Kommentar
12:16 Uhr, 05.02.2007

Goldlöckchen kommt ins Stolpern

„Es wird sich schon alles richten“, scheint zurzeit die Devise an den Börsen zu lauten. „Die Wirtschaft legt eine Wachstumspause ein und überhitzt daher weder (inflationär) noch kühlt sie zu stark ab (rezessiv).“ Damit haben wir das klassische „Goldlöckchen“-Szenario. Nun ist es so, dass wir als Investoren in der Regel für unsere Skepsis und kritische Sicht auf die Konsensmeinung bezahlt werden. Es mag daher überraschen, dass wir uns diesmal dem Konsens anschließen: Beim gegenwärtigen Rückgang der Verbraucherausgaben und nachlassendem Wohnimmobilienmarkt bietet sich unserer Einschätzung nach in den USA reichlich Spielraum für eine Zinssenkung, bevor es zu einer anhaltenden konjunkturellen Flaute kommt. Wir sind zudem überzeugt, dass es auch außerhalb der USA ausreichend Wachstumsimpulse gibt, um die Weltkonjunktur zu stützen. Insgesamt ist lediglich mit einer moderaten Abkühlung zu rechnen.

Eine optimistische Sicht der Weltkonjunktur ist jedoch nicht gleichbedeutend mit einer zuversichtlichen Beurteilung der Aktienmärkte oder – allgemeiner – von Risikowerten. Es ist nicht immer von Vorteil, Recht zu haben. Hier geht’s vor allem um unsere Einschätzung der aktuellen Bewertungen: Derzeit sorgen nicht etwa die Unternehmenserträge, sondern vor allem Liquiditätsüberschüsse sowie M&A-Tätigkeit für Aufwind an den Aktienmärkten. Nachdem die KGVs infolge unerwartet hoher Gewinne über mehrere Jahre hinweg gesunken sind und Aktien damit „optisch“ billiger erschienen, findet jetzt ein Umkehrprozess statt, und die KGVs legen wieder zu. Liquiditätsgetriebene Rallyes können zwar länger anhalten als erwartet (man denke nur an die Rallye von 1999!), ohne tragfähige Rahmendaten stehen sie jedoch auf tönernen Füßen. Die unvermeidliche Trendumkehr fällt dann umso schwerwiegender aus. Wir meinen zwar nicht, dass sich die Situation aus dem Jahr 2000 in diesem Jahr wiederholen wird (seinerzeit war der konjunkturelle Rahmen problematischer), aber Goldlöckchen wird auf ihrem Weg zu höheren Aktienkursen wohl des Öfteren ins Stolpern geraten.

Woran liegt das? Ganz sicher nicht am rückläufigen Wohnimmobilienmarkt, sondern eher an den Fluktuationsbewegungen nervöser Märkte. Hier sorgen vor allem die Unwägbarkeiten des geldpolitischen Kurses weltweit für Unruhe. Die Problematik liquiditätsgestützter Börsen-Rallyes besteht darin, dass sie von der anhaltenden Verfügbarkeit dieser Liquidität abhängen. Die Aussicht auf ein Versiegen der Droge „Liquidität“ führt bei den Märkten – wie beim Junkie – zum „Flattermann“. Wir erwarten daher in diesem Jahr noch dramatischere Schwankungen am Markt, die in erster Linie auf Ängste vor dem Liquiditätsentzug zurückzuführen sein werden. Aber wie gesagt rechnen wir weder mit zinspolitischen Fehlentscheidungen noch mit Marktauswüchsen, zu deren Korrektur eine regelrechte Rezession vonnöten wäre. Die weitere Entwicklung wird mit Sicherheit lebhaft verlaufen, und auch die derzeit niedrige Volatilität an den Aktienmärkten wird sich wahrscheinlich wieder auf dem üblichen Level einpendeln.

Nachdem man an den Rentenmärkten fest mit einer baldigen Zinssenkung gerechnet hatte, standen in den letzten Wochen wieder Gewinne und Renditen im Mittelpunkt des Geschehens. Ähnlich wie die liquiditätsgetriebene Rallye auf den Aktienmärkten kann sich eine Rallye bei Anleihen, die sich vor allem auf einen negativen Carry stützt (d. h. die laufende Verzinsung liegt unter dem kurzfristigen Refinanzierungssatz), rasch umkehren. Nach unserer Einschätzung werden die Anleihemärkte noch eine Weile uneinheitlich tendieren, bis die Federal Reserve schließlich eine klare geldpolitische Lockerung einleitet. Dann könnten wir sogar ein gleichzeitiges Anziehen von Aktien- und Anleihekursen erleben, beflügelt von niedrigeren Zinsen und Aussichten auf ein steigendes Ertragswachstum.

Aber bis dahin könnte Goldlöckchen noch einige Male ins Stolpern kommen ...

Quelle: Schroders

Die Schroders-Gruppe ist eine führende internationale Vermögensverwaltungsgesellschaft, die 1804 gegründet wurde. Schroders verwaltet Anlagen für Pensionsfonds, Regierungsbehörden, Wohltätigkeitsorganisationen, Körperschaften, Familienunternehmen und vermögende Privatpersonen weltweit und ist ein führender Verwalter von Investmentfonds. Schroders bietet Anlagen in allen wichtigen Vermögenskategorien in entwickelten Ländern und Schwellenländern an: Aktien, Schuldtitel, Geldmarktinstrumente, Beteiligungen und Immobilien. Das weltweit verwaltete Vermögen betrug zum 31. März 2006 rund 184,2 Mrd. Euro.

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Über den Experten

Thomas Gansneder
Thomas Gansneder
Redakteur

Thomas Gansneder ist langjähriger Redakteur der BörseGo AG. Der gelernte Bankkaufmann hat sich während seiner Tätigkeit als Anlageberater umfangreiche Kenntnisse über die Finanzmärkte angeeignet. Thomas Gansneder ist seit 1994 an der Börse aktiv und seit 2002 als Finanz-Journalist tätig. In seiner Berichterstattung konzentriert er sich insbesondere auf die europäischen Aktienmärkte. Besonderes Augenmerk legt er seit der Lehman-Pleite im Jahr 2008 auf die Entwicklungen in der Euro-, Finanz- und Schuldenkrise. Thomas Gansneder ist ein Verfechter antizyklischer und langfristiger Anlagestrategien. Er empfiehlt insbesondere Einsteigern, sich strikt an eine festgelegte Anlagestrategie zu halten und nur nach klar definierten Mustern zu investieren. Typische Fehler in der Aktienanlage, die oft mit Entscheidungen aus dem Bauch heraus einhergehen, sollen damit vermieden werden.

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