1996 haben sie gezeigt, dass niedrig bewertete Unternehmen im Anschluss an positive Überraschungen den Markt deutlich hinter sich gelassen haben. Und selbst nach negativen Überraschungen entwickelten sie sich noch besser als der Markt. Allerdings dauerte es üblicherweise ein Vierteljahr, bis ihre Kurse wieder zu steigen begannen. Sehr hoch bewertete Unternehmen haben sich hingegen tendenziell unterdurchschnittlich entwickelt, und zwar auch bei positiven Überraschungen. Am auffälligsten ist allerdings, dass sehr hoch bewertete Unternehmen im Durchschnitt 44,7% hinter dem Markt zurückblieben und ihre Kurse stark unter schlechten Nachrichten litten. Wir sind der Meinung, dass das Anlegerverhalten sich seitdem nicht geändert hat und die Ergebnisse dieser Studie, würde sie heute durchgeführt werden, nicht anders wären als damals.

Income-Investing und der Kapitalzyklus

Der zweite Grund für den Erfolg des Income- Investing ist der Kapitalzyklus. Die TMT-Bubble in den späten Neunzigern ist dafür ein klassisches Beispiel. Sobald die Bewertung eines Aktienmarktsegments ein bestimmtes Maß überschreitet, fließt immer mehr Kapital in diesen Sektor, so dass die Firmen ihre Produktionskapazitäten ausweiten und neue Wettbewerber hinzukommen. Dieses neue Kapital führt tendenziell zu einem Gewinnrückgang, weil das Angebot zunächst steigt, um mit der Nachfrage Schritt zu halten, dann aber in den meisten Fällen höher als die Nachfrage ist. Unternehmen können nicht mehr von einer hohen Nachfrage profitieren und müssen, um rentabel zu bleiben, durch Preissenkungen Marktanteile gewinnen oder den fallenden Umsätzen mit Kosteneinsparungen begegnen.

In jedem Fall gilt, dass der Zustrom neuen Kapitals den Wettbewerb verschärft und es einige Zeit dauert, bis sich die Branche wieder stabilisiert. In dieser Phase ist es unwahrscheinlich, dass die Aktionäre zufriedenstellende Erträge erzielen. Dies gilt insbesondere dann, wenn sie zunächst so optimistische Erwartungen hatten wie oben beschrieben. Die TMT-Bubble und ihr Platzen ist ein typisches Beispiel für eine solche Entwicklung und bleibt eine heilsame Lektion. Viele Telekommunikationsunternehmen weltweit haben vom Höhepunkt der Bubble im Jahr 2000 bis zum Jahr 2005 einen Großteil ihres Marktwerts eingebüßt.

Ein weiterer Vorteil des Income-Investing besteht also darin, dass Unternehmen mit hohen Dividendenrenditen eher aus Branchen stammen, deren Wachstums- und Ertragsperspektiven nicht attraktiv genug erscheinen, um neue Wettbewerber zum Markteintritt zu bewegen. Die Tatsache, dass die Unternehmen hohe Anteile ihres internen Cashflows an die Aktionäre ausschütten, deutet darauf hin, dass ihr Management eine hohe Kapitaldisziplin an den Tag legt. Offenbar überlegen sie sehr genau, wofür sie das Unternehmenskapital einsetzen und werden üblicherweise nur in Projekte investieren, die eine zumindest ebenso hohe Kapitalrendite erwarten lassen wie das Unternehmen selbst.

Es mag zwar auf den ersten Blick widersprüchlich erscheinen, doch gibt es wissenschaftliche Belege dafür, dass diese Disziplin zu langfristig steigenden Erträgen führt. In ihrer Analyse mit dem Titel „Does dividend policy foretell earnings growth?“ haben Robert Arnott und Clifford Asness sich mit dieser Frage beschäftigt. Sie kommen zu dem Ergebnis, dass das Gewinnwachstum von Unternehmen, die einen großen Teil ihrer Gewinne einbehalten (also nicht an die Aktionäre ausschütten, sondern sie stattdessen selbst investieren) im Laufe der Zeit tendenziell zurückgeht.6

Fazit

Wir halten Income-Investing für einen sinnvollen Ansatz, um auf Dauer hohe relative und absolute Erträge zu erzielen. Dafür gibt es klar nachvollziehbare und objektive Gründe, die allerdings auf den ersten Blick paradox erscheinen mögen. Erstens ist es insbesondere im Bereich der Sozialwissenschaften außerordentlich schwierig, Prognosen zu treffen. Um dem „Ereignisrisiko“ zu entgehen, das eine zwangsläufige Folge ungenauer Prognosen ist, kann es sich lohnen, in niedriger bewertete Unternehmen zu investieren, die höhere Dividenden zahlen. Zweitens dürften diese Unternehmen eine hohe Ausgabendisziplin haben, an der es anderen Unternehmen, die einen größeren Teil ihrer Gewinne einbehalten, oft mangelt. Und drittens wird sich diese Disziplin unserer Meinung nach sowohl für die Aktionäre als auch für die Unternehmen selbst auszahlen – zumindest langfristig.

Quelle: INVESCO

INVESCO zählt als Teil der AMVESCAP Gruppe zu den führenden Asset Managern weltweit – mit über 380 Mrd. US-Dollar (per 30. September 2005) verwaltetem Vermögen. Über 5.900 Mitarbeiter, darunter rund 500 Investmentspezialisten, sind in 20 Ländern im Einsatz.

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Über den Experten

Thomas Gansneder
Thomas Gansneder
Redakteur

Thomas Gansneder ist langjähriger Redakteur der BörseGo AG. Der gelernte Bankkaufmann hat sich während seiner Tätigkeit als Anlageberater umfangreiche Kenntnisse über die Finanzmärkte angeeignet. Thomas Gansneder ist seit 1994 an der Börse aktiv und seit 2002 als Finanz-Journalist tätig. In seiner Berichterstattung konzentriert er sich insbesondere auf die europäischen Aktienmärkte. Besonderes Augenmerk legt er seit der Lehman-Pleite im Jahr 2008 auf die Entwicklungen in der Euro-, Finanz- und Schuldenkrise. Thomas Gansneder ist ein Verfechter antizyklischer und langfristiger Anlagestrategien. Er empfiehlt insbesondere Einsteigern, sich strikt an eine festgelegte Anlagestrategie zu halten und nur nach klar definierten Mustern zu investieren. Typische Fehler in der Aktienanlage, die oft mit Entscheidungen aus dem Bauch heraus einhergehen, sollen damit vermieden werden.

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